Deutschland bei der WM:Deshalb sind die Handballer so stark

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Starker Kapitän: Uwe Gensheimer (Foto: dpa)

Was macht die deutschen Handballer, einst als Versager gescholten, bei der WM in Katar so gefährlich? Fünf Gründe, warum die Nationalmannschaft plötzlich wieder Spaß macht.

Von Saskia Aleythe und Carsten Eberts

Hoppla, schon wieder ein starker Auftritt. Ein Punkt am Dienstagabend gegen Dänemark, den amtierenden WM-Zweiten, das hätte vor dem Start der Weltmeisterschaft niemand für möglich gehalten. Die Verwunderung ist groß über diese deutsche Handball-Nationalmannschaft, die es ja nur per skandalumwitterter Wildcard zur Wüsten-WM nach Katar geschafft hat. Fünf Punkte aus drei Spielen, das Achtelfinale ist fast geschafft.

Die Zeit war kurz zwischen der niederschmetternden Playoff-Niederlage gegen die Polen im Juni und der Wiederauferstehung, die nun bei der WM in Katar zu bestaunen ist - gerade einmal sieben Monate. Wir haben fünf Gründe gefunden, die dieses Team bei der WM so stark machen.

  • Alle Altlasten sind weg

Die WM 2007 im eigenen Land war das Ereignis, von dem der Handballsport in Deutschland lange zehrte - in positiver, aber auch in negativer Hinsicht. Der Druck, diesen Triumph zu wiederholen, war bei den großen Turnieren allgegenwärtig. Eine mentale Last für jene Spieler, die 2007 in ihrem Zenit standen - und nie wieder an diese Leistungen anknüpfen konnten. Nun wurde das Team von fast allen Altlasten befreit. Michael Kraus, 31, und Carsten Lichtlein, 34, sind die einzigen Weltmeister, die im Kader verblieben sind. Der Rest hat seine Karriere beendet oder wird nicht mehr berücksichtigt: die Glandorfs, die Kaufmanns, die Roggischs, die Hens'. Auch der neue Bundestrainer, Dagur Sigurðsson, hat mit 2007 nichts mehr zu tun (da war er noch Spielertrainer in Österreich).

Das nimmt viel Druck von der Mannschaft, die sich endlich eine neue Identität geben kann und nicht nur vergangenen Erfolgen hinterherhechelt. Und überhaupt, der Druck: Da das frei empfangbare Fernsehen nicht überträgt, finden die Spiele nahezu unter Ausschluss der deutschen Öffentlichkeit statt. So lässt es sich herrlich beschwingt aufspielen.

  • Das starke Torhüter-Duo

Eine ungeschriebene Regel im Handball lautet so: Wer sich freiwillig ins Tor stellt, muss ein wenig bekloppt sein. Auf seine Bekloppten konnte sich der deutsche Handball schon immer verlassen, so ist das auch 2015: Mit Silvio Heinevetter und Carsten Lichtlein ist erneut ein Torwart-Duo im Einsatz, von dem manch andere Nation nur träumen kann - und es ergänzt sich perfekt. Die Stärke ist hierbei die Verschiedenheit der Charaktere: Silvio Heinevetter als lebendiger Flummi hat die Rolle quasi neu definiert und liegt auch schon mal quer in der Luft - dabei entstehen Bilder, die nur er liefert. Außerdem ist er als Quergeist und Lautsprecher auch ein Antriebsfaktor im Team - von Heinevetter angebrüllt wurde wohl schon jeder.

Gekaufte Fans bei Handball-WM
:Eingeflogen fürs Klatschen

Schon seltsam: Obwohl Handball in Katar kaum einer kennt, wird das Team bei der WM von vielen Fans unterstützt. Das sind allerdings extra angeheuerte Spanier. Auch Deutsche sind der verlockenden Einladung des Gastgebers gefolgt.

Von Joachim Mölter

Carsten Lichtlein hat mit 34 Jahren schon einige Turniere mitgenommen, musste sich aber meist mit der Rolle als Nummer zwei oder drei begnügen - nun ist er mit Heinevetter gleichberechtigt und kann seine Stärken zeigen. Lichtlein ist dabei eher ein klassischer Gliederausstrecker, hat mit 2,02 Meter Vorteile bei hoch geworfenen Bällen. Er hatte großen Anteil, dass Deutschland die Partien gegen Polen und Russland gewinnen konnte. Nur mit großen Emotionen hält er sich zurück, aus eigener, leidvoller Erfahrung: Bei einer Ligapartie im November jubelte er auf dem Rücken liegend mit den Fäusten über einen gehaltenen Ball - dumm nur, dass der Ball zurück ins Feld prallte und der Gegner doch noch einnetzen konnte.

