Copa Libertadores:Zum Klassiker meldet sich auch Pelé zu Wort

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Santos-Spieler beim Training im Maracanã-Stadion. (Foto: AFP)

Im Maracanã spielen Santos und Palmeiras um den Copa-Titel. Die Paarung verweist in die vielleicht schönsten Zeiten des brasilianischen Fußballs, steht in diesem Jahr aber im Zeichen von Corona.

Von Javier Cáceres, Berlin

Wenn man so will, hat das Finale der Copa Libertadores zwischen dem FC Santos und SE Palmeiras schon jetzt sein Gutes gehabt - noch vor dem Anpfiff im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro. Am Vorabend des Endspiels (Samstag, 21 Uhr, live in DAZN) meldete sich die Santos-Legende schlechthin zu Wort: Edson Arantes do Nascimento alias Pelé. Per Video zwar nur, aber immerhin. Es war ein rührendes Lebenszeichen von Brasiliens legendärer Nummer 10.

Achtzig Jahre alt ist Pelé bereits, und behauptete man, man sehe es ihm nicht an, so wäre es glatt gelogen. Andererseits: Er sieht besser aus, als man im Lichte der Meldungen über diverse Schwächeanfälle erwarten konnte, und er war augenscheinlich auch bester Laune. Er sagte unter anderem, dass er beim Finale gern dabei wäre, und er meinte damit: auf dem Rasen, nicht auf der Tribüne. Und er sagte auch, dass er als echter santista mit dem Herzen dabei sein und "zittern" werde.

Dass er gern dabei wäre, wer sollte es ihm verdenken? Santos gegen Palmeiras, das ist ein Duell von außergewöhnlicher fußballerischer Sonorität, eine Paarung, die in die vielleicht schönsten Zeiten des brasilianischen Fußballs verweist. Santos und Palmeiras waren die Klubs, die zu Zeiten Pelés zu den künstlerischsten Teams Brasiliens gehörten. Dass Palmeiras in São Paulo beheimatet ist und Santos die Stadt des gleichnamigen Hafens ist, gab dem Duell stets auch ein Derby-Flair, die Stadien der beiden Teams sind 90 Kilometer voneinander entfernt. Vor ein paar Jahren, 2015, erlebte das Duell eine ungeahnte Renaissance - als Palmeiras mit dem früheren Bundesligaprofi Zé Roberto (Leverkusen, FC Bayern, HSV) den brasilianischen Pokal gewann (und zwei nationale Meistertitel folgen ließ).

Nun also die Neuauflage eines regionalen Klassikers auf legendärer Bühne - in einem Stadion, das der FC Santos zu Zeiten Pelés oft mit weit mehr als 100 000 Menschen füllte. Das gleiche Stadion wird nun vergleichsweise verwaist sein, nur 5000 Teilnehmer sind zugelassen, pandemiebedingt, versteht sich. Das ist auch der Grund dafür, dass der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro wohl nicht auf der Ehrentribüne sitzen wird. Wegen der Hygienebestimmungen wurde ihm angeblich untersagt, den Pokal zu übergeben. Und wenn er nicht mit aufs Foto darf, bleibt er angeblich lieber ganz weg. Obwohl er Palmeiras-Fan ist (sein Vater benannte ihn nach der Klublegende Jair Rosa Pinto) - und sich zuletzt im Santos-Trikot zeigte.

So oder so steht das Finale im Zeichen von Corona, wie die Zeitung Folha de São Paulo am Freitag schrieb. Brasilien zählt neun Millionen Infizierte, vor allem in den Armenvierteln, wo die Menschen eng zusammenleben. Die Zahl der Toten beläuft sich auf mehr als 200 000. Damit liegt das 210-Millionen-Einwohner-Land souverän unter den Top Drei des Todesfallrankings, hinter den USA und (neuerdings) vor Mexiko. Andererseits ist Brasilien ein Land, das auf bedrückende Weise gelernt hat, Tode schulterzuckend hinzunehmen. Vor rund einem Jahr wurde ein 19-prozentiger Rückgang an Morden gefeiert. Die Zahl war im Jahr 2019 auf 41000 gesunken, auf circa 112 pro Tag.

Am Maracanã-Stadion wurde von Mai bis Oktober ein weltweit beachtetes Corona-Lazarett mit 400 Betten aufgezogen, Tausende Patienten kamen, gingen, starben. In jenen Wochen ruhte auch der Fußball in Brasilien, über Monate hinweg. Und: Beide Finalteams hatten viele Infizierte zu beklagen. Bei Palmeiras waren es insgesamt mehr als zwanzig, darunter der ehemalige Trainer Vanderlei Luxemburgo, der vor wenigen Monaten durch den Portugiesen Abel Ferreira ersetzt wurde. Beim FC Santos war die Zahl der Ansteckungsfälle ebenfalls zweistellig. Unter anderem vor dem Achtelfinale bei LDU Quito in Ecuador, als man ohne zehn Spieler und ohne Trainer Cuca antreten musste. Und gewann.

Seit der Pandemie liegt der Transfermarkt brach - die Teams wurden diesmal nicht geplündert

Ihr Meisterstück aber vollbrachten sowohl der FC Santos wie auch Palmeiras, als sie sich in ihren Halbfinals jeweils gegen argentinische Spitzenklubs durchsetzen konnten. Santos räumte Boca Juniors aus dem Weg; Palmeiras überwand River Plate aus Buenos Aires. Die Siege waren wie ein Symbol dafür, dass Brasiliens Liga qualitativ laut Experten das beste Jahr seit langem hinter sich hat - ebenfalls pandemiebedingt. Durch Corona kam der Transfermarkt weltweit zum Erliegen, und das bedeutete immerhin, dass die Teams anders als in früheren Jahren eben nicht auseinandergerissen wurden. Nun streben sie durch den Finalsieg die Qualifikation für die bevorstehende Klub-WM in Katar an, an der auch der FC Bayern teilnehmen wird; sie beginnt am 4. Februar.

Lange wird das allerdings so nicht bleiben. Der FC Santos hatte zuletzt eine Transfersperre erlitten, wegen ausstehender Gehaltszahlungen; das dürfte die Abwanderungsgedanken des gegenwärtigen Personals bestärken. Palmeiras wiederum hat wieder ein paar junge, interessante Spieler vorzuweisen, die vor allem im Halbfinal-Hinspiel bei River Plate beeindruckten und auf der Einkaufsliste europäischer Klubs stehen: Gabriel Menino, Gabriel Veron, Danilo und Patrick de Paula. Beim FC Santos ruhen die Hoffnungen auf Kaio Jorge und auf Yeferson Soteldo, der das legendäre Trikot mit der Nummer 10 hat, das einst Pelé trug. Es gibt nicht wenige, die das für Blasphemie halten. Denn Soteldo ist Venezolaner und damit der Sohn eines Baseball-Volkes ohne fußballerische Tradition. Doch sollte er den vierten Libertadores-Pokal nach 1962, 1963 und 2011 in die Vitrinen des FC Santos schleppen, so wäre es den Anhängern des Pelé-Klubs egal. Und Pelé gewiss auch.

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