DFB-Sieg in der EM-Qualifikation:Neuer verhindert Gibraltars Tortraum

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"Eine unglaubliche Parade": Manuel Neuer hält gegen Liam Walker. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Das EM-Qualifikationsspiel des DFB gegen Gibraltar hält Überraschungen parat: Der Torwart vereitelt Liam Walkers Aufstieg zum Nationalhelden - und reist wegen Kniebeschwerden ab. Joachim Löw verspürt erheblichen Ärger über seine Elf.

Von Thomas Hummel, Nürnberg

Liam Walker ist herumgekommen in der Welt. Nach Atlético Zabal, Linense und San Roque in Spanien ging es über Portsmouth in Englands dritter Liga zu Bnei Yehuda in Israel. Dort erzielte er in der höchsten Spielklasse sogar ein Tor, doch nun ist er zurück in der Heimat. Auf dem kleinen Felsvorsprung der iberischen Halbinsel, der sich seit Jahrhunderten Gibraltar nennt. Sein aktueller Klub heißt Lincoln Red Imps Football Club.

Liam Walker nun war am Freitagabend gegen 21.30 Uhr ein Nationalheld. In seinen Gedanken jedenfalls. Für einen Moment. Der Moment mag nicht lange genug gewesen, um sich auszumalen, was alles geschehen würde: auf den Schultern getragen das Feld verlassen, Audienz bei der Queen, Bronzestatue eingelassen in den Affenfelsen. Vor alldem und vielleicht noch mehr stand Liam Walker, nachdem er mit seinem linken Fuß den Ball ideal getroffen hatte und die Kugel durch die kühle Nürnberger Luft Richtung deutsches Tor rauschte.

"Um ehrlich zu sein: Ich dachte, er geht rein", sollte der 26-Jährige später sagen. Um ehrlich zu sein: So, wie der Ball flog, dachten das viele, es hallte ein mächtiges "Ouuhh" der 40 000 Zuschauer durch das Stadion. Es wäre das erste Tor für Gibraltar in einem Pflichtspiel gewesen. In Deutschland. Beim aktuellen Weltmeister. Doch Walkers Tortraum zerschellte an einem Mann, der aktuell so viele Torträume zerschellen lässt, wie kein anderer: an Manuel Neuer. "Er holt eine unglaubliche Parade heraus", sagte Walker.

Manuel Neuer verhinderte in dieser Szene kurz vor der Pause mit einer Welttorhüter-Aktion einen geschichtsträchtigen Gegentreffer. In der zweiten Halbzeit musste er noch einmal gegen diesen Walker vom Lincoln Red Imps Football Club klären. Ob er sich bei diesen Szene wehtat, blieb im Stadion ungeklärt. Am nächsten Tag meldete der DFB, dass Neuer "aufgrund von Beschwerden im rechten Kniegelenk" abgereist sei. Näheres wurde nicht bekannt. In Nürnberg war davon nicht die Rede gewesen, und deshalb auch nicht der Grund, warum vor allem Bundestrainer Joachim Löw erheblichen Ärger verspürte.

Die deutsche Nationalmannschaft siegte in Nürnberg am Freitagabend gegen den Fußball-Neuling Gibraltar mit 4:0. Es war der erst zweite Sieg in der Qualifikationsgruppe D, wo die Deutschen nun mit sieben Punkten auf Platz drei stehen, gleichauf mit Irland und Schottland. Der Erfolg gegen die zu einem Großteil aus Halbprofis und Amateuren zusammengestellten Gibraltarer vermochte allerdings niemanden zu beglücken.

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Löw eröffnete die anschließende Pressekonferenz mit finsterer Miene: "Ich bin nicht zufrieden, weil ein 4:0 ganz einfach für uns zu wenig ist und zu wenig Tore gefallen sind. Ich hätte mir von der Mannschaft mehr erwartet." Vor allem die zweite Halbzeit, in der seine Spieler kaum mehr eine richtige Torchance herausgespielt hatten, sorgte für Unmut. "Wir haben nicht mehr dieses Tempo gespielt und sind nicht mehr diese Wege gegangen, die wir unbedingt hätten gehen müssen", erklärte Löw.

