NBA-Champion Denver Nuggets:"Jetzt können wir endlich nach Hause gehen"

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Der Alleskönner: Basketballer Nikola Jokic dominiert das Spiel - und trotzdem sieht er meist aus, als käme er gerade vom Strand aufs Feld geschlurft. (Foto: Jack Dempsey/AP)

Die Denver Nuggets gewinnen erstmals die Trophäe - auch weil sie mit ihrem serbischen Basketballer Nikola Jokic eine ähnlich gewinnbringende Situation geschaffen haben wie einst Dallas mit Dirk Nowitzki. Das könnte die NBA prägen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist immer interessant zu beobachten, was Sportler im Moment des größtmöglichen Triumphs tun. Es gibt Zu-Boden-Werfer, Brusttrommler, Jubelsprinter - und natürlich jene, die irgendwo raufklettern, im Meer der Fans baden und mit ausgestreckten Armen so tun, als wäre ihnen gerade etwas Transzendierendes gelungen. Und der serbische Basketballprofi Nikola Jokic? War am Montagabend, als seine Denver Nuggets den ersten Titel der Vereinsgeschichte gewonnen hatten, der Trostspender.

Jokic ging nicht zu seinen Kollegen. Nicht zu Ehefrau Natalija, die er seit Schulzeiten kennt und die mit der 21 Monate alten Tochter Ognjena auf dem Arm freudig auf und ab hüpfte. Nicht zu Bruder Strahinja, einer Ein-Mann-Naturgewalt, der kürzlich den Schauspieler und Lakers-Edelfan Jack Nicholson einnordete und nun vor Rührung heulte. Nicht zu den Nuggets-Fans, die nach dem 94:89-Sieg im fünften Spiel der Best-of-seven-Serie jubelten. Nicht zu Promis am Spielfeldrand wie Sängerin Ciara, Footballer Russell Wilson oder den South-Park-Erfindern Trey Parker und Matt Stone. Erst einmal ging Jokic zu allen Akteuren von Finalgegner Miami Heat, schüttelte Hände, umarmte sie, sprach ein paar einfühlsame Worte.

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Nachdem Jokic dann ein paar Danksagungen aus dem eigenen Team erhalten hatte, wurde er auch schon von PR-Leuten in Beschlag genommen. Wer im US-Sport einen Titel gewinnt, kann nur ein paar Sekunden lang jubeln, dann wird man vor eine Kamera geführt und muss erklären, wie es sich anfühlt. Die Antwort von Jokic enthielt in einem Satz fünf Mal das Wort "team".

Am Ende so einer Saison wird stets analysiert, warum nun wer gewonnen hat und was das in einem größerem Zusammenhang bedeutet für Akteure, Vereine, Liga und Sportart. Die naheliegende Antwort wäre es, Nikola Jokic, 28, zum überragenden Akteur auszurufen, der seine noch immer sehr junge Laufbahn - er absolvierte gerade seine achte NBA-Saison - nach zwei individuellen Auszeichnungen zum jeweils wertvollsten Spieler (2021 und 2022) mit dem Titel veredelt hat.

Er hat in diesen Playoffs den 57 Jahre alten Rekord von Wilt Chamberlain für die meisten Triple Doubles gebrochen. Zehn Mal gelangen ihm jeweils zweistellige Werte in drei Statistik-Kategorien. In Spiel drei schaffte er 30 Zähler, 20 Rebounds und zehn Zuspiele, die erste 30-20-10-Finalleistung der NBA-Geschichte.

Der Danksager: Nach dem Spielende ging der Center der Nuggets zu den Heat-Angestellten und Spielern und tröstete die Verlierer. (Foto: Justin Edmonds/AFP/Getty)

Jokic wirkt oft wie ein Zocker, der es sich leisten könnte, vom Strand in die Halle zu kommen, weil er von der Natur mit 2,11 Meter Höhe, Bewegungstalent und Ballgefühl gesegnet ist. Das stimmt aber nicht. Wie Basketballer Michael Jordan, Boxer Muhammad Ali und Tennisspieler Roger Federer ist Jokic ein Beispiel dafür, wie viel harte Arbeit nötig ist, damit das Schwere so leicht aussieht - der Vergleich mit den Allergrößten des Sports ist bewusst gewählt. Denn Jokic ist auf dem Weg dorthin.

