Sami Khedira bei Hertha BSCStaatsmann im sportlichen Krisengebiet

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Soll auch mit seinen Fähigkeiten als Anführer in Berlin wirken: Sami Khedira.
Soll auch mit seinen Fähigkeiten als Anführer in Berlin wirken: Sami Khedira. (Foto: REUTERS)

Titelsammler Sami Khedira wird Hilfsarbeiter im Berliner Abstiegskampf. Warum tut der Weltmeister von 2014 das? Zweifel an seiner Verpflichtung versucht er zu zerstreuen.

Von Thomas Hürner, Berlin/Hamburg

Na wenn das mal nicht der Glamourfaktor ist, der eines Big City Club würdig ist. Oder? Sami Khedira, bis vor kurzem wohnhaft in der Altstadt Turins, inmitten der Palazzi und umgeben vom malerischen Alpen-Panaroma, stieg am Sonntag aus einem südkoreanischen Mittelklassewagen und fand sich auf einem Steinbruch in Berlin-Tegel wieder. Anders lässt sich die Umgebung kaum beschreiben, die den ersten Filmaufnahmen seiner Ankunft in der Hauptstadt als Kulisse diente. Khedira ging vorbei an rostigen Baugerüsten, einem Container voll mit Gerümpel und dann in ein Gebäude mit bröckelnder Fassade, was für zynische Beobachter des Fußballsports schon eine gewisse Symbolik gehabt haben dürfte: Herzlich Willkommen bei Hertha BSC, Herr Khedira, und viel Erfolg bei den anstehenden Aufgaben!

Irgendwo in diesem Verschlag sollte Khedira seine medizinischen Tests absolvieren, das Letzte, was seinem Wechsel zu diesem Zeitpunkt noch im Wege stand. Ein obligates Prozedere, das nur selten Überraschungen bringt, doch in diesem Fall schien der Ausgang ungewiss. Über Jahre war der Mittelfeldmann Khedira, 33, zuverlässig unterwegs wie ein alter Volvo, Kilometer um Kilometer hat er zurückgelegt, bis irgendwann fast nichts mehr ging. Der TÜV verlief aber offenbar reibungslos. Am Montag teilte der Klub mit, dass der 77-malige deutsche Nationalspieler bis Saisonende bei der Hertha angeheuert hat.

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"Ich will Verantwortung übernehmen", sagte Khedira

Keine 24 Stunden später saß er dann vor einer Kamera, um sich in Berlin vorzustellen. Erklärungsbedürftig erschien die neue Konstellation ja schon: Khedira, einer der erfolgreichsten deutschen Spieler der jüngeren deutschen Fußballgeschichte, soll sich als Nothelfer bei einem der aktuell erfolglosesten Teams der Bundesliga verdingen. Warum tut er das? "Ich will spielen, ich will Verantwortung übernehmen, ich will was erreichen", so lautete der Dreiklang, den Khedira als Hauptgrund für sein Engagement im sportlichen Krisengebiet entsendete. In gewisser Weise schließt sich für ihn damit ein Kreis: Sein erstes Spiel als Profi machte Khedira einst im Berliner Olympiastadion, damals noch im Trikot des VfB Stuttgart, auf dem Rücken die Nummer 28 - dieselbe Nummer, die er bei Hertha BSC tragen wird.

Zugleich ist die 28 auch die exakte Anzahl der Minuten, die Khedira in den vergangenen 14 Monaten professionellen Fußball gespielt hat: Im italienischen Pokal für Juventus, wo sie ihn jahrelang für seine staatsmännische Spielweise im Mittelfeld schätzten, für seine Routine und Disziplin. Doch der "Teutone", wie sie ihn im Piemont riefen, verlor mit zunehmenden Alter seine Unverwüstlichkeit. Die Adduktoren, das Knie, Khedira fiel immer wieder verletzungsbedingt aus, sogar am Herzen hat er sich operieren lassen müssen. "Grazie di tutto, Sami!", schrieb die Juve zum Abschied, Danke für alles. Aber nach fünf Meistertiteln in Serie war es Zeit zu gehen. Ablösefrei, trotz laufenden Vertrags.

Bei Hertha wird eine Führungspersönlichkeit dringend benötigt

Es gab daher innerhalb der herthanischen Leidensgemeinschaft durchaus Bedenken, ob Khedira behilflich sein kann, doch den Zweiflern hielt er am Dienstag eine klare Ansage entgegen. Wer bis zuletzt mit den Ronaldos dieser Welt trainiert habe, sagte Khedira, der "verliert nicht an Fitness, nicht an Qualität". Es waren die Worte einer Führungspersönlichkeit, die im Gefüge der Hertha dringend benötigt wird. Abermillionen wurden für Mittelfeldspieler wie Lucas Tousart oder Santiago Ascacíbar ausgegeben, aber keiner von ihnen tat sich als integrative Kraft hervor, weder auf dem Platz noch in der Kabine. Die verfehlte Transferpolitik sowie die sportliche Misere, die Hertha auf Tabellenplatz 15 stürzen ließen, hatten jüngst zur Folge, dass Sportdirektor Michael Preetz und Trainer Bruno Labbadia beurlaubt wurden.

Jetzt soll also der Altmeister Khedira helfen, der vor seiner Zeit in Turin ein Königlicher bei Real Madrid war und mehr Titel vorweisen kann, als alle Hertha-Spieler zusammen. Wie sehr sich die Berliner einen Spieler mit seinem Renommee ersehnt haben, wurde deutlich, als der bei der Presserunde ebenfalls anwesende Arne Friedrich das Wort ergriff. Der neue Sportdirektor rief freudig ins Mikro: "Ich sitze hier neben einem Weltmeister - wir sind unglaublich froh und stolz!" Ähnlich euphorisch war Friedrich zuvor schon, als er der Öffentlichkeit seinen zweiten Winter-Transfer präsentierte, den hierzulande nicht ganz so bekannten Serben Nemanja Radonjic.

Der Flügelangreifer, der für ein halbes Jahr von Olympique Marseille ausgeliehen wurde, sollte auf Bitte eines Reporters seine fußballerischen Stärken vortragen: Schnelligkeit, gutes Dribbling, sagte Radonjic, bei seinem letzten Spiel in Frankreich sei er sogar mit der Geschwindigkeit von 37 Kilometern pro Stunde geblitzt worden.

Auf diesen Wert dürfte Khedira zwar eher nicht kommen. In Italien wurde ihm neben teutonischen Zügen aber auch eine DNA vincente zugeschrieben, eine Gewinnermentalität. Er selbst sagte: "Fußball ist für mich mehr als Titel, Fußball ist Erfahrungen machen." Einen Abstiegskampf hat er in seiner Karriere jedenfalls noch nicht hinter sich gebracht.

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