Doping-Affäre:Die Spur führt bis zu den Olympischen Spielen

Bludoping Labor Erfurt

Blutdopingverdacht: Gut 40 tiefgefrorene Blutbeutel beschlagnahmten Ermittler in einer Erfurter Garage.

(Foto: Zoll)

Das Ausmaß der Blutdoping-Affäre wird größer: Die Ermittler haben inzwischen 21 Kunden des Erfurter Arztes Mark Schmidt identifiziert. Fünf Sportarten sollen betroffen sein.

Von Claudio Catuogno

Drei Wochen sind die Razzien in Seefeld und Erfurt erst her, mit denen deutsche und österreichische Ermittler ein Dopingnetzwerk um den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt auffliegen ließen. Noch sind die gut 40 tiefgekühlten Beutel Sportlerblut, die in einer Erfurter Garage sowie in zwei angemieteten Quartieren bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld beschlagnahmt wurden, nicht den Athleten zugeordnet, die damit Blutdoping betreiben wollten. Trotzdem nimmt die Dimension der "Operation Aderlass" schon jetzt konkret Gestalt an. Doktor Schmidt sitzt in München in Untersuchungshaft, und offenkundig sind die Verhöre ebenso ergiebig gewesen wie die sichergestellten Beweise.

An diesem Mittwoch trat Kai Gräber vor die Medien, der Leiter der Münchner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Doping-Kriminalität. Und sollte irgendjemand im Sport noch die Hoffnung gehabt haben, dass sich der Skandal auf die bereits bekannten Langläufer aus Österreich, Estland und Kasachstan sowie zwei österreichische Radfahrer eingrenzen lassen würde, so ist er jetzt eines Besseren belehrt.

"21 Athleten aus acht Nationen" wurden laut Gräber ermittelt, die bei Schmidt zwischen 2011 und 2019 Eigenblutdoping betrieben haben sollen. Namen nannte der Staatsanwalt keine, aus ermittlungstaktischen Gründen - die konkreten Verdächtigen wissen nämlich noch gar nicht, dass sie verdächtig sind. Auch zu der Frage, ob deutsche Athleten darunter sind, wollte Gräber deshalb nichts sagen. Klar wurde aber, dass Schmidt nicht nur Langläufer und Radsportler betreute.

Insgesamt seien "fünf Sportarten betroffen, von denen drei dem Wintersport zuzurechnen sind". Zwei weitere Winter-Disziplinen rücken also in den Fokus, neben Langlauf. Auch diese sind nicht explizit benannt; vor allem im Biathlon und in der Nordischen Kombination böte sich Blutdoping wohl an.

Und die weitere Sommer-Disziplin: Triathlon. Denn laut Gräber sind Schmidt und seine mutmaßlichen Komplizen - einer davon sein Vater, im Hauptberuf Rechtsanwalt - ihren Klienten nicht nur in Europa an die Loipen und Rennstrecken hinterhergereist, namentlich nach "Deutschland, Österreich, Italien, Schweden, Finnland, Estland und Kroatien". Auch in Südkorea waren sie mit ihrer Bluttankstelle aktiv - im Februar 2018, bei den Winterspielen in Pyeongchang. Und, so Gräber: "auf Hawaii". Hawaii? Da kommt wohl ein Skandal auf den berühmten Ironman zu, zumal Gräber präzisierte: Der entsprechende Wettbewerb auf Hawaii finde "jährlich statt", und üblicherweise nehme man daran "mehr als einmal im Leben" teil.

Die Münchner Doping-Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft, die erste dieser Einrichtungen bundesweit, hatte am Mittwoch ursprünglich bloß ihr zehnjähriges Bestehen feiern wollen mit ein paar Zahlen zu ihrer Bilanz: 7100 Ermittlungsverfahren, 1200 Verurteilungen, die überwiegende Anzahl davon in der Bodybuilding- und Fitnessstudio-Szene. Und Bayerns Justizminister Georg Eisenreich wollte aus diesem Anlass erneut Ergänzungen am Anti-Doping-Gesetz anmahnen, die Bayern seit Jahren erhebt, bislang allerdings vergeblich: Es brauche endlich eine Kronzeugenregelung, mit der aussagewillige Sportler von Strafverfolgung befreit werden könnten; nur so lasse sich das "Kartell des Schweigens" durchbrechen, sagte der CSU-Politiker. Außerdem müsse bereits der Dopingversuch strafbar sein, nicht erst die abgeschlossene Tat.

