Doping im Sport:Medizin für Millionen

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Jahrzehntelange Leistungsmanipulationen, gefördert von Pharma- und Sportartikelindustrie: Unterlagen belegen, welch geheimes Reich der Arzt Armin Klümper aufbaute.

Von J. Aumüller, J. Kelnberger, K. Ott und T. Zick

Sonne, steifer Wind, weiter Blick über eine glitzernde Meeresbucht auf den wolkenumhüllten Tafelberg: Das ist heute die Welt von Armin Klümper, ein Haus am Berghang nicht weit von Kapstadt, Süd- afrika. Eine Gegend, in der viele deutsche Pensionäre leben, man kennt sich in der Community. Doch den Professor aus Freiburg will niemand kennen: "Nie gehört", heißt es, als man dessen Namen beim deutschen Metzger fallen lässt, ebenso beim Herausgeber von Echo - "dem deutschsprachigen Monatsmagazin aus dem süd- lichen Afrika". Es ist offenbar wirklich so, wie stets behauptet wird: Klümper lebt in Südafrika, "sehr zurückgezogen".

Auf das Klingeln an seiner Tür reagiert niemand, auf einen Brief, in den hölzernen Briefkasten geworfen, auch nicht - erst beim zweiten Besuch erklärt sich der Gärtner bereit, im Haus das Anliegen des Besuchers vorzutragen. Schließlich meldet sich Klümpers Frau durch die Gegensprechanlage: "Sie wünschen?" Freundlich, aber bestimmt weist sie den Reporter ab: "Wir geben keine Auskünfte, akzeptieren Sie das bitte! Zwölf Jahre kümmert sich keiner drum, ist doch wurscht, oder?" Dann verweist sie an Klümpers Freiburger Anwalt Wolfgang Schwarz, Spezialist für Medizinrecht. Doch auch er blockt ab. Sein Mandant sei bald 80 Jahre alt, nicht bei bester Gesundheit und wolle einfach seine Ruhe haben, sagt Schwarz am Telefon.

Armin Klümper schweigt. Dabei hätte er viel zu erzählen. Tausende Sportler pilgerten über Jahrzehnte zu ihm nach Freiburg, in seine Sporttraumatologische Spezialambulanz an der Albert-Ludwigs-Universität. Ließen sich von ihm behandeln, fit spritzen für die Wettkämpfe. Und, so der Verdacht, auch mit Doping zum Sieg verhelfen. Der Freiburger Professor galt unter Fußballern und Leichtathleten, Turnern und Radfahrern als Guru, dessen Cocktails wirksamer waren als die Mittel anderer Ärzte. Doch kaum jemand wollte wissen, was Klümper verabreichte und injizierte. Auch Joachim Löw nicht, Fußball-Nationaltrainer, der früher für den SC Freiburg, den VfB Stuttgart und andere Fußball-Vereine spielte.

Er hätte sich als junger Kicker "nicht getraut nachzufragen", mit welchen Mitteln ihn der Professor behandelte, räumte Löw kürzlich im ZDF ein. Zu dieser Zeit habe es kein Bewusstsein für Doping im Fußball gegeben. Und auch "keine Verbote" und " keine Kontrollen". Heute ist Doping ein Thema. Es gibt Kommissionen, die aufklären sollen. Und es gibt Akten über Klümpers Wirken, die lange verschollen waren und nun wieder aufgetaucht sind. Akten aus Strafverfahren der Achtziger- und Neunzigerjahre. Akten, die Aufschluss geben über Klümper, über seine "Systembetreuung von Leistungssportlern", wie das Landgericht Freiburg notierte.

