Darts:Der Boom reicht bis nach Niederbayern

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Das große Vorbild ist die WM im Alexandra Palace (hier wirf Daryl Gurney), über Ostern kommen die Profis ins Zenith nach Freimann, dann gibt es ein "Mini Ally Pally", verspricht der Veranstalter. (Foto: John Patrick Fletcher/Action Plus/Imago)

2209 Einwohner, 100 Vereinsmitglieder: Seit der vergangenen Saison wird in Geiersthal Bundesliga-Darts gespielt. Der Klub ist ein Beispiel für das Wachstum des Sports - und für die Grenzen der Professionalisierung.

Von Helene Altgelt

In Geiersthal war "Darts" lange ein Fremdwort. Streng genommen bleibt es das bis heute, aber die 2209 Einwohner des kleinen Dorfes in Niederbayern, nah der tschechischen Grenze, verstehen inzwischen seine Bedeutung. Früher war das anders, erzählt Andrea Raith: Nur das süddeutsche Synonym Spicken verband man im Bayerischen Wald mit der runden Scheibe und den Pfeilen. Heute gehört das Wort "Darts" schon fast zum Stammvokabular in Geiersthal, denn seit vergangenem Jahr spielt der örtliche Verein in der Bundesliga. Die DC Torpedo's Geiersthal haben einen wahrhaftig torpedoschnellen Aufschwung hinter sich: Sieben Mal hintereinander stiegen sie auf, bis in die Bundesliga, wo das Dorf nun sogar auf die Playoffs hoffen darf.

Andrea Raith war in der Kreisklasse dabei und jetzt in der Beletage, seit 30 Jahren ist sie im Verein. Erst als Spielerin, dann als Vorsitzende. Die sieben Aufstiege, sagt sie, folgten keinem ausgeklügelten Masterplan: "Andere Vereine haben schon in der Kreisliga gesagt, sie wollen in die Bundesliga, aber wir haben einfach das mitgenommen, was gekommen ist." Jahr für Jahr wurden die Torpedo's besser, zogen vom zu klein gewordenen Vereinsheim in die Dorfhalle, empfangen nun Vereine wie den Karlsruher SC. Fertig geschrieben ist das Märchen noch nicht: "Natürlich ist irgendwann der Traum vom deutschen Meister da", sagt Raith. Was ist schon eine Meisterschaft nach sieben Aufstiegen in Folge? Auf der Fahrt mit dem Expresszug durch die Ligen hat der Klub auch viele neue Passagiere gewonnen: Bald soll es eine fünfte Mannschaft geben, 100 Mitglieder haben die Torpedo's inzwischen. Eine überaus ordentliche Quote von 1:20 im Verhältnis zur Einwohnerzahl.

Geiersthal hat diese Darts-Begeisterung nicht exklusiv. Die alljährlichen Weltmeisterschaften, strategisch günstig in den Sofa-Gammeltagen um Weihnachten gelegen, machen stets interessierte Zuschauer zu Fans. Um die Präzision der Pfeile geht es nicht allen, auch die Partyatmosphäre im legendären Ally Pally trägt ihren Teil zur Begeisterung bei. Bei der jüngsten WM wurde ein Viertel aller Tickets an Deutsche verkauft, obwohl die Topspieler meist aus dem Vereinigten Königreich oder den Niederlanden kommen.

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Viele zieht es dann schnell vom Sofa an die Scheibe. Denn in wenigen Sportarten ist es so einfach wie beim Darts, selbst sein Glück zu versuchen. Wie schwer kann es schon sein, ein paar Pfeile zu werfen? Dafür braucht es keine aufwendige Ausrüstung, nicht mal ein Paar Schuhe, sondern bloß einen kleinen Spaziergang in die nächstgelegene Kneipe. Obwohl das Zielen dann doch schwerer ist, als es im Fernsehen so scheint, machen Anfänger schnell Fortschritte und bleiben so am Ball - nein, Pfeil.

Geplante Alkoholproben: Bald kein Bier nach vier im Darts?

Trotz der hohen Aufmerksamkeit steckt Darts in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Auch in der Bundesliga bleibt der Sport für die Spieler ein Hobby: "Wir bezahlen unsere Fahrten selbst", sagt Raith. Sie hofft, dass ihr Verein bald mithilfe von Sponsoren wenigstens diese Kosten decken kann. Auch in den meisten anderen Klubs bekommen die Spieler keinen roten Heller, der Karlsruher SC ist die Ausnahme von der Regel. Für eine Professionalisierung tritt auch der Deutsche Dart-Verband (DDV) ein - aber nicht alle Maßnahmen stoßen auf Gegenliebe.

