Deutsche Nationalmannschaft:Eine Sportschule, die gut zum Team passt

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In angespannter Erwartung: Marco Reus (links) und Joshua Kimmich (rechts) joggen an Bundestrainer Joachim Löw vorbei. (Foto: Michael Probst/dpa)
  • Bundestrainer Joachim Löw sagt, das jetzige WM-Quartier habe "den Charme einer guten, schönen Sportschule". Womöglich ahnt er, dass das sogar ganz gut zu seiner Mannschaft passen könnte.
  • Wer Löw am Mittwoch bei der Pressekonferenz zuhörte, stieß nicht auf tiefere Sorge, aber es sprach da auch nicht der lässige Weltmeistertrainer, der schon mal den weiteren Turnierfahrplan checkt.
  • Vom Auftaktspiel gegen Mexiko am Sonntag erwartet er sich ein deutliches Signal von seiner Mannschaft.

Von Christof Kneer, Watutinki

Es sind gleich mehrere Abwehrketten, die da draußen vor dem Hotelkomplex Aufstellung genommen haben, und das ist, einen Tag vor dem Eröffnungsspiel, bereits die erste taktische Erkenntnis dieser Fußball-Weltmeisterschaft: Der Gastgeber gibt sich nicht damit ab, Dreier- oder Viererketten zu bauen, er stellt alles, was er hat, in die Verteidigung. Ob die martialischen Blicke dieser diensthabenden Wachmänner vom offiziellen Fifa-Reglement gedeckt sind, ist nicht völlig klar, aber man sollte sicherheitshalber mal davon ausgehen, dass an dieser Abwehr niemand vorbeikommt. Niemand, der nicht berechtigt ist, wird aufs Trainingsgelände der deutschen Mannschaft vordringen oder auch nur in die mittlere Sichtnähe ihrer Privatgemächer geraten.

Sollte man noch erwähnen, dass es der Grund und Boden des Armeesportklubs ZSKA Moskau ist, auf dem die deutsche Nationalmannschaft für die Dauer dieser Weltmeisterschaft trainieren wird?

Nein, es ist nicht das Campo Bahia, in dem die Deutschen wohnen, das Campo steht immer noch auf dieser auf Jahre hinaus unschlagbaren kleinen Halbinsel im brasilianischen Santo Andre. Es sei halt nicht das Campo, aber ... - mit diesem Satz leiten alle DFB-Delegationsmitglieder ihre Antworten übers aktuelle WM-Quartier ein, diesen neu erbauten Hotelkomplex in Watutinki südwestlich von Moskau. Es gibt keine romantischen nächtlichen Fährfahrten hier, dafür kann man einem überaus sympathischen Wald dabei zusehen, wie er sich wirklich rührend Mühe gibt, die um ihn herum stehenden Plattenbauten etwas grüner aussehen zu lassen.

Das Quartier, so viel scheint bereits vor dem ersten deutschen Gruppenspiel am Sonntag (17 Uhr/MEZ) gegen Mexiko festzustehen, wird diesmal eher nicht Weltmeister werden. Das muss die Mannschaft schon selbst machen.

Es spricht nicht der lässige Weltmeistertrainer aus Löw

"Als wir damals nachts ins Campo Bahia gekommen sind, war auch nicht gleich überall die Euphorie", hat Bundestrainer Joachim Löw am Mittwoch bei der ersten Pressekonferenz in der neuen Heimat Watutinki gesagt, die Begeisterung habe sich dann "auch durch die Ergebnisse gesteigert". Man habe die Mannschaft "nun auf die anderen Bedingungen vorbereitet", sagte Löw, "wir haben hier in Watutinki alles, was wir brauchen".

