Darts:Der kleine Riese von Riesa

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Der 1,68 große Martin Schindler überholt den 1,91 Meter großen "German Giant" Gabriel Clemens und ist erstmals die deutsche Nummer eins im Weltdarts. (Foto: Jürgen Kessler/dpa)

Martin Schindler gewinnt als dritter Deutscher ein Turnier auf der Profi-Darts-Tour. Im Endspiel entzaubert er Gerwyn Price - und ist damit erstmals auch die neue deutsche Nummer eins.

Von Korbinian Eisenberger

In der Welt der Darts, einer ganz eigenen bis eigentümlichen, da tummelt sich allerlei sagenhaftes Volk. Auf den Bühnen werden Magier, Könige und Riesen empfangen, und manche von ihnen wirken tatsächlich übermächtig, sofern sie drei Pfeile in der Hand halten. Am vergangenen Wochenende aber, da mischte sich ein Mann aus dem Fußvolk zwischen die Oberschicht der Dartsszene, mehr noch. Der Recke Martin Schindler vom Brandenburger Lande zog aus in sächsische Gefilde, überholte den Riesen und vollführte eine astreine Majestätsbeleidigung.

Beim Turnier in Riesa traf es am späten Sonntagabend den Waliser Gerwyn Price. Der Weltmeister von 2021 firmiert in der dortigen Arena seit Längerem als "König von Riesa", viermal hatte er die International Darts Open in Sachsen bereits gewonnen, und nun stand er dort abermals im Endspiel um den Titel. Nur stand da eben auch der bis dato ungekrönte Deutsche Martin Schindler, der um kurz vor Mitternacht seinen letzten Pfeil in die Doppel-8 beförderte und das Finale so 8:5 für sich entschied. Der "König von Riesa" ist einstweilen entmachtet - und legte einen Abschied hin, dass Rumpelstilzchen stolz gewesen wäre.

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Schindler war nach seinem letzten Wurf auf die Knie gesunken, ehe er sich wieder aufrappelte und ihm die Freudentränen in die Augen stiegen. Am Mikrofon des Hallensprechers rang Schindler alsbald um Worte. "Meine Beine sind wacklig ohne Ende", sagte er: "Es ist so brutal, ich spiele die Tour seit siebeneinhalb, achteinhalb Jahren - und jetzt habe ich so einen geilen Pokal." Nachdem der 27-Jährige vor feiernden Zuschauern über den größten Erfolg seiner Karriere gesprochen hatte und sich als "vielleicht heute glücklichsten Mann der Welt" wähnte, erklärte der Unterlegene seine eigene Gefühlslage. Sichtlich gequält ob des Ausgangs rang sich Price ein "Glückwunsch an Martin", ab, ehe er ergänzte, dass das überwiegend mit deutschen Fans ausgestattete Publikum eine entscheidende Rolle zu seinen Ungunsten gespielt habe: "Ich denke, ich hätte das Spiel gewonnen, wenn wir in Wales gespielt hätten." Und dann legte er noch einen nach.

Gerwyn Price, der auch schon mal mit Ohrenschützern auf die Bühne kam, sorgt für einen weiteren Eklat

Moderator Philip Brzezinski bat nun abermals Schindler ans Mikro und erkundigte sich darüber, was dieser Erfolg für seine Zukunft bedeuten könnte. In diesem Moment marschierte Price diagonal über die Bühne, klatschte Richtung Publikum, nahm seine Pfeile vom Tisch und verließ die Szenerie. Die Zuschauer reagierten mit dezenten Pfiffen, und Schindler hielt einige Sekunden inne, offenbar überrascht davon, dass Price seinen Abschied noch während des Siegerinterviews vollzog. Groß irritieren ließ der Mann aus Strausdorf sich nicht. "Ich nehme diesen Pokal mit", sagte er, "alles andere ist mir wirklich wurscht."

Von Turnierbeginn an hatte Schindler erahnen lassen, dass er sich in der eventuell besten Form seiner noch jungen Karriere befindet, ähnlich wie vor zwei Wochen beim German Darts Grand Prix in München, wo er bis ins Halbfinale vorgedrungen war. In Riesa musste Schindler, ungesetzt, in Runde eins starten und machte per 6:1 kurzen Prozess mit dem Rheinländer Jan Dückers, ehe er den Weltranglisten-16. Joe Cullen (England, 6:3) und nacheinander die Niederländer Richard Veenstra (6:1) und Danny Noppert (6:5) ausschaltete. Im Halbfinale ließ er dem favorisierten Engländer Chris Dobey beim 7:3 keine Chance - ehe der Weltranglistenfünfte Price zum Showdown bat.

Price lag auf Kurs. Er führte mit 4:3 Legs und ging mit dem Vorteil des sogenannten Anwurfs in Spielabschnitt Nummer acht, durfte also anfangen. Doch beim Versuch, 501 Punkte in möglichst wenigen Pfeilen zu löschen, überholte ihn Schindler, dessen Dartsspitzen wie magnetisch angezogen in den schmalen Triple-Feldern landeten. Die vielleicht spielentscheidende Szene: Mit einem Wurf in die Doppel-Zehn glich Schindler zum 4:4 aus - und zog vom Publikum getragen davon.

Schindler wird Price sehr wahrscheinlich nicht in den Kerker wünschen, zumal seine kleine Einlage schlicht zeigt, dass Price trotz aller royaler Andichtungen auch nur ein Mensch ist und gekonntes Verlieren nicht gerade zu seinen Kernkompetenzen zählt. Erinnert sei an den Neujahrstag 2023, als Price im Viertelfinale der Weltmeisterschaft spür- und hörbar das Publikum gegen sich hatte. Die Zuschauerschaft in London hatte sich seinerzeit mit Gegner Gabriel Clemens verbrüdert - und Price reagierte, indem er nach einer Spielpause mit riesigen Ohrenschützern zurück auf die Bühne kam. Geholfen hat es dem Waliser damals wenig, der "German Giant" Clemens warf den "König von Riesa" aus dem Turnier.

Nach Max Hopp vor sechs Jahren in Saarbrücken und Pietreczko im Vorjahr in Hildesheim ist Schindler der dritte deutsche Sieger auf der European Tour. In der Liste des Darts-Weltverbands schob der 1,68 Meter große Schindler sich so um einen Platz an Gabriel Clemens, mit 1,91 Meter der "German Giant", vorbei auf Rang 22. Der kleine Riese von Riesa ist damit erstmals die deutsche Nummer eins.

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