Deutsche Nationalelf:Warten auf den September

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Vor dem Länderspiel in Dänemark vertagt Bundestrainer Joachim Löw die Entscheidung über den Kapitän der Zukunft. Bis dahin sind Interpretationen möglich.

Philipp Selldorf, Kopenhagen

Neulich beim Training unter dem Leverkusener Autobahnkreuz hat Michael Ballack seinem Chef Vorwürfe gemacht. Trainer, hat er zu Jupp Heynckes gesagt, "ich fühle mich wie 25 - warum habe ich keinen Fünfjahresvertrag bekommen?" Heynckes hat über diesen Scherz angemessen gelacht und sich über dessen wahre Botschaft gefreut. Er weiß zwar, dass Ballack in seiner Rolle als Fußballer ebenso als Veteran firmiert wie er selbst als Trainer, aber er weiß auch, dass dieser Spieler mindestens so viel Ehrgeiz und Motivation aufbringt wie ein 25-Jähriger.

Wer ist der Kapitän der Zukunft: Michael Ballack oder Philipp Lahm? (Foto: ag.rtr)

Erst recht jetzt, da er verbissen darum kämpft, seine Karriere nicht bloß bei Bayer Leverkusen, sondern auch in der Nationalelf zu einem guten Ende zu führen. Bayer investiert viel Geld in Ballacks Zweijahresvertrag - angeblich sogar mehr als die von Manager Wolfgang Holzhäuser eingestandenen zwölf Millionen Euro -, trotzdem gibt es maßgebende Leute in Leverkusen, die den Handel für ein Schnäppchen halten. Sportlich ist Ballack doppelt wertvoll, wenn er sich beweisen muss.

Wenn sein Genesungsplan aufgeht, wird Ballack beim Bundesligastart in Dortmund ein kurzes Comeback als Einwechselspieler für Bayer geben, das wäre dann sein erster Auftritt nach mehr als drei Monaten. Mitte Mai hatte ihm Kevin-Prince Boateng im englischen Pokalfinale die folgenschwere Knöchelverletzung beigebracht. Acht Tage später beim Heimspiel gegen Mönchengladbach möchte Ballack wieder von Beginn an spielen, und daraus ergibt sich, dass Joachim Löw bei den ersten beiden Partien der EM-Qualifikation - am 3. September in Belgien und vier Tage später gegen Aserbaidschan - womöglich noch keinen Gebrauch macht vom fast 34-jährigen Veteranen. Wenn er überhaupt noch vorhat, ihn hinzuzuziehen.

Aushilfe Hitzelsperger

Löw hat am Dienstag in Frankfurt vor der Abreise nach Kopenhagen erstmals seit der WM über Ballack gesprochen, und so richtig schlau ist man aus seinen Antworten zum führenden Thema im Nationalteam nicht geworden. Löw saß abreisebereit in der Frankfurter DFB-Zentrale vor ebenso abreisebereiten Journalisten, aber es ging nur am Rande um das bevorstehende Testspiel gegen Dänemark und die Aussicht des Torwarts Tim Wiese, für seine Geduld während der WM mit einem Einsatz in Kopenhagen belohnt zu werden, es ging auch nicht um den Aushilfskapitän Thomas Hitzlsperger, der in London bei West Ham wieder Freude am Fußball erlernt, oder um den 27 Jahre alten Debütanten Sascha Riether vom VfL Wolfsburg. Es ging um Grundsätzliches, um Ballack, um dessen Rivalen Philipp Lahm, um das heilige Kapitänsamt und die Zukunft an sich.

Der Bundestrainer gab zu verstehen, dass er die Frage nach dem Status des 98-maligen Nationalspielers Ballack als programmatisch und fundamental betrachtet. Löw kündigte "ein ernsthaftes und seriöses Gespräch mit den Beteiligten an", in dem er dann erläutern werde, "in welche Richtung es die nächsten zwei Jahre gehen soll, die nächsten drei oder vier Jahre vielleicht". Die Bemerkung über die lange Zeitstrecke bis zur WM2014 klingt in Ballacks Ohren womöglich nicht gut - er hat ja längst verkündet, dass er 2012 abzutreten gedenkt.

Auch dass Löw "konzeptionelle" Erwägungen anführt, ließe sich im Hinblick auf langfristige Pläne als gefährlicher Hinweis interpretieren, "konzeptionell" haben schon einige Spieler nicht mehr ins Team gepasst, nicht zuletzt Ballacks früherer Mittelfeldleutnant Torsten Frings. Andererseits könnte man die Einbeziehung Ballacks in den großen Dialog auch als Zeichen dafür deuten, dass Löw eher über Wege der Reintegration des alten Mittelfeldchefs denn über eine friedliche, stilvolle Verabschiedung sinniert. Eine Vermittlung zwischen den konkurrierenden Parteien ist auf jeden Fall vonnöten.

Dass Lahm just an dem Tag Ansprüche auf das Kapitänspatent anmeldete, als Ballack recht vereinsamt das Teamquartier in Südafrika verließ, wird von Parteigängern des alten Kapitäns als konzertierter Vorstoß betrachtet. Löw erzählte am Dienstag in Frankfurt beiläufig, er habe davon gewusst, dass Lahm sich damals entsprechend geäußert habe. Dass er nicht intervenierte, bedeutete aber - obwohl es auch dazu viele Spekulationen gibt - keine Beteiligung am Hinterhalt, sondern war bloß die Folge seiner Auffassung von Meinungsfreiheit.

Lahm hat seine Fürsprecher im Nationalteam, aber auch Ballack ist nicht ohne Anhänger, Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil zum Beispiel haben sich für seine Rückkehr ausgesprochen. Von Schweinsteiger heißt es, dass er in Wahrheit selbst Kapitän werden möchte, aber auch das ist nur Spekulation unter vielen. Löw weiß, dass es nicht nur um einen verdienten Mittelfeldspieler geht, sondern um seine eigene Glaubwürdigkeit und eine prinzipielle Regierungsentscheidung. Es sei wichtig, eine Lösung mitzuteilen, "ohne dass man da in die eine oder andere Richtung interpretieren kann", sagte er: "Im September wird diese Frage beantwortet sein." Solange sind Interpretationen möglich.

© SZ vom 11.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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