Darts-WM:Smith krönt sich zum Weltmeister

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Endlich vereint mit der 25 Kilogramm schweren Sid-Waddell-Trophy: Darts-Weltmeister Michael Smith. (Foto: Adrian Dennis/AFP)

Der 32-jährige Engländer besiegt den Niederländer Michael van Gerwen und schnappt sich erstmals den Titel. In einem denkwürdigen WM-Finale mit dem wohl besten Spielabschnitt in der Geschichte dieses Sports gelingt ihm ein Neun-Darter.

Von Sven Haist, London

Wieder drückte Michael Smith seinen Kopf an die Rückwand des Spielpodiums, wie im Vorjahr nach der Niederlage im WM-Finale gegen Peter Wright. Aber diesmal tat es Smith nicht aus Enttäuschung, sondern aus Fassungslosigkeit, dass es ihm im dritten Anlauf tatsächlich gelungen war, erstmals Weltmeister im Darts zu werden. Nach seinem Match-Dart auf die Doppel-8 zum 7:4 nach Sätzen gegen Michael van Gerwen sprang er vor Freude in die Luft und stürmte zu seiner Familie. Er umarmte Frau und Kinder und drückte ihnen einen Kuss auf die Wange. Anschließend nahm er die Sid-Waddell-Trophäe entgegen, auf die er so lange hatte warten müssen.

Acht Major-Finals verlor der Engländer seit 2018 in Serie, darunter die WM-Endspiele 2019 und 2022. Nun wurde er doppelt belohnt - weil ihn der WM-Sieg gleichzeitig zur neuen Nummer 1 der Welt macht. Im Siegerinterview sagte er, der Erfolg fühle sich "nicht real" an: "Ich glaube, ich träume!" Wahrscheinlich werde es "wochenlang" dauern, ehe er seinen Coup richtig begreife. Die Fans im Alexandra Palace zu London feierten Smith mit Sprechgesängen.

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Schon in der Anfangsphase, im dritten Leg des zweiten Satzes, kamen die Zuschauer voll auf ihre Kosten. Sie erlebten einen Spielabschnitt, wie es ihn in dieser Form im Darts noch nie gegeben hatte. Ein Wurf war besser als der andere, van Gerwen und Smith waren gleichzeitig auf dem Weg zu einem perfekten Spiel.

Für ein solches muss der Ausgangswert "501" mit genau neun Darts auf exakt "0" heruntergespielt werden. Van Gerwen startete mit drei Darts auf Triple-20, was Smith ihm gleichtat. Die fulminante Serie, die einer Showeinlage glich, setzte der Niederländer mit zwei weiteren Würfen auf Triple-20 und einem auf Triple-19 fort. Smiths Konter: die nächste "180" mit drei Pfeilen ins Triple-20-Feld. Nun bot sich van Gerwen bei seinem Anwurf als Erstem die Chance, das geschichtsträchtige Leg nach nur neun Pfeilen zu gewinnen. Dafür nötig: Triple-20, Triple-20, Doppel-12. Die ersten beiden Darts saßen - aber den Wurf ins Doppelsegment verfehlte der Favorit um Millimeter. Enttäuschtes Raunen im Publikum.

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Dann schritt Smith zur Scheibe. Erster Pfeil: Triple-20. Zweiter Pfeil: Triple-19. Der dritte Pfeil? Doppel-12! Der 9-Darter war perfekt! - der erst zweite bei einem WM-Finale. Smith ballte die linke Faust, kostete den einmaligen Moment aber nur kurz aus, weil ja sein eigentliches Ziel nicht diese historische Glanzleistung war, sondern der Titel. Die Fans konnten sich dagegen nicht beherrschen, sie lagen sich in den Armen und flippten aus. Überall spritzte Bier durch die Luft.

Der ehemalige Darts-Profi und Sky-Experte Wayne Mardle stammelte im Fernsehen: "I can't speak. I can't speak."

Am Mikrofon des in England übertragenden Fernsehsenders Sky Sports verschlug es dem ehemaligen Darts-Profi Wayne Mardle die Sprache. "I can't speak. I can't speak", stammelte er. Dazu muss man wissen, dass Mardle zu denjenigen Experten gehört, die sonst fast durchweg am Reden sind. Der Clip ging im Internet sofort viral. Der Turnierveranstalter, die Professional Darts Corporation, schrieb auf Twitter euphorisiert in Großbuchstaben: Dies sei "das beste Leg der Geschichte" gewesen. Sogar eine der "großartigsten Vorstellungen, die man je im Sport" gesehen hätte, fand die PDC.