Es muss schon Bemerkenswertes passiert sein, dass der Bundestrainer nach einem solchen Kick überhaupt ein fachspezifisches Urteil über seine Mannschaft fällen musste. Eigentlich sollte es als Show in die DFB-Geschichte eingehen. Vom Europäischen Fußball-Verband Uefa als Pflichtspiel getarnte Show, denn in dessen um jeden Preis aufgeblähten Programm darf Gibraltar nun auch in der Qualifikation zur EM 2016 mitspielen.

Es spielten sich nie gesehene Szenen bei einem offiziellen Länderspiel ab. Mit dem Anstoß zogen sich zehn Feldspieler in roten Trikots mit einer innovativen Schwarm-Taktik zurück an den eigenen Strafraum. Nach dem ersten deutschen Angriffsversuch wurden die Zuschauer schon nach neun Sekunden von einem Befreiungsschlag ins Nichts überrascht, wobei Walker bereits hier seine Schusstechnik mit der linken Klebe andeutete. Bis 30 Meter vor dem Tor mussten sich die Deutschen vorkommen, als wären sie noch beim Aufwärmen, kein Gegenspieler weit und breit. Doch dann warteten 20 Beine aus Gibraltar samt Körpern und Köpfen. Das Umspielen derselben stellte sich dann als schwieriger heraus, als so mancher Beobachter das vorher erahnt hatte. Eigentlich sollte ja diesmal der DFB-Torrekord von 16:0 aus dem Jahre 1912 (gegen Russland) fallen.

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Rekorde fielen nur in statistischen Details. Toni Kroos hatte irgendwann mehr Ballkontakte als ganz Gibraltar, der Ballbesitz übertraf sogar manches Spiel der Guardiola-Bayern. In der ersten Halbzeit reichte es immerhin zu Toren von Thomas Müller (12., 29.) und Mario Götze (38.). Nach der Pause traf allerdings überhaupt kein Deutscher mehr ins Tor, Yogan Santos vom Erstligisten Manchester 62 lenkte noch einen Ball ins eigene Netz (67.). "Wir haben nicht mehr die Positionen gehalten, sind viel zu lange mit dem Ball gelaufen und haben eine sehr schlechte zweite Halbzeit gespielt", hielt Jérôme Boateng fest.

Die eigentlich sehr gut gelaunten Zuschauer ("Die Nummer eins der Welt sind wir!") begannen in den letzten Spielminuten, Kritik zu äußern. Thomas Müller, der dieser Partie Sinn und Verstand absprach, reagierte darauf trotzig: "Es ging ja eigentlich, sie haben erst in der 85. Minute angefangen zu pfeifen." Es sei ja nicht das erste Mal, "dass wir bei einem Heimländerspiel ausgepfiffen werden. Trotzdem haben wir uns durchgerungen, sind zur WM gefahren und wollten den Titel holen. Wir werden uns nicht unterkriegen lassen."

Toni Kroos erklärte schulterzuckend, die Mannschaft habe nicht flüssig genug kombiniert, um die Gegner aus Gibraltar häufiger auszuspielen. "So gewinnen wir halt 4:0. Wenn wir 10:0 gewinnen, dann 10:0." Egal. Am Dienstag geht es nun zum größtmöglichen Kontrastprogramm. Dann wartet in Vigo der Weltmeister-Vorgänger Spanien. Die ausgelaugt und uninspiriert wirkenden Deutschen wollen sich dort noch einmal aufraffen, um das Jahr 2014 würdig zu beenden.

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Einige der Zollbeamten, Lagerarbeiter, Lehrer und Polizisten trugen bereits auf dem Feld ihre Trophäen mit sich: das deutsches Trikot ihres Gegenspielers. Torwart Jamie Robba war gleich über das ganze Feld gelaufen, um Manuel Neuer zum Tausch zu bewegen. Der vertröstete ihn auf den Kabinengang. Ob sie denn nun immer so eine Leistung bringen könnten, fragte ein Reporter aus der Heimat? Auch jede Woche in der Liga? "Das geht nicht jedes Mal", wehrte Liam Walker ab, "wir haben viele Halbprofis in der Mannschaft, sie brauchen Zeit, um sich zu erholen." Er und seine Kollegen werden den Abend von Nürnberg so schnell nicht vergessen.

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