Aber nun steckt die Behörde eben pünktlich zum Zehnjährigen mitten in diesem Krimi aus dem Kern des Hochleistungsbetriebs - "eine spannende Geschichte mit vielen Wendungen" sei das, sagte Gräber, "bei der die letzten Kapitel längst noch nicht geschrieben sind". Ein Fall, den auch Chefermittler Gräber in dieser Dimension bisher nicht auf dem Schreibtisch hatte.

Die Ermittler belauschen "gleich am ersten Tag relevante Gespräche"

Die Beweislage nannte er: "grandios". Immerhin die ersten Kapitel liegen inzwischen offen da. Ende Januar hatte der österreichische Langläufer Johannes Dürr in einer ARD-Dokumentation geschildert, wie er einst ins Doping abrutschte, den Namen Schmidt nannte er im Fernsehen nicht - allerdings bald darauf, als Gräber ihn in Innsbruck befragte. Schon wenige Tage später zapften die Münchner Ermittler Schmidts Telefon an - und belauschten zu ihrer eigenen Überraschung "gleich am ersten Tag relevante Gespräche".

Da freuten sich Schmidt und ein Komplize, dass Dürr in der ARD nicht über Namen gesprochen hatte, und wähnten sich auf verwunderliche Weise in Sicherheit. Er habe "eh schon Sachen geschreddert", soll Schmidt in dem Telefonat gesagt haben, berichtete Gräber - allerdings waren das wohl bloß Unterlagen zu Dürr. Mit seinen anderen Kunden machte Schmidt munter weiter; insgesamt gehen die Ermittler von einer "dreistelligen Zahl von Fällen" aus, "in denen Blut entnommen oder zurückgeführt wurde". Schon auf eine einzelne dieser Taten stehen laut Gräber zwischen einem und zehn Jahren Haft. Die konfiszierten Blutbeutel werden bisher vom Landeskriminalamt nach Spuren untersucht, etwa nach Fingerabdrücken. Sie danach mit den Blutdatenbanken der Anti-Doping-Agenturen abzugleichen, um ihre Besitzer zu identifizieren, stößt zwar auf einige rechtliche Hürden. Allerdings gab Gräber sich am Mittwoch "sehr zuversichtlich", dass dies am Ende doch gelingen werde.

Zudem gab Gräber bekannt, dass am Montag eine fünfte Person aus dem Erfurter Netzwerk festgenommen worden sei und sich derzeit in Untersuchungshaft befinde. Auch sie soll in Schmidts Auftrag Blutbeutel transportiert und die "Entnahme und Rückführung selbst durchgeführt" haben, ohne medizinische Ausbildung. Da sei "das Stechen nach dem Prinzip learning by doing" praktiziert worden, sagte Gräber - wie auch von anderen Helfern des Arztes Schmidt.

In mindestens einem Fall sei zudem "ein Präparat angewendet" worden, "ohne dass klar war, was drin ist"; bloß, dass es sich um "ein Hämoglobinpulver" handele, habe man gewusst. Das habe man an einem Sportler "ausprobiert" - wegen Nebenwirkungen aber wieder abgesetzt. Ein anderes Mal habe ein Athlet nach der Eigenblut-Behandlung panisch "beide Arme in den Schnee gesteckt", so nahe sei er einem Kreislaufkollaps gewesen. Und sogar unmittelbar vor Langstreckenflügen nach Hawaii oder Korea habe Schmidt Klienten bis zu einen Liter zusätzliches Blut zugeführt - schon wegen der Thrombosegefahr sei das "lebensgefährlich", sagte Gräber. Man dürfe sich nicht davon täuschen lassen, dass es in Schmidts Doping-Garage "ordentlich ausgesehen" habe und "moderne Geräte zum Einsatz kamen".

Von diesen Geräten machte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch auch Fotos öffentlich: die in einem selbstgebauten Garagen-Verschlag entdeckte Tiefkühltruhe für die Blutbeutel, heruntergekühlt auf -79 Grad. Dazu weitere Kühlschränke, Geräte, mit denen sich die roten Blutkörperchen vom Blutplasma trennen lassen, ein Auftaugerät, ein Gerät zum sterilen Verschweißen von Schläuchen, Fläschchen mit diversen Lösungen. Das Horror-Labor des Doping-Doktors. Seine Klienten dürften schon bald ein Gesicht bekommen.

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