DFB-Erfolg gegen Schweden:Aufgewacht in der Sakkoschlacht von Sotschi

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Die deutsche Elf scheint nach mühsamem Start in die WM Witterung aufzunehmen. (Foto: dpa)
  • Nach dem 2:1 gegen Schweden wirkt es, als wäre das DFB-Team nun im Turnier angekommen.
  • Rund ums Spiel gibt es Wort- und Sakkogefechte - die Emotionen könnten der Elf von Joachim Löw noch helfen.
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Von Christof Kneer, Sotschi

Dieses Bild würde sich wirklich ganz ausgezeichnet machen an der Wand im Büro des Büroleiters. Es handelt sich um ein Schlachtengemälde der etwas moderneren Art, niemand reitet auf Rössern durchs Bild, keiner zückt ein Schwert. Stattdessen schwenkt der Held im hellblauen Hemd ein dunkles Sakko wie ein Torero, er kippt dabei ein bisschen nach links, von rechts nähert sich bedrohlich der Feind. Zum Glück weiß man inzwischen, dass die Sache gut ausgegangen ist, der Held im hellblauen Hemd wird bald unverwundet in sein Büroleiterbüro in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise zurückkehren. Und er kann dann ja mal schauen, ob vielleicht noch eine zweite Wand frei ist.

Denn es gäbe da noch ein zweites Bild, das schon auch des Aufhängens wert wäre. Es zeigt den hellblauen Helden alleine, nur grünes Schlachtfeld um ihn rum, links trägt er sein Sakko, rechts schüttelt er die Faust. Sein Gesichtsausdruck: eher nicht der eines Büroleiters auf Dienstreise.

Das Nachspiel der zweiten Vorrundenpartie zwischen Deutschland und Schweden dauerte keineswegs 90 Minuten, und es wird - anders als das 2:1 der Deutschen - in keiner Statistik Niederschlag finden. Solche Ringelrangeleien haben Weltmeisterschaften nicht exklusiv, man findet so was auch in der Bezirksliga Kocher-Rems, mit etwas weniger Publikum möglicherweise. Aber die Wort- und Sakkogefechte, die sich deutsche und schwedische Funktionäre im Anschluss lieferten, könnten aus DFB-Sicht fürs Turnier noch wichtig werden. Sollte irgendwann mal die - zurzeit noch eher unwahrscheinliche - Geschichte einer deutschen Titelverteidigung 2018 erzählt werden, könnte der Büroleiter gegebenenfalls darauf bestehen, dass sein hellblaues Hemd und sein dunkelblaues Sakko ein (kleines) eigenes Kapitel bekommen.

Die DFB-Elf ist dabei, langsam Witterung aufzunehmen

Der Büroleiter Georg Behlau ist ein wichtiger Mann beim DFB, er hat im Trainingslager in Südtirol täglich mit den Quartier-Verantwortlichen in Watutinki in Kontakt gestanden, aber er ist kein Prominenter, der fürs Plakat taugt - ebenso wenig wie der zweite DFB-Mitarbeiter, der sich in die Kampfhandlungen verwickeln ließ.

"Ein ekelhaftes Verhalten" der Deutschen sei das gewesen, schimpfte der bei RB Leipzig engagierte Schwede Emil Forsberg, und Trainer Janne Andersson motzte ergänzend, dass man sich "nach dem Schlusspfiff normalerweise die Hände schüttelt. Man sollte den Gegner, mit dem man 95 Minuten gefightet hat, nicht so verhöhnen. Das ist echt schwach".

Auslöser der Wort- und Sakkogefechte: Gregor Behlau (Leiter des Büros des DFB-Teams). (Foto: Ina Fassbender/dpa)

Er meinte die offenkundig provozierenden Jubelgesten der DFB-Leute, die sich zuvor allerdings von den Schweden provoziert gefühlt hatten - von deren regelmäßigen Volksaufständen vor der Trainerbank nach Schiedsrichterpfiffen, von deren Härte im Spiel und den manchmal etwas aufdringlichen Zeitschindereien. "Ein bisschen übergeschwappt" seien die Gefühle, meinte Teammanager Oliver Bierhoff, der beim Schwappen auch nicht ganz unbeteiligt war. Am Sonntag reichte der DFB eine Entschuldigung nach, "zu emotional" seien Reaktionen und Gesten gewesen.