Tatsächlich wäre es ein Stück weit ungerecht, dem armen Watutinki nun vorzuwerfen, dass sich damals bei Ortsgründung niemand um die Beschaffung eines gescheiten Meeres gekümmert hat. Quartier und Trainingsgelände mit dem am Mittwoch noch "etwas stumpfen Rasen" (Löw) hätten "den Charme einer guten, schönen Sportschule", meinte der Bundestrainer, und vielleicht ahnt er im tiefsten Innern ja, dass dieser nach Malente und Barsinghausen klingende Liebreiz im Moment sogar ganz gut zu seiner Mannschaft passen könnte.

Im Grunde ist dies die tagesaktuelle Nachricht: dass der Weltmeister im Moment in einer Sportschule ganz gut aufgehoben zu sein scheint. Wer Löw am Mittwoch zuhörte, stieß nicht auf tiefere Sorge, aber es sprach da auch nicht der lässige Weltmeistertrainer, der schon mal den weiteren Turnierfahrplan checkt.

Es sei "gefährlich, den dritten, vierten oder fünften Schritt vor dem ersten zu machen", antwortete er mitleidlos auf die Frage einer serbischen Reporterin, die nichts lieber hören wollte, als dass dieser große deutsche Trainer ein paar warme Worte über die Auswahl Serbiens verlieren würde, die - vielleicht, vielleicht - mal Deutschlands Gegner im Achtelfinale sein könnte. Es war nicht die übliche, demonstrative Pflichtaussage eines Mannes, der sich bei keiner Überheblichkeit erwischen lassen will. Löw hat im Moment tatsächlich das Gefühl, dass seine weit gereisten Weltmeister, die in ihren Karrieren mindestens alles gewonnen haben, jetzt erst mal wieder Spiel für Spiel denken sollten.

Er sei "sehr optimistisch, dass wir gegen Mexiko Lösungen finden und die Mannschaft sich in dieser Woche noch steigern" werde, sagte Löw, was den Umkehrschluss zulässt, dass er diese Steigerung schon auch für notwendig hält. Im Moment wirkt der Bundestrainer durchaus zurückhaltend und fast auffallend neutral in den Aussagen über seine Mannschaft, er ist sich offenkundig selbst nicht ganz sicher: ob die lustigen Wackeleien in den jüngsten Vorbereitungsspielen gegen Österreich und Saudi-Arabien eben nur lustige Wackeleien in Testspielen waren und "nicht völlig ungewöhnlich zu diesem Zeitpunkt der Vorbereitung" - oder ob sie eben doch ein bisschen ungewöhnlich sind für eine Mannschaft, die aus Erfahrung eigentlich alles kennt und alles weiß.

Details - oder ungewohnte Schlampereien?

Einstweilen hat der Bundestrainer beschlossen, dem Pflichtbewusstsein seiner Spieler zu vertrauen, es gehe diese Woche "an den Feinschliff", sagte Löw, "im taktischen Bereich werden wir noch einige Abläufe trainieren". Das ist die Fortsetzung jener These, die Löw schon nach den Testspielen bemüht hatte, als er davon sprach, "dass wir noch an den Details arbeiten müssen". Und dies ist die Frage, die über den Erfolg der kommenden Wochen entscheiden wird: Sind ungenügende Raumaufteilung und häufige Ballverluste nur Details, die sich umgehend beheben lassen, sobald die Elf sich vernünftig konzentriert und endgültig in die WM-Stimmung hineingefühlt haben wird? Oder deuten solche doch etwas ungewohnten Schlampereien womöglich auf eine tief sitzendere Problematik hin - etwa darauf, dass diesen sehr routinierten Weltmeistern manchmal vielleicht etwas Schwung und Tempo abgehen und dass die Sicherungssysteme im Team noch nicht wieder voll funktionsfähig sind?

Für Löw ist das Spiel gegen Mexiko im Moment mehr als nur ein Gruppenspiel, er erwartet sich von dieser Partie ein deutliches Signal: jenes, dass seine Weltmeister immer noch seine Weltmeister sind - was im Idealfall dazu führen könnte, dass sie sich dann, Schritt für Schritt und Sieg für Sieg, doch noch in ihr durch und durch meerloses Quartier verlieben.

© SZ vom 14.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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