Die Süddeutsche Zeitung hat diese Akten nahezu vollständig eingesehen. Über Klümpers verhängnisvolles Wirken sind etliche Details bekannt, etwa durch Diskuswerfer Alwin Wagner, der schon früh darüber berichtete. Aber jetzt wird das System Klümper sichtbar. Die Akten dokumentieren, wie der Guru dieses System aufbaute und betrieb; mit Hilfe der Pharmaindustrie, des Sportkonzerns Puma und anderer; gefördert und gestützt von der Politik und Sportverbänden; mit einer geheimen Kasse auf einem Privatkonto bei der Sparkasse Freiburg. Schon damals fanden sich deutliche Dopingspuren bis hin zum VfB Stuttgart, deutscher Fußballmeister von 1984. Dopingspuren, denen Staatsanwälte und Richter jedoch nicht nachgingen, sodass vieles im Dunkeln blieb.

Bis heute, da die Akten im Staatsarchiv Freiburg endlich einsehbar sind. Am kommenden Donnerstag sind Funktionäre des Deutschen Fußball-Bundes, des VfB Stuttgart und des SC Freiburg sowie Präsident Rudolf Scharping vom Bund Deutscher Radfahrer nach Freiburg eingeladen, um mit einer von der dortigen Universität eingesetzten Untersuchungskommission über Erkenntnisse aus diesen Akten zu beraten. Wegschauen, wie es lange üblich war, auch beim Fußball, das geht jetzt nicht mehr.

Auch die Stuttgarter Meister-Mannschaft von 1984 suchte die Nähe zu Armin Klümper. Der Mediziner war bei vielen westdeutschen Athleten sehr beliebt. (Foto: Herbert Rudel/dpa)

Spendable Pharmaindustrie

Armin Klümper, geboren am 19. Mai 1935 in Münster, studiert nach dem Abitur Medizin und wird schon bald einer der gefragtesten Sportärzte in Deutschland. Von Freiburg aus kümmert sich der Doktor darum, dass die Athleten vor allem vor und bei Großereignissen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften umfassend versorgt werden - mit Hilfe der Pharma- industrie. Davon zeugen zahlreiche Bettelbriefe, die Klümper in den Sechziger- und Siebzigerjahren an viele Unternehmen aus dieser Branche schickt. An mehr als 80 kleine Firmen und große Firmen aus ganz Deutschland. Er betreue eine Reihe von Nationalmannschaften und Leistungssportlern, betont der Mediziner. Das sei nur möglich, "wenn uns die pharmazeutische Industrie hilfreich zur Seite steht". Klümper setzt die Medikamente unter anderem im Radsport ein. Bei deutschen Meisterschaften von Junioren und Senioren, bei einem Europatreffen der Jugend, bei Weltmeisterschaften. Das führt dazu, dass die Vorräte schnell nahezu "erschöpft" sind, wie der Freiburger Arzt in seinen Bettelbriefen beklagt und neue Mittel anfordert.

Vor den Sommerspielen 1972 in München bedarf es noch mehr Medikamente als sonst. Wegen Olympia im eigenen Land "scheinen durch den persönlichen Ehrgeiz vieler, besonders jüngerer Leistungssportler die Verletzungen in letzter Zeit ganz erheblich zuzunehmen", schreibt Klümper am 3. März 1970 einer Pharmafirma. "Um unsere restlos geleerten Medikamenten- Depots wieder aufzufüllen, bitte ich Sie freundlichst, mir folgende Medikamente zu schicken: ". . ." Das sind oft harmlose, aber teilweise auch zweifelhafte Mittel.

Kurz darauf, am 28. März 1970, wird der Sportarzt noch deutlicher. "Jetzt in der Hauptphase der Vorbereitung für die Olympischen Spiele benötigen wir (...) erneut dringend Ihre Hilfe, da ein großer Teil der Spitzenathleten sich bei uns in Freiburg in ständiger Behandlung und Betreuung befindet." Viele Firmen schicken ihre Pharmapakete in die Stadt am Fuße des Schwarzwalds, die sich zu einer Zentrale des deutschen Leistungssports entwickelt. Darunter befindet sich das eigentlich für Asthma-Patienten gedachte Arzneimittel Alupent, Wirkstoff Orciprenalin.