Die Fifa ermittelt trotzdem zu den Vorfällen.

Die deutsche Elf ist jetzt drin in diesem Turnier, sie ist gerade noch rechtzeitig eingebogen in diesen Tunnel, in dem eigene physikalische Kräfte wirken. Und in dieser Hinsicht fügt sich das Sakko von Sotschi in eine Reihe anderer Bilder, die der Konkurrenz allmählich doch Sorgen bereitet.

Eine WM ist mehr als Fußball, es ist eine Veranstaltung für alle Sinne. Als Team muss man so ein Turnier auch riechen, fühlen und schmecken können, und die DFB-Elf ist nach gefühlsarmem Start gerade dabei, Witterung aufzunehmen. "Dieser Sieg muss der Wendepunkt gewesen sein", sagte der Stürmer Timo Werner, "wenn wir diese Steilvorlage jetzt nicht annehmen und damit durchs Turnier reiten, dann hätte das ganze Spiel nichts gebracht."

Vielleicht ist es so, dass gerade diese manchmal doch etwas überreife Elf unbedingt ein paar frische, stachlige Emotionen braucht, um aus ihrem Schönheitsschlaf zu erwachen. Und auch das hat die Sakkoschlacht von Sotschi ja gezeigt: dass es unter Druck absolut nützlich sein kann, sich gemeinsam gegen etwas zu solidarisieren - eine Maßnahme aus dem guten, alten Otto-Katalog des Trainers Rehhagel. Draußen ist der Feind! Und wir hier drin halten zusammen!

In dieser Hinsicht ist nun jeder Gegner willkommen, er kann auch auf der schwedischen Trainerbank oder der Pressetribüne sitzen. "Man hatte das Gefühl, relativ viele Leute in Deutschland hätte es gefreut, wenn wir heute rausgegangen wären", sagte Toni Kroos, "aber so leicht machen wir es ihnen nicht." Es mache offenbar "mehr Spaß, schlecht über uns zu reden oder zu schreiben. Wir wissen, dass wir viele Fans haben, aber mehr Hilfe kriegen wir nicht. Es wird uns keiner zum Titel schreiben".

Der Weltmeister hat sich wieder entschieden, den Trotz nutzbar zu machen. Mit dieser - vom Regelwerk übrigens gedeckten - Masche ist die Bundesrepublik Trotzland erst vor vier Jahren Weltmeister geworden, nach dem knappen Achtelfinal-Sieg gegen Algerien fühlte sich das Team über Gebühr kritisiert, was in Per Mertesackers legendärem Wat-wolln'Se-Interview gipfelte. Das Team nahm produktiv übel, die Spieler stornierten die meisten Medienkontakte und besiegten Frankreich, Brasilien und Argentinien, in einem Fall sogar 7:1.

Die Idee, an Widerständen zu wachsen, war irre knapp

Die Idee, an Widerständen zu wachsen, ist erst mal aufgegangen, es war irre knapp, aber umso wirkungsvoller. Ein Sieg in Unterzahl und in letzter Sekunde der Nachspielzeit ist in diesem Sinne offenkundig mehr wert als ein cooles 3:0. Es war auch ein Sieg gegen das Trauma des Mexiko-Spiels, gegen die angespannte Stimmung im Team, die sich in einer Krisensitzung zugespitzt hatte - und es war ein Sieg gegen das Untergangsszenario eines Vorrunden-Scheiterns, von dem die trotzigen Deutschen nicht weit entfernt waren.

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:Löws wichtige Korrektur

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© SZ vom 25.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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