Sprinter Coleman:Der Weltmeister ist wütend

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Neuer Weltmeister über 100 Meter: Christian Coleman. (Foto: David J. Phillip/AP)
  • In 9,76 Sekunden läuft Christian Coleman zum WM-Sieg über 100 Meter. Es ist die sechstschnellste Zeit, die je ein Mensch gelaufen ist.
  • Beinahe wäre Coleman für die WM und Olympia gesperrt worden: Innerhalb eines Jahres hatte er drei Dopingtests verpasst.
  • "Ich habe nichts falsch gemacht", sagt er nach dem Rennen - und äußert einen Rassismus-Vorwurf.
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Von Saskia Aleythe, Doha

Christian Coleman hatte noch nicht genug. Der 23-Jährige rannte nach seinem 100-Meter-Finale noch mal so lange weiter durch die Kurve im Khalifa-Stadion in Doha, mit ausgebreiten Armen, aufgerissenem Mund, jede Faser angespannt. Kein Tänzeln, kein Lachen, kein Posieren, das Gegenteil vom Spaßsprinter Usain Bolt. Coleman schrie in den Himmel, mehr wütend als fröhlich. Dabei erlebte er gerade den Moment, auf den alle Sprinter hinarbeiten, und die meisten tun das vergebens: Er war Weltmeister geworden, bei der ersten WM ohne jenen Bolt.

Es gab eine Zeit, in der man der Leichtathletik noch einen wie Christian Coleman wünschen konnte: Vor zwei Jahren in London war Zweifach-Doper Justin Gatlin vor ihm zum Titel gespurtet, begleitet von heftigen Pfiffen. Coleman hatte sich damals noch nichts zu schulden kommen lassen, mittlerweile begleitet seine Erfolge die Historie von drei verpassten Dopingtests. In Doha wurde Silber-Gewinner Gatlin zwar immer noch ausgebuht, aber auch Coleman war nicht der Weltmeister der Herzen, der er hätte sein können. Wer nun die Schuld daran trägt? Coleman nicht, findet er selber. Und so war sein meistgesagter Satz an diesem Abend: "Ich habe nichts falsch gemacht."

Tatsächlich musste das ja nochmal Thema werden nun: Wie das zusammenpasst, dass einer, den sie als Nachfolger von Bolt auserkoren haben, beinahe gesperrt worden wäre, für die WM und Olympia in Tokio gleich mit. Innerhalb eines Jahres hatte Coleman drei Dopingtests verpasst, zwei Mal hatte er seinen Aufenthaltsort falsch angegeben, einmal verließ er ihn kurzfristig. Seine Anwälte fanden in den Regeln ein Schlupfloch, der erste Test wurde rückdatiert, die Sperre blieb aus. Ob er nachlässig gewesen sei, wurde Coleman nun gefragt. "Nein, ich war nicht nachlässig", antwortete er und hatte nach zehn Minuten Fragen auch eine eigene Version parat, warum die Geschichten um seine Person zuletzt so zugenommen haben. "Hier sind einige Leute, die sich nicht für die Wahrheit interessieren", sagte Coleman, "stattdessen wird Hass verbreitet auf das junge schwarze Kind, das seinen Traum lebt".

Die Kritik von Michael Johnson - und Colemans Reaktion

Und da fiel einem dann schon Michael Johnson wieder ein, der kurz vor WM-Start zu Wort gemeldet hatte. Der ehemalige Weltrekordhalter über 200 und 400 Meter sagte der BBC, die drei verpassten Dopingtests würden Coleman "komplett dafür disqualifizieren, jemals das Gesicht des Sports zu werden. Das wird ihn verfolgen und das völlig zurecht." Leichtathletik-Fans hätten keine Toleranz für jeglichen Dopingverstoß, sagte Johnson, Coleman hätte gesperrt werden sollen. Aussagen, von denen sich Coleman nicht beeindrucken lassen wollte. "Michael Johnson zahlt nicht meine Rechnungen oder unterschreibt meine Schecks. Also ist es mir egal, was er sagt", sagte Coleman.

Für viel Spannung war er selber zu schnell an diesem Abend in Doha, seine Finalzeit von 9,76 Sekunden bedeutete nicht nur persönliche Bestleistung, sie war auch die sechstschnellste, die je ein Mensch gelaufen ist. Schon beim Start hatte Coleman eine starke Reaktionszeit bewiesen und war für den Zweitplatzierten Justin Gatlin (9,89) und Kanadas Andre DeGrasse (9,90) unerreichbar. Obwohl sich kaum 10 000 Leute ins Stadion verlaufen hatten, lobte Coleman die Stimmung, fand auch die Lichtershow dufte, mit der die leeren Sitzblöcke ausgeblendet und die Bahn erleuchtet wurde.

Was er selber dafür tun könne, dass die Leichtathletik wieder mehr Anhänger findet? "Ich denke, Leute wollen spannende Rennen sehen. Darauf kommt es an", sagte Coleman, "ich muss nur weiter meinen Job machen und dann werden mehr und mehr Leute die Schönheit in diesem Sport sehen, die ich sehe." Als wäre dieses Finale mit einem überführten Doper auf dem Podium und einem Weltmeister, der uneinsichtig drei verpasste Dopingtests herunterspielt, überhaupt keine Abschreckung.

Als er um halb eins in der Nacht vom Pressepodium stieg, schnaufte Coleman einmal kräftig durch und schüttelte sich dann wie ein Boxer, der sich für den nächsten Kampf bereit macht. Am Sonntagabend geht er in die Vorkämpfe über 200 Meter. Womöglich immer noch mit Wut im Bauch.

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