Alupent wird in den Neunzigerjahren auch Teil eines "Zaubertranks" für die Radfahrer vom Team Telekom, wie Team-Mitglied Erik Zabel 2013 in einem SZ-Interview erzählt, in dem er offen über Doping redet. Koffein, Persantin und Alupent, "in Cola aufgelöst", sei ihm verabreicht worden. Was da drin war, habe er aber erst später erfahren. Das Team Telekom wird an der Uni Freiburg von Kollegen Klümpers systematisch gedopt. Orciprenalin steht seit 1992 auf der Dopingliste des Internationalen Olympischen Komitees. Klümper setzt dieses Mittel schon früher ein, gespendet von der Pharmaindustrie.

Alupent ist nicht das einzige umstrittene Mittel, das sich der Sport-Guru schicken lässt. Auch Delta-Myotonal ist darunter, das den Wirkstoff Prednison beinhaltet und verboten ist. Und nichts bleibt ungenutzt. "Selbstverständlich haben wir alle Muster, die Sie uns im Laufe der zwei Jahrzehnte zur Verfügung gestellt haben, in unserer Ambulanz bzw. im Rahmen der Sportmedizin eingesetzt", teilt der Freiburger Professor 1985 mehreren Firmen mit.

Schwarze Kasse

Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre schafft Klümper ein neues System, um Medikamente für den Sport zu besorgen. Ein System, das außer ihm niemand durchschaut, das jeglicher Kontrolle entzogen ist. Der Uni-Arzt schreibt Rezepte wie am Fließband, bis spät in die Nacht. Insgesamt mehr als 25 000 Rezepte im Wert von mehr als 3,2 Millionen Mark, von 1978 bis 1983. Oftmals fingierte Rezepte, mit denen er sich zulasten der Krankenkassen bei zwei Freiburger Apotheken Arzneien beschafft. Die nutzt er für seine Sport-Patienten, oder er verkauft sie mit hohem Rabatt an Vereine und Verbände. Der Bund Deutscher Radfahrer wird versorgt, der Deutsche Leichtathletik-Verband, der Turnerbund, der VfB Stuttgart und andere. Bis hin zur Fußballnationalelf von Malaysia.

Der VfB erhält von 1978 bis 1983 viele Rechnungen mit einem merkwürdigen Passus. Klümper schreibt die Rechnungen auf dem Briefbogen der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität, bittet den VfB aber darum, das Geld "nicht auf die Universitätskasse" zu überweisen. Sondern auf ein Konto bei der Sparkasse Freiburg. Das Konto gehört ihm. Sonst gebe es "erhebliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Ab- und Umbuchung", so der Professor. Das hätte die VfB-Funktionäre stutzig machen müssen. Doch niemand fragt nach, der VfB zahlt anstandslos. Wie alle anderen.

Klümper kassiert auf Kosten der Krankenkassen mindestens knapp 150 000 Mark. Sein Sparkassen-Konto ist eine Art schwarze Kasse für den Sport. Als das auffliegt, notieren Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, es spreche vieles für eine "wohl überlegte und durchdachte Handlungsweise des Beschuldigten Klümper". Er habe zur Schere gegriffen und andere Hilfsmittel genutzt, um seine Lieferscheine und Rechnungen, so zu gestalten, dass die Manipulationen verborgen blieben. Der Mediziner habe seine Unterlagen wohl "bereinigt" und belastendes Beweismaterial beiseitegeschafft.

Mit welchen Arzneien aus seinen Beständen Klümper die Athleten, Vereine und Verbände versorgt, auch bei Wettkämpfen, bleibt offenbar außerhalb jeder Kontrolle. "Eine Aufstellung über die entnommenen Medikamente konnte bisher nicht aufgefunden werden", heißt es in einem Bericht einer Sonderkommission des LKA.

Geld von Puma

Für seine Sporttraumatologische Spezialambulanz treibt Klümper in jenen Jahren noch anderweitig Geld auf, das er auf einem privaten Spendenkonto bei der Sparkasse Freiburg verwaltet. Der Deutsche Sportbund, der Sportkonzern Puma und Pharmafirmen unterstützen den Professor mit insgesamt fast einer halben Million Mark. Klümper kann zusätzlich zu seinem Uni-Etat weitere Mitarbeiter bezahlen und ansonsten offenbar nach Gutdünken über das Geld verfügen. So zahlt Puma, neben Adidas eines der beiden großen Sport- artikelunternehmen in Deutschland, 1982 und 1983 jeweils 46 597,99 Mark für eine Labor-Fachkraft. Als die Fachkraft von der Uni Freiburg übernommen und fortan aus der Staatskasse bezahlt wird, nimmt Klümper trotzdem weiter Geld von Puma für diese Personalkosten.

