Drei Wochen sind die Razzien in Seefeld und Erfurt erst her, mit denen deutsche und österreichische Ermittler ein Dopingnetzwerk um den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt auffliegen ließen. Noch sind die gut 40 tiefgekühlten Beutel Sportlerblut, die in einer Erfurter Garage sowie in zwei angemieteten Quartieren bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld beschlagnahmt wurden, nicht den Athleten zugeordnet, die damit Blutdoping betreiben wollten. Trotzdem nimmt die Dimension der "Operation Aderlass" schon jetzt konkret Gestalt an. Doktor Schmidt sitzt in München in Untersuchungshaft, und offenkundig sind die Verhöre ebenso ergiebig gewesen wie die sichergestellten Beweise.
An diesem Mittwoch trat Kai Gräber vor die Medien, der Leiter der Münchner Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Doping-Kriminalität. Und sollte irgendjemand im Sport noch die Hoffnung gehabt haben, dass sich der Skandal auf die bereits bekannten Langläufer aus Österreich, Estland und Kasachstan sowie zwei österreichische Radfahrer eingrenzen lassen würde, so ist er jetzt eines Besseren belehrt.
"21 Athleten aus acht Nationen" wurden laut Gräber ermittelt, die bei Schmidt zwischen 2011 und 2019 Eigenblutdoping betrieben haben sollen. Namen nannte der Staatsanwalt keine, aus ermittlungstaktischen Gründen - die konkreten Verdächtigen wissen nämlich noch gar nicht, dass sie verdächtig sind. Auch zu der Frage, ob deutsche Athleten darunter sind, wollte Gräber deshalb nichts sagen. Klar wurde aber, dass Schmidt nicht nur Langläufer und Radsportler betreute.
Insgesamt seien "fünf Sportarten betroffen, von denen drei dem Wintersport zuzurechnen sind". Zwei weitere Winter-Disziplinen rücken also in den Fokus, neben Langlauf. Auch diese sind nicht explizit benannt; vor allem im Biathlon und in der Nordischen Kombination böte sich Blutdoping wohl an.
Und die weitere Sommer-Disziplin: Triathlon. Denn laut Gräber sind Schmidt und seine mutmaßlichen Komplizen - einer davon sein Vater, im Hauptberuf Rechtsanwalt - ihren Klienten nicht nur in Europa an die Loipen und Rennstrecken hinterhergereist, namentlich nach "Deutschland, Österreich, Italien, Schweden, Finnland, Estland und Kroatien". Auch in Südkorea waren sie mit ihrer Bluttankstelle aktiv - im Februar 2018, bei den Winterspielen in Pyeongchang. Und, so Gräber: "auf Hawaii". Hawaii? Da kommt wohl ein Skandal auf den berühmten Ironman zu, zumal Gräber präzisierte: Der entsprechende Wettbewerb auf Hawaii finde "jährlich statt", und üblicherweise nehme man daran "mehr als einmal im Leben" teil.
Die Münchner Doping-Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft, die erste dieser Einrichtungen bundesweit, hatte am Mittwoch ursprünglich bloß ihr zehnjähriges Bestehen feiern wollen mit ein paar Zahlen zu ihrer Bilanz: 7100 Ermittlungsverfahren, 1200 Verurteilungen, die überwiegende Anzahl davon in der Bodybuilding- und Fitnessstudio-Szene. Und Bayerns Justizminister Georg Eisenreich wollte aus diesem Anlass erneut Ergänzungen am Anti-Doping-Gesetz anmahnen, die Bayern seit Jahren erhebt, bislang allerdings vergeblich: Es brauche endlich eine Kronzeugenregelung, mit der aussagewillige Sportler von Strafverfolgung befreit werden könnten; nur so lasse sich das "Kartell des Schweigens" durchbrechen, sagte der CSU-Politiker. Außerdem müsse bereits der Dopingversuch strafbar sein, nicht erst die abgeschlossene Tat.
Aber nun steckt die Behörde eben pünktlich zum Zehnjährigen mitten in diesem Krimi aus dem Kern des Hochleistungsbetriebs - "eine spannende Geschichte mit vielen Wendungen" sei das, sagte Gräber, "bei der die letzten Kapitel längst noch nicht geschrieben sind". Ein Fall, den auch Chefermittler Gräber in dieser Dimension bisher nicht auf dem Schreibtisch hatte.