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Dass das Aufeinandertreffen von van Gerwen und Smith das Potential haben könnte für ein herausragendes Match, war im Vorfeld durchaus erwartet worden. Aber nicht, dass es die Partie in Sachen Qualität und Spannung tatsächlich mit dem 2007er-Finale würde aufnehmen können. Seinerzeit gewann Raymond van Barneveld sensationell im Sudden-Death-Leg gegen Altmeister Phil Taylor. Deren Duell gilt bis heute als Höhepunkt in der Geschichte der Darts-WM.

Dabei verliefen die Karrieren der fast gleichaltrigen van Gerwen, 33, und Smith, 32, bis zum Endspiel ziemlich unterschiedlich. Bereits mit 18 Jahren gab der Niederländer sein Debüt bei der WM 2008. Sechs Jahre danach krönte er sich zum jüngsten Weltmeister der PDC. Zwei weitere Titel dieser Kategorie folgten. Zwischen 2014 und 2021 führte van Gerwen durchweg die Weltrangliste an. Seine Karriere ist so erfolgreich, als hätte er sie am Reißbrett geplant - und mit einer ähnlichen Präzision lässt er seine Pfeile aus der Hand schnellen, beziehungsweise eher schießen. Denn kaum ein anderer Spieler wirft die Darts zügiger und mit einer solchen Wucht auf die Scheibe, wie er. Sein Spitzname "Mighty Mike", mächtiger Mike, ist seiner Spielweise daher angemessen, auch bei dieser WM.

Mit zunehmender Spieldauer wirkte van Gerwen beeindruckt ob der Scoring-Power des Gegners

Gleich zu Beginn des Finales knüpfte Michael van Gerwen an seine starken Vorleistungen an und gewann den ersten Satz trotz Anwurfs seines Konkurrenten. Anders als im Viertel- und Halbfinale, als er die Gegner jeweils ohne Satzverlust abfertigte, musste er gegen Smith jedoch umgehend den Ausgleich hinnehmen. Mit zunehmender Spieldauer wirkte van Gerwen beeindruckt ob der Scoring-Power des Gegners. Im siebten Satz, Spielstand 3:3 nach Sätzen und 2:2 nach Legs, packte er seine Pfeile vorzeitig ein - weil er fälschlicherweise dachte, er hätte den Satz verloren. Kurz darauf, als das Spiel in die entscheidende Phase ging, verlor er den neunten Satz sogar ohne eigenen Leg-Gewinn. Dies war ihm bei dieser WM in keinem Spiel passiert. Der Umstand zeigte Wirkung, er konnte sich von ihm nicht mehr erholen.

Dabei hatte er sich vor dem Spiel noch so siegessicher gezeigt. Niemand werde ihn aufhalten, auch Smith nicht, tönte van Gerwen - nachdem der Engländer eine "Revanche" für die Pleite im WM-Finale 2019 angekündigt hatte. Damals unterlag Smith mit 3:7.

Immer wieder Zweiter, dieser Stachel steckte so tief in Smiths Ehrgefühl wie die Pfeile in der Dartsscheibe - bis er im November 2022 beim Grand Slam of Darts gegen Landsmann Nathan Aspinall endlich seinen ersten großen Titel gewann. Wie viel ihm dieser Triumph kürzlich bedeutete, veranschaulichte er, indem er sagte, nun könne ihn keiner mehr "Versager" nennen. Besonders setzte ihm die tränenreiche 2022er-Niederlage gegen Wright zu.

Nun kämpfte Smith schon beim Walk-on auf die Tribüne mit den Tränen. Immer wieder wischte er sich durch die feuchten Augen. So sehr rührte ihn die Tatsache, es erneut ins Finale geschafft zu haben. Doch ab dem Zeitpunkt, als er das Spielpodium betrat, verzog er keine Miene mehr. Selbst das frühe Break zum 2:3 nach Sätzen ließ die schlechten Erinnerungen nicht wieder hochkommen. Er konterte mit drei Satzgewinnen in Serie - sodass er beim Spielstand von 5:3 dem Titel plötzlich wieder nahe war wie 2022. Damals führte er 5:4 gegen Wright, gewann aber anschließend keinen Satz mehr und verlor 5:7.

Diesmal jedoch holte er sich die beiden noch fehlenden Sätze - und krönte sich zum neuen Weltmeister.

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