  • Der neue Bundestrainer passt

Als Dagur Sigurðsson im August vergangenen Jahres in schwärzester Stunde die deutsche Nationalmannschaft übernahm, war manch nicht ganz ernst gemeinter Glückwunsch dabei. Eine schöne Aufgabe hatte er sich da eingebrockt, eine Mannschaft übernommen, an der zuvor zwei Bundestrainer gescheitert waren (neben Martin Heuberger auch Heiner Brand). Fünf Monate hatte der Isländer Zeit, sich eine Mannschaft nach seinem Gusto zusammenzustellen, mit vielen jungen Kräften, schnellen und spielstarken Leuten. Und die WM in Katar zeigt, dass er mit vielen seiner Entscheidungen richtig liegt.

Seine Mannschaft ist unter dem neuen Kapitän Uwe Gensheimer allürenfrei in kürzester Zeit zu einer Einheit verschmolzen, und Sigurðsson, der nebenbei auch noch die Füchse Berlin trainiert, leitet seine Spieler an, wie es lange kein Bundestrainer mehr getan hat. Nimmt er eine Auszeit, lobt er kurz, lässt seine Spieler verschnaufen. Dann gibt er ihnen in ruhigem Ton und mit der abgewetzten Taktiktafel in der Hand die nächsten zwei, drei Spielzüge mit auf den Weg. Die möchte er dann auch umgesetzt sehen. Dieses junge Team braucht keinen brüllenden tobenden Motivator, das weiß Sigurðsson genau.

  • Endlich ein neuer Go-to-Guy

Noch gar nicht lange her, da spielte Steffen Weinhold im nordwestlichsten Zipfel Bayerns, der nach Hessen hineinragt, beim TV Großwallstadt. Hier ließ es sich beschaulich Handball üben, Weinhold entwickelte sich prächtig - doch schon bald war klar, dass die fränkische Provinz für den Mann mit diesem starken linken Arm zu klein werden würde. Weinhold wechselte erst nach Flensburg, dann zum THW Kiel - und ist mittlerweile nah dran, wenn es darum geht, auf seiner Position das Prädikat "Weltklasse" zu erreichen.

Wie kaum ein anderer hat sich Weinhold, mittlerweile 28, Jahr für Jahr weiterentwickelt. Peu à peu ging es nach oben, nie rückwärts. Jetzt spielt er mit Kiel in der Champions League, und bei der WM in Katar ist er Anführer im deutschen Team. Wird es eng, ist es klar, wen die Mitspieler suchen: Weinhold, den Go-to-Guy, der den entscheidenden Abschluss sucht. Und Weinhold dankt es ihnen, oftmals mit einem schnellen Unterhandschwinger, der den Ball kurz vor dem Zeitspielpfiff der Schiedsrichter neben dem Pfosten ins Netz klatschen lässt.

  • Die Jungen tun dem Team gut

Es ist kein Jahr her, da spielte Paul Drux noch gar nicht in der Bundesliga, sondern in der A-Jugend der Füchse Berlin - plötzlich ist er Nationalspieler bei den Großen. Mit 19 Jahren ist Drux schon ein so komplexer Handballer, dass ihm beste Chancen attestiert werden, es ganz weit zu bringen. Allein körperlich ist er so gut ausgestattet wie kaum jemand in seinem Alter: Mit 1,96 Meter und 102 Kilogramm hat er viel Masse, um sich in den gegnerischen Abwehrreihen durchzusetzen und selbst gewinnbringend die Angreifer abzuwehren.

Überragend ist aber vor allem seine Spielübersicht und Wurfgewalt, die er im Rückraum beweist. Und auch ein anderes Talent hat Bundestrainer Dagur Sigurðsson clever herausgepickt: Kreisläufer Hendrik Pekeler tat den dänischen Angreifern durch seine Unnachgiebigkeit besonders weh, vorne trifft er auch in heiklen Momenten - dabei spielt der 23-Jährige auch erst seine erste WM.

Das nächste Spiel der deutschen Handball-Nationalmannschaft, am Donnerstag um 17 Uhr gegen Argentinien, kommentieren wir im Liveticker auf SZ.de.

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