Rumäniens Nationalmannschaft:"Selbst gegen Liechtenstein haben wir Probleme. Mich beschämt das"

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Mit schillernden Namen (und Frisuren) hat die rumänische Fußball-Nationalmannschaft schon länger nicht mehr auf sich aufmerksam gemacht. (Foto: Sven Simon/Imago)

Rumänien wartet seit 1998 auf eine WM-Teilnahme und ist aktuell in der Qualifikation hinter Armenien zurückgefallen. Die ehemaligen Fußballgrößen des Landes erklären, wo die Probleme des DFB-Gegners liegen.

Von Javier Cáceres

"Kimmitsch!", ruft der frühere rumänische Nationalspieler Gica Craioveanu ins Telefon, und berichtigt sich sogleich selbst. "Kimmich", sagt er dann, ein-, zwei-, dreimal, als reinige er den Rachen. Er habe eine deutsche Bekannte, die ihn immer wieder korrigiere, wenn er den Namen von Joshua Kimmich in den Mund nehme. So wie jetzt, wenn er die Gründe dafür aufzählt, aus denen er es für nachgerade unmöglich hält, dass die Nationalelf seines Landes am Freitag in Hamburg auch nur den Hauch einer Chance hat. "Havertz, Sané, Gnabry, Goretzka" und eben "Kimmitsch ..." seien die Gründe dafür, dass Deutschland als Favorit ins WM-Qualifikationsspiel gehe, sagt Craioveanu, 53. Und natürlich Hansi Flick, der neue Trainer: "Nach diesen Jahren mit Joachim Löw, den ich nie gemocht habe, ist Deutschland wieder aufgewacht."

Sie würden gern etwas Ähnliches von sich behaupten, die rumänischen Altstars wie Craioveanu, der sich in Spanien als Stürmer in San Sebastián, Villarreal und Getafe einen solchen Namen machte, dass er ein vielbeachteter Experte in Radio und TV wurde. Oder wie sein Namensvetter Gica Popescu, der unter anderem in Eindhoven, bei Tottenham Hotspur, dem FC Barcelona, Galatasaray Istanbul, bei US Lecce in Italien und schließlich ein halbes Jahr bei Hannover 96 spielte - "zu spät, um in einem so physischen Fußball wie dem deutschen mitzuhalten", wie er sagt, "leider". Popescu war einer der ganz Großen des rumänischen Fußballs, zusammen mit Gica Hagi, die in den 1990er Jahren brillierten und niemals Erben fanden - obwohl Hagi Junior, der 22 Jahre alte Ianis Hagi von den Glasgow Rangers, inzwischen eine zentrale Figur der Nationalelf Rumäniens ist. Wo sind sie, die neuen Hagis, die neuen Popescus? "Die suchen wir seit Jahren", sagt Popescu, 53, am Telefon. "Aber wir finden sie nicht."

Wobei: Talente haben die Rumänen durchaus, "nicht nur im Fußball, sondern auch im Handball, wie Cristina Neagu, die weltbeste Spielerin, oder im Tennis mit Simona Halep". Bei der U21-EM von 2019 schaffte es Rumäniens Team mit Hagi Junior sogar ins Halbfinale. Unter dem heutigen A-Nationaltrainer Mirel Radoi, 40, scheiterte die Auswahl an Deutschland. Aber das war eher ein Ausreißer nach oben.

Eines der Talente: Ianis Hagi, hier beim Jubel über ein Tor bei der U21-EM 2019. (Foto: Jonathan Moscrop/Sportimage/Imago)

"Ich weiß noch", sagt Popescu, "wie wir bei der EM 2000 gegen ein ziemlich desaströses Deutschland gespielt haben, und der deutsche Verband begann, alles umzukrempeln. Alle Länder, die Probleme hatten, haben etwas unternommen. Wir nicht!" Das Resultat: Rumänien wartet, obwohl man mitunter so bekannte Spieler wie Adrian Mutu oder Christian Chivu hatte, seit 1998 auf eine WM-Teilnahme, die Durststrecke droht länger zu werden. Und Craioveanu erinnert daran, dass Rumänien bei seiner letzten EM-Teilnahme 2016 sogar gegen Albanien verloren habe: "Ich will niemandem zu nahe treten, aber ... Albanien! Selbst gegen Liechtenstein haben wir Probleme. Mich beschämt das."

"Dieses Jahr war das schrecklichste Jahr unserer Geschichte", sagt Popescu

Der Grund für den Niedergang des rumänischen Fußballs sei, dass der Verband in Händen von Leuten sei, "die nichts vom Fußball verstehen und nur darauf warten, dass die Klubs liefern", sagt Popescu. Craioveanu klingt weniger drastisch, aber tendenziell gehen seine Beobachtungen in die gleiche Richtung. Ein großes Problem sei, dass der Nachwuchs zu früh versilbert werde. "Die Klubs verkaufen junge Leute in Länder wie Aserbaidschan oder in den arabischen Raum, weil da Geld zu holen ist", sagt Craioveanu. Und das sei der Verzicht auf Ruhm und Entwicklung. "Nehmen Sie Alexandru Cicaldau, ein Toptalent. Der hätte locker in Spanien spielen können. Aber er ging für 6,5 Millionen Euro zu Galatasaray."

Eine Folge: Die rumänischen Klubs sind international nicht wettbewerbsfähig. "Dieses Jahr war das schrecklichste Jahr unserer Geschichte", sagt Popescu. "Wir sind nur durch CFR Cluj in der Conference League vertreten; alle anderen haben gegen Mannschaften aus Albanien oder der Slowakei verloren." Und das spiegelt sich auch auf Nationalmannschaftsniveau: Rumänien liegt in der Tabelle mit zehn Punkten hinter Armenien, das sich größere Hoffnungen auf eine Playoff-Teilnahme als Gruppenzweiter für die WM 2022 in Katar machen darf. Trotz des mit Rumäniens U21 erfolgreichen Coaches Radoi.

"In meinen Augen kam das Amt als Nationaltrainer zu früh, mehr Erfahrung hätte ihm gut getan", sagt Popescu. "Er ändert viel, weil die Resultate nicht gut sind, und deshalb fehlt Stabilität. Zu unserer Zeit waren 19, 20 Spieler gesetzt, und es kamen ein, zwei Spieler dazu, die gut in Form waren. Jetzt hat man das Gefühl, er würde 18 Neulinge berufen", erklärt wiederum Craioveanu. In Rumänien kursieren aktuell sogar Stimmen, die dafür votieren, angesichts der Perspektivlosigkeit im Duell gegen Deutschland die besten Spieler für die am Montag folgende Partie gegen Armenien zu schonen. Davon will der Coach freilich nichts wissen. "Wir fahren nach Deutschland, um einen, wenn nicht sogar drei Punkte zu holen", sagte er.

Wie sich das anfühlt, weiß er gut. Radoi stand 2004 bei einem Freundschaftsspiel in Bukarest auf dem Platz, als sich der damalige Torwart Oliver Kahn zur Halbzeit auswechseln ließ. Nach vier Gegentoren machte er - "angeschlagen", wie der Kicker berichtete - seinem Stellvertreter Timo Hildebrand Platz. Am Ende stand es 1:5 - und das, obwohl Rumänien ohne die verletzte Leitfigur Adrian Mutu antrat, der damals beim FC Chelsea spielte.

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