Bei Puma im fränkischen Herzogenaurach wird das später durch die Ermittlungen bekannt, doch dort stört das niemanden. Vor allem nicht Armin Dassler, den Konzernchef, Sohn des Puma-Gründers Rudolf Dassler und Neffe des Adidas-Gründers Adolf Dassler. Er habe Klümper nie gefragt, was der mit dem Geld macht, sagt Armin Dassler später den Ermittlern aus Baden-Württemberg. Ihm sei gleichgültig gewesen, wofür Klümper das Geld verwendet habe. Er, Dassler, habe nur das Interesse gehabt, dass der Mediziner aus Freiburg in einem Forschungsbeirat von Puma mitarbeite. Der Professor sei bei den Athleten sehr beliebt, und wenn er bei Puma mitmache, bekomme die Firma "beste Schuhe und einen guten Namen", erzählt Dassler.

Der Puma-Chef demonstriert seiner Belegschaft gerne, wie eng sein Verhältnis zum berühmten Professor aus Freiburg ist. Altgediente Puma-Mitarbeiter erzählen bis heute Geschichten wie die, dass sich Dassler damals schon mal vor Angestellten auf den Tisch legt und sich seine Wehwehchen von Klümper erläutern lässt. Der vom Konzernchef initiierte Forschungsbeirat soll darüber nachdenken, "wie man Sport für alle Schichten der Bevölkerung ausbauen kann im Sinne der Volksgesundheit". Dasslers Motto: "Jede Mark, die ein Sportartikelfabrikant verdient", sollte "eine gesunde Mark sein".

Dass der Professor damals schon unter Dopingverdacht steht, stört den Puma-Boss nicht. Die Nadel sei Klümpers liebste Waffe, schreibt der Spiegel im November 1984. Mit ihrer Hilfe spritze der Sporttraumatologe "alle möglichen Arzneistoffe an alle möglichen Stellen". Doch Dassler steht treu zu Klümper, als der wegen der Ermittlungen in finanzielle Not gerät. Anfang 1985 gewährt der Puma-Chef großzügig ein Darlehen seines Konzerns über 295 000 Mark und stellt einen Anwalt für den Sportarzt. Mit der Rückzahlung des Kredits kann sich Klümper Zeit lassen. Anfang der Neunzigerjahre sind noch 100 000 Mark offen. Der Professor bittet Puma um eine längere Zahlungsfrist und bedankt sich nochmals für die "gewährte Unterstützung". Die Details des Darlehens, teilt Puma dazu mit, ließen sich "heute aufgrund fehlender Unterlagen leider nicht mehr rekonstruieren".

Tag und Nacht erreichbar: Klümper mit Zehnkämpfer Jürgen Hingsen (li.) und Turner Eberhard Gienger (re.). (Foto: SZ PHOTO, Imago)

Dopingmittel Megagrisevit

Als der VfB Stuttgart im Sommer 1978 zur Vorbereitung auf die Saison in die USA reist, gibt Klümper den Kickern viele Medikamente mit. Die Liste umfasst 26 Mittel. Mit dabei: zehn Mal 60 Dragees des Anabolikums Megagrisevit. Keine kleine Menge. Anabolika stehen seit 1977 auf der Dopingliste. Megagrisevit könne, sagte der Dopingforscher Perikles Simon kürzlich der ARD, "die Schnellkraft erhöhen, die Regenerationsfähigkeit verbessern und bei einer regelmäßig wiederkehrenden Belastung die Leistung steigern". Die Risiken seien aber vielfältig und gravierend, so der Experte der Universität Mainz: "Es können Leberschäden auftreten, auch andere Organe können in schwere Mitleidenschaft gezogen werden. Hormonsensible Tumorarten können in Entstehung und Wachstum gefördert werden. Um es klar zu sagen: Das Tumor-Risiko wird erhöht."

