Martin Ødegaard bei Arsenal:Nächste Flucht durch die Hintertür

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Martin Ødegaard hat es mehrmals versucht bei Real Madrid, aber immer wieder wurde er verliehen. (Foto: Albert Gea/Reuters)

Martin Ødegaard und Real Madrid - diese Geschichte ist voller Frustmomente. Jetzt versucht es der einst gefeierte Norweger in England, wo er auf Verbündete hoffen kann.

Von Jonas Beckenkamp

Ist es eine notwendige Selbstrettung, ein überstürzter Neuanfang, eine verzweifelte Flucht oder am Ende alles zusammen? Die Ankunft von Martin Ødegaard beim FC Arsenal lieferte jedenfalls ein paar schöne Bilder. Am Mittwoch betrat der Norweger erstmals in neuer Arbeitskleidung den Trainingsplatz der Gunners. Weit draußen im Londoner Norden plauderte er mit Dani Ceballos, so viel Vertrautheit musste sein - Ødegaard kennt den Spanier noch aus seiner Zeit in Madrid, die beiden teilen dasselbe Schicksal. Sie sind Verstoßene von Real Madrid.

Mit riesigen Erwartungen bei den Königlichen gestartet und dann nur noch weg durch die Hintertür: Diese Frustmomente wiederholen sich in Ødegaards immer noch junger Karriere seit Jahren. Dabei will er eigentlich nur Fußball spielen und sein Können der Welt präsentieren. Das Problem ist nur: Bei Real Madrid kann er es nicht zeigen, denn dort heißt der Trainer aktuell weiterhin Zinedine Zidane. Zidane und Ødegaard, diese Verbindung führt wohl nicht mehr ins Glück, deshalb versucht es der Mittelfeldspieler, der einst aus der Kleinstadt Drammen nach Madrid kam, nun per Ausleihe bei Arsenal. Am Samstagabend hat er zum ersten Mal mitgespielt, er wurde in der 83. Minute eingewechselt beim 0:0 gegen den Zweiten Manchester United.

Irgendwas müssen sie bei Real an ihm finden - sonst hätten sie ihn längst verkauft

Wieder geht es für ihn einige Monate in die Fremde, wieder bleibt die Hintertür offen, durch die er diese Woche hastig abgereist ist. Real verleiht Ødegaard, der 2014 als 15-Jähriger sein Profidebüt in Norwegen gab, bereits zum vierten Mal. Irgendwas müssen sie in Spaniens Hauptstadt also an ihm finden, sonst hätten sie ihn längst verkauft.

Aber Ødegaard ist eben mehr als reine Verkaufsmasse, seine Geschichte erzählt von Zwängen und Unwägbarkeiten auf dem modernen Transfermarkt. Und den Hoffnungen eines Fußballers, der mit 22 schon so viele Klubs erlebte wie andere ihr Leben lang nicht. Carlo Ancelotti, Ødegaards erster Trainer in Madrid, hielt seinen Transfer damals für einen "PR-Gag" von Präsident Florentino Pérez - und ließ den Skandinavier prompt links liegen. Ødegaard erstarrte im Hype, er trainierte mit den großen Jungs, aber spielte höchstens in der zweiten Mannschaft.

Die Erzählungen vom gescheiterten "Wunderkind" häuften sich, dabei war er erst 16. Jetzt ist er 22 und hat sich auch charakterlich entwickelt. Er lernte Spanisch, wirkt offener und bestimmt, seinen Weg als Profi zu gehen, nicht als dauerhaftes Großversprechen. Vielleicht klappt es bei Arsenal, wo der dortige Trainer Mikel Arteta sich viel von ihm erhofft. "Es ist großartig, dass wir ihn zu uns holen konnten", findet er, "wir alle kennen Martin ja sehr gut, er ist noch jung und spielt doch schon lange auf dem höchsten Level."

2019 glänzte Ødegaard in Spanien

Darüber ließe sich freilich streiten, denn Ødegaards vorherige Leihstationen hießen zum Beispiel Vitesse Arnheim oder SC Heerenveen in den Niederlanden - aber eben auch Real Sociedad San Sebastián. Bei allen Aufenthalten zeigte er gute Ansätze, zuletzt im Baskenland verbrachte er sogar ein ausgezeichnetes Jahr. Ødegaard und San Sebastián, das passte so sehr, dass der britische Fußball-Journalist Sid Lowe heute im Guardian erklärt: "Man kann sogar sagen: Bis zum Lockdown im vergangenen Jahr war er der beste Spieler der spanischen Liga." 2019 hatte Ødegaard die stärkte Phase seiner Karriere, mit ihm wurde San Sebastián Sechster.

Er verbesserte sich körperlich, spielte effektiver, schlug blitzgescheite Steilpässe, schoss Tore und bewegte sich wie ein Visionär über den Platz. Übertriebene Vergleiche mit Lionel Messi und zutreffendere mit dem Dänen Christian Eriksen machten die Runde - kein Wunder, dass sie ihn bei Real Madrid bereits nach einem der möglichen zwei Leihjahre zurückwollten. Es sah tatsächlich so aus, als würde Ødegaard endlich einen Platz im Klub der Berühmtheiten bekommen.

Zu Beginn dieser Saison spielte er dann zwei Mal von Beginn an. Es sah sogar so aus, als würde Zidane sein System etwas mehr auf den Norweger zuschneiden, um mehr Räume für sein Spiel und seinen filigranen linken Fuß zu schaffen. Aber schon im Herbst 2020 zog der Franzose ihm wieder Luka Modric vor, der mit seinen 35 Jahren immer noch der filigranste Königliche von allen ist. Ødegaard erlitt eine Wadenverletzung und fiel schließlich wegen einer Corona-Infektion länger aus, danach bekam er kaum noch Minuten. Als Zidane ihm kürzlich gegen Bilbao im Pokal einen Einsatz in Aussicht gestellt hatte und ihn dann doch draußen ließ, vollzog sich der Bruch. Ødegaard wollte nur noch weg, zurück nach San Sebastian oder nach England, egal.

"Er scheint einfach nicht der Typ zu sein, der sich gegen alle Widerstände durchbeißt, so wie man das in Madrid tun muss", kommentierte jetzt das Real-Hausorgan Marca kritisch. Aber auch Zidane trage eine Schuld an seiner neuerlichen Flucht, schließlich sei der Mann aus dem Norden nicht der einzige, der Chancenlosigkeit beim Mister beklagt. Luka Jovic etwa schießt seine Tore jetzt wieder in Frankfurt, nachdem er unter Zidane kaum ins Team fand. Ødegaard wirke auf dem Platz eingeschüchtert, zurückhaltend, risikoscheu, so die Beobachtung der Experten in Spanien, und bei Real bekommt man eben nicht viele Chancen.

Die offenbaren sich dem Blondschopf nun in London unter Coach Arteta, zu dem Ødegaard erneut via der Tangente San Sebastián gefunden haben könnte. Arteta wurde in der Stadt am Golf von Biskaya geboren, er spielte ein Jahr als Nachfolger von Mittelfeldchef Xabi Alonso bei Real Sociedad und hat deshalb - wie viele aus dem Verein - ein Herz für Spielmacher vom Schlag Ødegaards.

"Mit Martin bekommen wir mehr Qualität nach vorne und neue Möglichkeiten", sagte er diese Woche, "wir freuen uns, ihn bei uns zu integrieren." Nun beim 0:0 gegen ManUnited hat Ødegaard zumindest schon ein bisschen mitgewerkelt am Aufwärtstrend bei den Gunners.

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