Tennisprofi Novak Djokovic:"Soll das ein Witz sein?"

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"Mein Niveau war wirklich sehr, sehr schlecht": Novak Djokovic gibt sich selbstkritisch nach der Niederlage. (Foto: Mark J. Terrill/dpa)

Die Tennissaison 2024 bleibt überraschend: Novak Djokovic verliert die Nerven, legt sich in Indian Wells erst mit dem Schiedsrichter an und wird dann vom unbekannten Italiener Luca Nardi besiegt - mit den eigenen Mitteln.

Von Gerald Kleffmann

Novak Djokovic schlug auf, es stand 4:6, 2:0 aus seiner Sicht, sein Gegner hatte Breakball, den vierten in diesem Spiel. Djokovics erster Aufschlag landete nicht im Feld, der zweite dann schon, allerdings so knapp an der T-Linie, dass Luca Nardi den Ball nur zurück chippte und stehen blieb. Er hatte für eine halbe Sekunde gedacht, er sei im Aus gewesen, blitzschnell aber erlief er daraufhin den kurz gespielten Ball und schob ihn vorbei - an Djokovic, der seinerseits den Ballwechsel komplett abgebrochen hatte und verdutzt zum Stuhlschiedsrichter blickte. "Warum um alles in der Welt stoppt er da plötzlich?", rief erstaunt der Fernsehkommentator von Tennis TV aus.

Die Antwort gab Djokovic umgehend auf dem Platz: Er forderte den Schiedsrichter auf, ihm den Punkt zuzusprechen, da Nardi ihn mit dessen Manöver irritiert hätte. Im Tennis gibt es diese Regel ("Hindrance"), niemand darf den Gegner etwa durch Rufe, Geräusche oder wilde Gesten absichtlich stören. "Das ist für mich kein Grund für eine Behinderung", erwiderte ruhig der Schiedsrichter in einer längeren Debatte, worauf Djokovic herausrutschte: "Soll das ein Witz sein?" War es nicht, letztlich musste er die Entscheidung hinnehmen, was ihn sichtlich verärgerte. Begleitet von Pfiffen trottete er weg.

"Ich werde diesen Moment für immer in mir bewahren": Luca Nardi nach dem Sieg gegen Novak Djokovic. (Foto: Mark J. Terrill/AP)

Die Szene war keineswegs spielentscheidend, der 36 Jahre alte Serbe gewann sogar den zweiten Satz 6:3, doch nach einer Matchdauer von zwei Stunden und zehn Minuten sicherte sich Nardi den dritten Satz 6:3. Nach seinem Ass zum Sieg ließ der Italiener, 20 Jahre alt, Nummer 123 der Weltrangliste, nur als Lucky Loser, als Nachrücker aus der Qualifikation ins Hauptfeld des Masters-Turniers in Indian Wells gerückt, seinen Schläger fallen, schlug die Hände vors Gesicht. Für Nardi war es logischerweise der spektakulärste Erfolg seiner jungen Karriere.

Er wusste nicht mal, dass er nun auf den Amerikaner Tommy Paul trifft, schließlich hatte er selbst nicht damit gerechnet, sich Gedanken über einen nächsten Gegner machen zu dürfen. Djokovic, mit 24 Grand-Slam-Siegen der erfolgreichste Profi im Männertennis, war ja bisher Lichtjahre von ihm entfernt, als Achtjähriger hatte sich Nardi ein Poster seines Idols an die Wand gehängt. Dieses habe er immer noch. "Ich werde diesen Moment für immer in mir bewahren", sagte Nardi nach dem Sieg, zu dem auch Djokovic gratulierte: "Er hat es verdient, zu gewinnen", sagte der Weltrangliste-Erste und ergänzte sofort in eigener Sache: "Ich war eher von meinem Niveau überrascht. Mein Niveau war wirklich sehr, sehr schlecht."

Neun der letzten 13 Gegner, die Djokovic besiegen konnten, wurden in den 2000er Jahren geboren

Er hatte tatsächlich nicht nur Nerven in der kalifornischen Wüste gezeigt, sondern auch spielerische Schwächen offenbart. Von dominanten Auftritten wie in seiner noch gar nicht so lange zurückliegenden Saison im vergangenen Jahr wirkte er jedenfalls weit entfernt. "Ich habe einige wirklich schreckliche Fehler gemacht", gab er zu, im dritten Satz sei er "nicht sehr am Ball dran" gewesen. Er wolle sein Spiel noch mal genau analysieren, das klang nach tieferen Sorgen. In dieser Saison findet er bisher nicht seine gewohnte Klasse.

Bei den Australian Open wollte Djokovic zum elften Mal triumphieren, unterlag dann aber eher deutlich als eng dem späteren Sieger Jannik Sinner aus Italien. Seitdem ließ er alle folgenden Turniere aus, kam somit ohne aktuelle Matchpraxis in die USA und quälte sich in Indian Wells sogleich in seiner Auftaktpartie, nach einem Freilos, gegen den Australier Alexander Vukic in drei Sätzen in die dritte Runde. "Natürlich war ich zu Beginn ein bisschen nervös, weil ich über fünf Wochen kein Match gespielt habe", räumte er ein und erklärte seine Strategie, wie er in Form kommen wolle: "Ich glaube, dass mein Spiel im Verlauf des Turniers auch besser werden wird, ich selbstbewusster sein werde und meine Chancen habe, im Turnier weit zu kommen. Ich muss es Schritt für Schritt angehen." Auch nach dem Scheitern rechtfertigte er seinen Weg, nunmehr weniger Turniere zu bestreiten, doch er erkannte auch ein Dilemma: "Es ist kein tolles Gefühl, wenn man dann sehr früh ausscheidet."

Bemerkenswert an Djokovics Niederlage ist überdies, dass neun seiner letzten 13 Gegner, die ihn besiegen konnten, in den 2000er-Jahren geboren wurden. Und erstaunlich, dass in Lorenzo Musetti und Sinner zwei weitere Italiener zu diesem Kreis zählen. Nardi war nun das jüngste Beispiel, wie Djokovic beizukommen ist, nämlich mit Mut, Geduld und Präzision. Wenn man so will, also mit Djokovics eigenen Mitteln. Und diese neue Generation glaubt auch an sich: "Ich habe mich auf mich fokussiert und das, was ich zu tun habe", sagte Nardi und stellte beglückt fest: "Vor dieser Nacht kannte mich niemand." Jetzt weiß sogar der Mann auf dem Poster, wer er ist.

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