Bei zwei weiteren Lieferungen an den VfB Stuttgart in den Jahren 1979 und 1980 ist Megagrisevit ebenfalls in den Listen genannt (der VfB hat mittlerweile selbst die Akten eingesehen und prüft nun die damaligen Vorgänge). Einmal erhält auch der SC Freiburg Megagrisevit. Auch der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) bekommt dieses Mittel, zudem stehen drei weitere Anabolika auf der Liste für die Radler. Ein Paket ist gar für die "Betreuung der Jugendlichen und Junioren" gedacht, wie Klümper in einem Schreiben von Ende 1977 notiert. Der damalige Rad-Trainer Karl Link weist das heute zurück; er habe zwar Medizinkoffer aus Freiburg erhalten, aber nie Anabolika. Ein anderer Rad-Helfer, der für die WM-Betreuung der Junioren verantwortliche Mediziner Dirk Clasing, bestätigt hingegen dem WDR, Megagrisevit erhalten zu haben. Es sei aber nicht eingesetzt worden.

Die Freiburger Akten enthalten noch mehr Hinweise auf Doping. Ein Mitglied der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, er ist Apotheker, verschafft sich seinerzeit über Apotheken-Rechenzentren Einblick in zahlreiche Verordnungen von Klümpers Sporttraumatologischer Spezialambulanz und stößt auf "zahlreiche (...) Anabolika", wie das LKA notiert. Bemerkenswert ist auch: Von 1977 bis 1983 stellt der Professor für sich und seine Familie Rezepte im Wert von 43 788,41 Mark aus. Die Familie ist angeblich oft krank. Und braucht auch das Anabolikum Megagrisevit, das bei zwei Lieferungen als "Privatbedarf" vermerkt ist.

Willige Sportverbände

Klümper verfügt über viele Medikamente, die er augenscheinlich nach Gutdünken einsetzen kann. Auch deshalb, weil ihn die Sportverbände gewähren lassen. Der Deutsche Turnerbund (DTB) etwa. Ein Referent des Turnerbundes erzählt den Ermittlern, der wohl größte Teil der Nationalmannschaft sei zum Professor nach Freiburg "zur Behandlung gegangen". Hinterher hätten die Spitzenturner "zum Teil ganze Tüten voll von Medikamenten" mitgebracht. Was da verabreicht wurde, bleibt dem DTB offenbar verborgen. Klümper stellt dem Turnerbund nichts in Rechnung. Der Professor kümmert sich privat um Spitzen- turner wie Eberhard Gienger, Weltmeister am Reck, später Sportfunktionär und heute CDU-Bundestagsabgeordneter.

Anderswo läuft das ähnlich. Beim Deutschen Leichtathletik-Verband, wo Klümper jahrelang Verbandsarzt ist, bringe jeder Mediziner sein "eigenes Material" mit, notieren die Ermittler bei einer Vernehmung. Aufschlussreich sind auch die Recherchen des LKA beim Nationalen Olympischen Komitee (NOK), dessen Präsident Willi Daume wie so viele andere Prominente Patient bei Klümper ist. Das LKA erfährt, dass der Freiburger Professor für die Olympischen Sommerspiele 1976 in Montréal zwar keine volle Akkreditierung erhalten habe. Er sei aber tagtäglich von den verschiedensten Sportlern aufgesucht worden, die er behandelt habe. Die Medikamente für die Olympischen Spiele, sagt ein Arztkollege von Klümper aus, habe der Professor "selbst besorgen müssen", weil das NOK "in dieser Richtung nichts organisiert habe". Der Deutsche Olympische Sportbund, die Nachfolge-Organisation des NOK, wartet auf die Ergebnisse der Untersuchungen in Freiburg und will den Bericht dann "intensiv studieren".

Also auch hier ein System ohne Kontrolle. Klümpers System.

