Rot-Weiss Essen im DFB-Pokal:"Wir können uns nicht mal richtig freuen, so kaputt sind wir"

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Der Rasen nur noch ein Acker, aber der beste Treffpunkt zum Feiern: Essens Spieler nach ihrem Sensationssieg gegen Bayer Leverkusen im Achtelfinale des DFB-Pokals. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Der Regionalligist zermürbt den Bundesliga-Klub Bayer Leverkusen und zieht ins Viertelfinale ein. Am Ende zittert Essen vor allem vor dem Videobeweis.

Von Ulrich Hartmann, Essen

Das Pokalwunder von Essen drohte kurz vor der Vollendung in einem Transporter vor dem Stadion zu zerplatzen. Darin saß der Videoassistent Tobias Reichel und hatte den Schiedsrichter Daniel Schlager darüber informiert, dass der vermeintliche Siegtreffer des Viertligisten Rot-Weiss Essen drei Minuten vor dem Ende der Verlängerung vielleicht deshalb nicht zählen durfte, weil im Spielzug zuvor Bayer Leverkusens Jeremie Frimpong im Essener Strafraum womöglich gefoult worden war und Anspruch auf einen Elfmeter hatte.

Schlager überprüfte die Szene auf dem Monitor am Spielfeldrand. Die Essener zitterten. Sie schwankten im Achtelfinale zwischen Himmel und Hölle. Es war das erste Spiel mit Videobeweis in der Essener Vereinsgeschichte und drohte ausgerechnet auf diese Art ein empfindlicher Schlag zu werden. Doch es gab keinen Strafstoß für Leverkusen. Essens Treffer zum 2:1 (0:1, 0:0)-Sieg nach Verlängerung durch Simon Engelmann in der 117. Minute behielt Gültigkeit. In der 105. Minute hatte Leon Bailey Leverkusen mit 1:0 in Führung gebracht, in der 108. Minute hatte Oguzhan Kefkir für die unermüdlichen Essener ausgeglichen. Rot-Weiss zieht als Regionalligist ins Viertelfinale ein. Und der Bundesligist Leverkusen blamierte sich.

"Es wäre extrem bitter für uns gewesen, wenn unser Siegtreffer wieder aberkannt und stattdessen ein Elfmeter für Leverkusen gegeben worden wäre", sagte Essens Trainer Christian Neidhart, noch ein bisschen unter Schock stehend. "Dann wären wir ins Bodenlose gefallen." So aber bleibt Essen in Pflichtspielen unbesiegt seit dem 1. Februar 2020.

Vier Mal hatten die Leverkusener in der regulären Spielzeit den Pfosten getroffen, noch häufiger hatte Essens Torwart Daniel Davari den Ball pariert. "Unfassbar", sagte er atemlos hinterher bei Sky, "wir können uns nicht mal richtig freuen, so kaputt sind wir." Zwei Stunden lang hatten sie den Leverkusenern erbitterten Widerstand geleistet und den Bundesligisten mit zwei Treffern am Ende kühl abserviert.

Leverkusen verzweifelt am Pfosten und RWE-Torwart Davari

Auch den Programmgestaltern hatten die Essener mit dem spektakulären Spiel eine lange Nase gezeigt, denn obwohl sie in der ersten Runde schon den Bundesligisten Arminia Bielefeld und in der zweiten Runde den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf aus dem Pokal geworfen hatten, entschied man sich in der ARD statt für diesen potenziellen Pokalkrimi für eine Live-Übertragung der Partie zwischen Borussia Dortmund und dem Zweitligisten SC Paderborn.

Leverkusens Trainer Peter Bosz hatte eine erstklassige Startelf mit den vier Stürmern Leon Bailey, Lucas Alario, Patrik Schick und Karim Bellarabi aufgestellt. Drei Mal in den vorangegangenen vier Spielen hatten die Leverkusener keinen Treffer erzielt, und auch in Essen war eine schnelle Entscheidung nicht zu erreichen. Rot-Weiss war für Leverkusen kein Fast Food, am Ende sollten sie sich gar an ihnen verschlucken.

Leverkusen hatte natürlich viel mehr und viel bessere Chancen. Patrik Schick setzte den Ball per Kopf an den Pfosten (24.), Charles Aranguiz prüfte Davari (29.), und Moussa Diaby schoss in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit knapp vorbei. Essen wehrte sich nicht nur tapfer, sondern auch spielerisch. Diaby traf in der 50. Minute wieder nur den Pfosten. Edmond Tapsoba scheiterte in der 52. Minute an Davari, genauso wie Bailey in der 60. Minute. Den dritten Pfostentreffer markierte Diaby in der 89. Minute, den vierten Aranguiz im Nachschuss.

Als Bailey traf, schien alles entschieden zu sein. Doch dann nahm das Pokalwunder von Essen seinen Lauf. Hinterher hupten sich die ausgesperrten Fans rund ums Stadion in ihren Autos die Hände wund.

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