"Er taucht nicht einfach auf und tut diese Sachen", erklärte Nuggets-Trainer Michael Malone die Leichtigkeit im Spiel des Centers. Wie er zum Beispiel einen Ball gefühlvoll in den Korb legt; wie er Mitspieler findet, als hätte er Augen im Hinterkopf, oder wie er Gegner übertölpelt, indem er ihnen den Ball gegen den Bauch drückt, wenn sie im Aus stehen, um seinem Team einen Einwurf zu sichern. "Es wird mir nicht genügend darüber berichtet, wie viel Zeit er investiert, um an seiner Kunst zu feilen", betonte der Trainer: Er sagte nicht Talent, er sagte Kunst.

Vielleicht sollte man es so beschreiben: In einer NBA-Ära, in der aufgrund von Regeln wie der Gehaltsobergrenze die Besten dorthin wechseln können, wo sie sich einen einfachen Weg zu Titeln oder die meiste Zeit für außersportliche Aktivitäten versprechen, haben die Nuggets eine Art Topf-passt-auf-Deckel-Situation mit Jokic erreicht - so wie es die Dallas Mavericks einst mit Dirk Nowitzki geschafft haben. Im vergleichsweise beschaulichen Denver wird Jokic, so wie Nowitzki seine Situation einmal beschrieb, "nicht wie ein Stier am Nasenring durch die Stadt gezogen". Ihm wurden Leute an die Seite gestellt, die wissen, dass sie als Team und als Individualisten davon profitieren, wenn sie Jokic so sein lassen, wie er ist. Jokic sagt auch: "Ich muss nicht punkten, um eine Partie zu prägen."

In der Schlussphase ist sein Beitrag unermesslich, trotz seiner scheinbaren Zurückhaltung

Bestes Beispiel dafür war diese letzte Partie der Saison. Die Nuggets, bekannt für ihre spielfreudige Offensive, taten sich schwer gegen die bissige Defensive der Heat. Die meiste Zeit lagen sie zurück. "Deshalb macht Basketball so viel Spaß", sagte Jokic danach: "Du kannst nicht alles planen, manchmal musst du reagieren und zeigen, dass du gewinnen kannst, auch wenn ein Spiel nicht läuft, wie du dir das vorgestellt hast." Denver holte bedächtig auf, es war bis zum Ende spannend. Es trafen Jokics Kollegen Jamal Murray (insgesamt 14 Punkte), Michael Porter jr. (16), Kentavious Caldwell-Pope (11) und Bruce Brown (10).

Der Beitrag von Jokic war trotz seiner scheinbaren Zurückhaltung in der Schlussphase unermesslich, allein wegen seiner Präsenz unter dem Korb. Seine 28 Zähler und 16 Rebounds waren trotzdem außerordentlich.

So wie man sich bei Nowitzki niemals hätte vorstellen können, dass er mal woanders als in Dallas spielen würde, so wird wohl auch Jokic in Denver bleiben. Das führt zur Frage: Kommt da noch mehr, wie bei den Showtime-Lakers in den 1980er Jahren, den 90er-Bulls oder den Golden State Warriors zuletzt? Jokic ist 28, Murray 26, Porter jr. 24. Die drei sind bis mindestens 2025 an die Nuggets gebunden, Murray dürfte dann in Denver verlängern. Sie könnten also zusammenbleiben, sie könnten diese Liga prägen als Abkehr von den Brusttrommlern und Armausbreitern der jüngeren Vergangenheit.

Als Jokic direkt nach dem Trostspenden für die Unterlegenen gefragt wurde, wie er sich denn nun anfühle, dieser erste NBA-Titel seines Lebens, sagte er jedenfalls nur: "Gut. Wir haben unsere Arbeit erledigt. Jetzt können wir endlich nach Hause gehen."

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