Unterstützung von MV

Einer von Klümpers größten Förderern ist Gerhard Mayer-Vorfelder, genannt MV; Minister für Kultus und Sport in Baden-Württemberg; ab 1975 Präsident des VfB Stuttgart und später Chef des Deutschen Fußball-Bundes. In seinen Rechnungen an den VfB beruft sich Klümper stets auf MV und schreibt ihn dabei konsequent falsch: Maier-Vorfelder. Aber das stört niemanden. Als ein LKA-Ermittler im September 1984 wegen des Klümper-Verfahrens beim Minister vorspricht, schwärmt MV von dem Arzt aus Freiburg. Der genieße bei den Leistungssportlern einen guten Ruf. Einige Spieler des VfB und der Klub-Trainer hätten "beinahe unbegrenztes Vertrauen" in Klümper, protokolliert der LKA-Mann die Aussagen des Ministers.

MV berichtet, er habe sich über die ärztliche Qualifikation Klümpers, dessen "engagierten Einsatz" und seine "neuen Heil- methoden bei Sportverletzungen" informiert. Seine Erfolge hätten honoriert werden sollen. Deshalb habe er, Mayer-Vorfelder, sich in der Regierung für Klümpers Ernennung zum Professor und Chef einer eigenen Abteilung, einer Sportmedizinischen Spezialambulanz, starkgemacht. Dort habe der Mediziner dann seine "Behandlungsmethodik (...) verfeinern" können. MV erzählt, er habe sich auch deshalb für Klümper eingesetzt, weil dieser von der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg "keinerlei Unterstützung zu erwarten hatte". Die Fakultät habe immer wieder Bedenken gegen Klümpers Facharztqualifikation erhoben; dieser sei Radiologe und weder Orthopäde noch Internist.

MV, einer der starken Männer in der Landesregierung, wischt diese Bedenken beiseite. Der Jurist MV lässt nichts auf Klümpers Ärztekunst kommen. Und fügt hinzu, er habe sich vom Physiotherapeuten des VfB versichern lassen, dass es sich bei den von Klümper bezogenen Präparaten "um keine Dopingmittel" handele. Der LKA-Vermerk über die Aussagen von MV endet mit dem Satz, "ich bin in keiner Weise gegenüber Prof. Dr. Klümper verpflichtet". Von dem Sportmediziner sehr angetan ist auch noch ein anderes Regierungsmitglied in Baden-Württemberg: Justizminister Heinz Eyrich lässt sich seit 1979, mit Unterbrechungen, von Klümper behandeln.

Gienger attackiert Ermittler

Als Staatsanwälte und Kriminalbeamte am 3. Mai 1984 um 18.30 Uhr mit einem Durchsuchungsbeschluss Einlass in Klümpers kleines Reich begehren, müssen sie sich gedulden. Der Warteraum ist voll. Die Ermittler erkennen einen Fußballer des 1. FC Köln und einen ZDF-Sportreporter. Nach zwei Stunden führt Klümper die Einsatzkräfte schließlich durch seine Praxis. So steht es im Durchsuchungsbericht. Und so geht es weiter. Ermittelt wird nur wegen Abrechnungsbetrug zulasten der Krankenkassen. Die vielen Doping- spuren werden nicht weiter verfolgt. Die Justiz hält sich hier zurück. Weil das zu viel Wirbel auslösen würde? Der von Klümper versorgte VfB, dem Minister MV vorsteht, wird drei Wochen nach der Durchsuchung deutscher Meister und spielt in der nächsten Saison im Europapokal. Ein Dopingskandal würde da nur stören.