Über die geplanten stichprobenartigen Alkoholkontrollen ab der nächsten Saison gibt es rege Diskussionen, denn beim Darts als Kneipensport gehört das Bier dazu wie das Netz beim Tennis. Alkohol nutzen die Spieler gerne, um die flatternden Nerven vor einer Partie zu stärken - der DDV sieht daher ein leistungssteigerndes Potenzial und will daher Kontrollen einführen. "Ohne den Alkohol hätte ich in diesem Sport wahrscheinlich nichts gewonnen", sagte etwa der erste WM-Champion, Dennis Priestley, kürzlich. Andrea Raith ist skeptisch, ob die Kontrollen wirklich umgesetzt werden, denn ein Messgerät kostet 5000 Euro. In ihrem Klub ist die Idee nicht gut angekommen: "Wir bekommen kein Geld, daher ist es unsere Freizeit, und es sollte jedem selbst überlassen sein, was er trinkt." In der Bundesliga gebe es in Geiersthal nur Wasser, und auch bei den Gegnern habe sie "noch niemanden erlebt, der so betrunken war, dass er nicht spielfähig war".

In einem der populärsten Münchner Dartklubs sieht es ähnlich aus: Bierchen ja, Trunkenheit nein. Die Kneipenkultur trägt der "Irish Folk Pub Dart Club Munich" bereits im Namen, er entstand 1979 in einem Lokal an der Giselastraße. Seitdem ist der Klub in ein kleines Vereinsheim in Laim umgezogen. Dort ist an einem Montagabend im März gute Stimmung, etwa zwanzig Spieler drängen sich in den schmalen, leicht verqualmten Raum. Hier treffen sich die Anfänger für eine "Competition", einen kleinen Wettbewerb.

An Ostern ist der "German Darts Grand Prix" in Freimann, mit Profis und 2000 Zuschauern

Es ist eine bunt gemischte Runde, alle Altersgruppen und Staturen vom Bierbauch zur Bohnenstange sind vertreten. Bei der letzten WM überraschte der englische Teenager Luke Littler, der auch nicht wie ein typischer Profisportler gebaut ist. Einige erzählen, in anderen Sportarten zunächst nicht so erfolgreich gewesen zu sein - beim Darts spielen alle mit den gleichen Karten. "Mein erstes Turnier habe ich direkt gewonnen, das motiviert natürlich", sagt Sebastian Pohl, den alle hier nur Basti nennen. Pohls Name ist auf der Tafel der Vereinssieger mehrmals eingraviert, er schaffte es sogar in die Nationalmannschaft. Neben Arbeit und Studium könne er sich gerade nicht genug auf Darts konzentrieren, um wieder auf das Level zu kommen - fünf bis sechs Einheiten pro Woche sind dafür nötig, schätzt er. Die Ambition haben die meisten im Klub nicht. Einer erkennt klare Vorteile im Vergleich zum Fußball: "Ist schon entspannt, sonntags nicht um sieben Uhr aufzustehen."

Alle Jahre wieder erlebt der Klub zum Jahresanfang einen starken Andrang. Pohl sagt, viele würden in der ersten Mail ihren Punktedurchschnitt angeben, um sich als würdiges Mitglied zu präsentieren. Gerne unterschätzen sie die Nervosität in einer Wettbewerbssituation: "Manche stehen da mit ihren breiten Schultern und den Muskeln, und dann zittern die Finger richtig, wenn sie ihr erstes Turnier spielen", erzählt Pohl. Auch in der Competition am Montag passiert es immer wieder, dass jemand locker in Führung liegt und ihm dann doch noch das Spiel entgleitet. Es gibt viele "Trainingsweltmeister", sagt Pohl, aber auf der kleinen oder großen Bühne ist es doch noch anders.

Die große Bühne gibt es bald in München: Vom Ostersamstag bis zum Montag findet der "German Darts Grand Prix" statt, ein Turnier der PDC (Professional Darts Corporation). Hier spielen die Profis, die Tour kommt jetzt nach Freimann. Ein "Mini Ally Pally" werde das, sagt Pohl, 2000 Fans passen in das Zenith im Münchner Norden. Den echten Ally Pally will er eines Tages auch noch als Spieler miterleben.

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