Neapel trauert um Diego Maradona:Noch einmal die volle Ladung Liebe

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Flutlicht die ganze Nacht: Fans trauern in Neapel um Diego Armando Maradona (Foto: dpa)

Dank Maradona feierte Neapel einst seine größten Erfolge, nach seinem Tod leuchtet das Stadion die ganze Nacht. In den Nachrufen spiegeln sich die Geschichten einer Generation, die mit ihm gewachsen ist.

Von Oliver Meiler, Rom

In Neapel muss immer alles raus, auf die Straße, Freud und Leid, der ganze Zirkus des Lebens. Als die Nachricht vom Tod von Diego Armando Maradona über die Stadt kam, diesem Erlöser vieler ewiger Komplexe des Südens, konnte auch der Lockdown nichts ausrichten: Neapel ist "Zona rossa", höchste Risikostufe. Die Trauer musste raus, geteilt ist sie wohl nur halb so groß. Unterdessen weinten in den italienischen Fernsehstudios gestandene Männer zügellos, etwa Gianluca Di Marzio auf Sky Sport, ein bekannter Kommentator des Senders, 46, aus Castellammare di Stabia bei Neapel. Er sei auch wütend, sagte er immer wieder, weil Maradona "uns" noch so viel mehr hätte geben können, als Fußballer, als Trainer, als Leader, irgendwie, wenn er sich nicht weggeworfen hätte. Verfolgt von seinen Dämonen.

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Für den Rest der Welt war Maradona ein Ausnahmesportler. Für die Argentinier aber war er mehr. Sie beteten sogar zu ihm, aus Spaß, schon klar. Gleichzeitig aber war Maradona immer auch eine ernste Angelegenheit.

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In den Quartieri Spagnoli, dem schwierigen Armenviertel im Herzen Neapels, strömten sie hinauf zum wohl bekanntesten Murales von Diego, eine ganze Hausfassade groß, und zündeten Kerzen an, auch solche mit Heiligenbildchen waren dabei, jemand brachte Feuerwerk mit. Der Schrein, der da eingerichtet ist für den "neapolitanischsten Argentinier" aller Zeiten, wie sie ihn nannten, weil er symbiotisch mit der Stadt verschmolzen war, im Guten wie im Bösen - er steht auf einem trüben Parkplatz. Das sieht man aber nur am Tag. Böller und Rauchpetarden, auch das gehört zur Trauer. Der Star war dem Bauch der Stadt so nah, wie es keiner vor ihm war.

Die Stadtverwaltung stellte die Scheinwerfer des Stadio San Paolo an, die ganze Nacht lang. Wie ein Raumschiff stand es in der Stadt, hell beleuchtet in der Dunkelheit, und wer darin keine Metapher auf eine Himmelfahrt erkennen mochte, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Natürlich ist immer alles heillos überdreht in Neapel, aber was ist die Stadt echt, ebenfalls heillos. Luigi de Magistris, der Bürgermeister, versicherte schon einige Stunden nach Maradonas Tod, dass die Stadt das Stadion nach ihm benennen werde: "Stadio Diego Armando Maradona". Er habe ein Eilverfahren eingeleitet, sonst vergehen ja mindestens zehn Jahre, bis Straßen, Plätze und Fußballstadien nach einem Verstorbenen getauft werden dürfen. Der ganze Zirkus des Lebens eben.

Eine Zeitung schreibt, Maradona sei "L'amico geniale" der Neapolitaner, in Anlehnung an die "Geniale Freundin", dem Weltbestseller von Elena Ferrante. Man sei nun Waisen. In allen Nachrufen spiegeln sich die Geschichten einer Generation, die mit ihm gewachsen ist. Roberto Saviano etwa, der Autor von "Gomorrha" und Neapolitaner, schreibt in der Repubblica, er sei sieben Jahre alt gewesen, als Napoli 1987 zum ersten Mal in seiner Geschichte Meister wurde, mit und dank Maradona, und zehn, als das Wunder sich noch einmal und zum bisher letzten Mal wiederholte - "als erstes und einziges Team aus dem Süden des Landes".

Maradona wurde erdrückt von der Liebe der Neapolitaner

"Maradona war unsere Befreiung", schrieb er. Die Befreiung des belächelten, zurückgebliebenen Mezzogiorno, seine Revanche über den Norden, über Mailand und Turin, über Milan und Juventus. Maradona überwand "la Giuve", wie er zur Juve sagte, phonetisch: Tschuvve. Mit diesem argentinischen Akzent. Die Juve von Michel Platini, Gaetano Scirea, Michael Laudrup. Wahrscheinlich finden sie auch noch Straßen und Piazze, die sie nach ihm benennen.

Nur schon, dass der Beste damals Neapel auswählte, Napoli!, wusch Jahrzehnte der Geringschätzung und neobourbonischen Selbstbemitleidung weg. Corrado Ferlaino, der ehemalige Präsident des Vereins, der Maradona mit nicht ganz sauberen Verhandlungstricks und einem Großengagement der Banken aus Barcelona nach Neapel geholt hatte, sagt nun: "Er war ein Genie, und ein Genie lebt nun mal nicht das Leben eines normalen Menschen." Da ist alles drin.

Neapel vergab seinem "Dieci" alle Exzesse, auch sein Leichtsinn mit den Giulianos, dem Camorraclan aus Forcella, die sich mit ihrem Kokain etwas vom Ruhm des zerbrechlichen Goldjungen abschnitten. Das Foto, das Maradona in der Goldwanne in Muschelform der Giulianos zeigt, prangt nun wieder in allen Zeitungen. Die Widersprüche in der Figur werden nicht verschwiegen, wie das sonst immer passiert, gerade in Italien: Maradona war nun mal ein Sohn des Volkes. Er wurde erdrückt von der Liebe der Neapolitaner, sie haben ihm die Luft zum Atmen genommen. Il Mattino, die Zeitung der Neapolitaner, schreibt schlicht "Grazie" über seine erste Seite.

Regisseur Paolo Sorrentino ("La Grande Bellezza"), der in diesen Tagen in den Straßen von Neapel die letzten Szenen seines neuen Films "È stato la mano di Dio" gedreht hat, sagte es so: "Gott ist nicht tot, er fuhr nur weg für ein Auswärtsspiel." Mit dem hell beleuchteten Raumschiff draußen in Fuorigrotta.

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