Turn-Weltmeister Gienger, einer der populärsten Sportler im Ländle, schickt am 5. Juni 1984 zusammen mit seiner Frau einen handgeschriebenen Brief an die Freiburger Staatsanwaltschaft. Es sei ein "Trauerspiel", wie Klümper durch unnötige Pressemitteilungen "in den Schmutz gezogen" werde. Die Giengers sind Patienten des Professors. Sie beklagen sich, dass Kriminalbeamte Karteikarten mit "Krankheitsbild, Diagnose und Therapie" der behandelten Personen kopiert hätten. Von Datenschutz könne "ja wohl (...) keine Rede mehr sein". Später ruft Gienger mit weiteren Sportlern zu Solidaritätsbekundungen für Klümper auf und registriert eine "überwältigende" Resonanz. Die angeschriebenen "Sportkameraden" sollen helfen, diesen "Freundeskreis zu vergrößern". "Erinnerst Du Dich noch an die Zeit, als Du verletzt warst und Professor Klümper Deine letzte Rettung war", heißt es in einem Aufruf. "Du hast doch sofort einen Termin bekommen. Nun ist Professor Klümper ,verletzt'. Nun braucht er Dich." Gienger und Kameraden schreiben, sie wollten nicht den "leisesten Verdacht einer Einflussnahme auf ein schwebendes Verfahren erwecken" und deshalb auf öffentliche Aktionen verzichten. Doch die Solidaritätsadressen gehen breit durch die Presse.

Ein Spendenkonto für Klümper füllt sich Ende 1984, Anfang 1985 schnell mit hohen Beträgen. Klümper muss einen Millionenbetrag an die Uni Freiburg, das Land Baden-Württemberg und den Fiskus zahlen. FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß, seine Ex-Mitspieler Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge und andere helfen. Beim FC Bayern ist man besonders aktiv. Einer der Aufrufe ist von Egon Coordes unterzeichnet, damals Co-Trainer des Klubs.

Gienger teilt heute auf Anfrage mit, er habe Klümper als "vertrauenswürdigen und integren Arzt" erlebt, der für seine Patienten "rund um die Uhr" da gewesen sei. Im Nachhinein sei nun nicht auszuschließen, dass der Freiburger Professor als Mediziner letztlich wohl "zwei Seiten" gehabt haben könnte, schreibt Gienger. "An meiner strikten Ablehnung gegenüber Doping - damals, wie heute - hat sich nie etwas geändert." Hat der Turner gewusst, was ihm Klümper verabreichte? "Das kann letztlich wohl kein Patient bei einer Behandlung beantworten, die über 30 Jahre zurückliegt", so Gienger. Er habe nie Anlass gehabt, an Klümpers Integrität zu zweifeln. Und er könne sich kaum vorstellen, "dass ein (bewusst) dopender Arzt ohne Rücksprache mit dem Sportler zu (kostspieligen) verbotenen Substanzen oder Methoden greift".

Einäugige Justiz

Die Staatsanwaltschaft Freiburg klagt Klümper schließlich an, wegen Abrechnungsbetrug von Krankenkassen. Doping spielt keine Rolle. Das Landgericht Freiburg will 1987 das Verfahren gegen eine Zahlung von 120 000 Mark einstellen, ohne öffentliche Verhandlung. Die Staatsanwaltschaft ist einverstanden. Nur weil der Generalstaatsanwalt in Karlsruhe sich widersetzt, kommt es Ende 1988, Anfang 1989 zum Prozess in Freiburg. Das Landgericht verurteilt Klümper zu 160 000 Mark Geldstrafe, würdigt aber dessen Leistungen. Das Urteil liest sich teilweise wie eine Lobeshymne auf den Professor. Er habe sich nicht persönlich bereichert, sondern das Geld genutzt, um eine "Systembetreuung von Leistungssportler aufzubauen, die seinen Vorstellungen entsprach". Welche "Vorstellungen" das waren, interessiert die Justiz nicht. Von Doping ist im Urteil keine Rede, an keiner Stelle, auch beim VfB Stuttgart nicht. Dafür schreibt das Landgericht, der Professor habe "glaubhaft dargelegt", dass er nicht nur die illegal vereinnahmten Mittel, sondern darüber hinaus den überwiegenden Teil seines Privathonorars zum Aufbau seines Instituts eingesetzt habe. Das Institut genieße "auch international einen hervorragenden Ruf". Dabei ist der Dopingverdacht damals längst bekannt.

