Fußball-Weltmeister zu sein, ist das Größte, schon klar. Aber das heißt noch lange nicht, dass Platz 201 im Fifa-Ranking das Letzte ist. Matteo Vitaioli sagt es so: "Wer uns verlacht, hat vom Fußball und vom Leben nichts verstanden."
Vitaioli ist 27 Jahre alt, er verdient sein Geld als Arbeiter in einer Fabrik für Verpackungsmaterial - und spielt im Angriff der Nationalmannschaft von San Marino. 2015 war er Fußballer des Jahres. Gegen Litauen gelang Vitaioli mal ein historischer Treffer: Das erste Auswärtstor nach 15 Jahren war ein hart geschossener Freistoß zum Zwischenstand von 1:1. Dass Litauen in der Nachspielzeit das Siegtor erzielte, brachte San Marino um einen historischen Zweipunkterekord in der EM-Qualifikation. Das war schade, aber nichts Besonderes.
Wenn es - woran eigentlich niemand, der etwas vom Fußball und vom Leben versteht, den leisesten Zweifel haben kann - so etwas gibt wie die Kunst des Verlierens, dann wird diese von keiner anderen Nationalmannschaft derart hingebungsvoll gepflegt wie von San Marino.
Zu jenem populistischen Negativkitsch, der in diesen Zeiten überall auf dem Globus mit Wählerstimmen und Macht belohnt wird, bietet die Fußball-Auswahl aus San Marino ein Gegenmodell disziplinierter Gelassenheit. In San Marino sind die ewigen Verlierer nicht wütend. Sie laufen nicht Verschwörungstheorien hinterher, sie wollen sich auch nicht die Spielregeln passend zurecht biegen, um endlich auch mal ein Spiel zu gewinnen. Sie machen einfach weiter.
Neues Spiel, neues Glück. Und dazwischen hartes Training.
"Wir opfern Freizeit und Privatleben für die Nationalmannschaft", sagt Vitaioli, "viele von uns verzichten auf den Sommer-Urlaub, um sich auf die Einsätze im September vorbereiten zu können." Dabei stehen die Chancen, das nächste Spiel nicht zu verlieren, statistisch bei null. Von 137 Partien hat die Auswahl aus der ältesten Republik der Welt 132 verloren, vier Unentschieden gespielt und nur eines gewonnen. Im April 2004 war das, ein Freundschaftsspiel gegen Liechtenstein - 1:0 nach Freistoß des Rekordnationalspielers und Rekordtorjägers Andy Selva. San Marino ist damit eine Nationalmannschaft der Rekorde. So gut wie jedes der 22 Tore in 26 Jahren Fifa-Mitgliedschaft war historisch, während keiner, wirklich keiner der 586 Gegentreffer mehr darstellt als pure Statistik.
Für San Marino erzielte etwa der Elektrowarenhändler Davide Gualtieri das schnellste Tor der Länderspielgeschichte: Im November 1993 traf Gualtieri gegen England nach 8,3 Sekunden. 23 Jahre hielt der Rekord. Jahre, in denen Gualtieri Abertausende von Rasierapparaten, Espressomaschinen und Digitalwaagen an seine Landsleute verkaufte, aber nie wieder ein Länderspieltor schaffte. Erst im Oktober 2016 wurde der Held von San Marino vom Belgier Christian Benteke überholt, der traf nach 8,1 Sekunden gegen Gibraltar.
"Diesmal wehren wir uns" - anders als beim 0:13 anno 2006
Aber wer erinnert sich daran, dass England damals nach dem fulminanten 0:1 durch Gualtieri noch 7:1 gewann? Und wer erinnert sich auch nur an ein einziges Tor von San Marinos 0:13 gegen Deutschland? Am 6. September 2006 ereignete sich diese bisher schlimmste Niederlage am Fuße des Titanenberges. Die Deutschen spielten sich damals in einen regelrechten Rausch, sie wollten gar nicht mehr aufhören mit dem Toreschießen.
Und bewiesen doch nur die alte Weisheit, dass auch das Siegen gelernt sein will. 13 Tore gegen die Amateure von San Marino, das war keine Kunst. Aber damals hatten die Deutschen eine WM zu Hause verloren und offensichtlich noch keinen Sinn für die Ästhetik von Spiel und Sieg. Am Freitagabend bekommen sie im Stadion von Serravalle eine zweite Chance. 7000 Zuschauer werden dabei sein, die Arena ist selbstredend ausverkauft.