Ruhige Lage: Armin Klümper ist hierhin nach Südafrika ausgewandert - wo er beharrlich schweigt. (Foto: Tobias Zick)

Der Tod von Birgit Dressel

Im März 1991, gut zwei Jahre nach seiner Verurteilung, rechnet Klümper in der Stuttgarter Zeitung mit "unwissenden Fanatikern, pharisäerhaften Funktionären und bürokratischen Regulatoren" ab. Im Ostblock sei systematisch gedopt worden. Er aber, Klümper, werde des Dopings verdächtigt. Heuchelei sei das. Er habe, außer bei einem Radfahrer, bei dem das aus "rein medizinischen Gründen" geschehen sei (gemeint ist der Fall Strittmatter 1984), nie Anabolika gegeben. Im Gegenteil. Er habe einst sogar das "erste praktizierte Anti- Doping-Reglement" geschaffen.

Ein halbes Jahr später, im Oktober 1991, klingt das ganz anders. In einem Streit bei Gericht um den Tod der Leichtathletikin Birgit Dressel gibt Klümper in einer eidesstattlichen Versicherung zu, er und seine Mitarbeiter hätten Anabolika "rezeptiert oder verabreicht". Das sei aber ausschließlich aus medizinischen Gründen geschehen. Sei es aufgrund einer Diagnose, die den Einsatz eines solchen Präparats erfordert habe. Sei es, "um, in äußerst seltenen Ausnahmefällen, unbelehrbare Athleten vor unkontrolliertem Konsum und gesundheitlichen Schäden zu bewahren". Der Anteil dieser Sportler liege aber "mit absoluter Sicherheit unter einem Prozent".

Die Siebenkämpferin Dressel war am 10. April 1987 im Alter von 26 Jahren nach qualvollen Schmerzen an den Folgen einer toxisch-allergischen Reaktion gestorben, nachdem sie in den beiden Jahren zuvor mehr als 100 Medikamente eingenommen hatte, darunter Anabolika wie Megagrisevit und Stromba. Dressel war bei Klümper jahrelang in Behandlung gewesen. Ein Verfahren gegen unbekannt wegen fahrlässiger Tötung wird eingestellt.

Staatsanwaltschaft schließt Akte

Damit ist die Sache nicht ausgestanden. Die Dopinggegnerin Brigitte Berendonk geht auf Klümper los, der daraufhin bestimmte Vorwürfe verbieten lassen will. Der Professor versichert an Eides statt, weder er noch einer seiner Mitarbeiter hätten Dressel jemals "Dopingmittel rezeptiert oder verabreicht". Als ein Anwalt Klümper daraufhin wegen Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung anzeigt, ermittelt die Staatsanwaltschaft Heidelberg. Der Anwalt verweist auf den Diskuswerfer Alwin Wagner, der als einer von ganz wenigen Athleten offen über Doping redet. Er habe von Klümper oder dessen Assistenzärzten häufig Anabolika-Rezepte erhalten.

Doch die Heidelberger Strafverfolger stellen das Verfahren gegen den Freiburger Professor am 22. September 1995 ein. Es sei nicht auszuschließen, dass Wagner einer der von Klümper beschriebenen unbelehrbaren Athleten gewesen sei. Außerdem habe der Mediziner "plausibel" dargelegt, dass ihm bereits unterschriebene Blanko-Rezepte gestohlen worden sein könnten. Die Sportler könnten also, suggeriert der Professor, sich auf diese Weise hinter seinem Rücken Dopingmittel besorgt haben. Die Ermittler glauben das.

Klümper gibt bei der Justiz den unschuldigen, zerstreuten Professor. "Ich selbst könnte mir von meinem eigenen Konto kein Geld holen", sagt Klümper in einem anderem Verfahren. Nicht mal familiäre Dinge habe er "im Kopf". Es könne ihm passieren, dass er in einer Telefonzelle stehe und seine Frau anrufen wolle, ihm aber deren Nummer nicht einfalle. "Da rufe ich in der Klinik meine Sekretärin an und lasse mir von ihr die Nummer meiner Frau geben."

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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