Fußball in Südamerika:Keine Gnade für Fahnenvergesser

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Wenn bei Abseits die Warnweste hochgeht: einer der Linienrichter ohne echte Fahne beim WM-Qualifikationsspiel in Chile. (Foto: Javier Torres/AFP)

Zwei brasilianische Linienrichter improvisieren und nutzen Warnwesten als Wink-Hilfen. Sie leiten damit ihr WM-Qualifikationsspiel fehlerfrei - doch der Verband sperrt sie humorlos für vier Monate.

Von Javier Cáceres

Wenn es um Fragen der Rechtsprechung geht, spielt oft auch der Schein eine Rolle. Mitunter eine derart große, dass Richter Roben und Perücken tragen und dabei aussehen, als stünden sie Modell für ein hyperrealistisches Gemälde von Louis XIV. Bisher weniger bekannt war, dass die Wahrung des Scheins auch im Fußball von Bedeutung ist. Den Linienrichtern Fabricio Vilarinho und Rodrigo Correa wurde dies nun zum Verhängnis.

Als sich die Nationalmannschaften Chiles und Argentiniens in Calama, einer Stadt in der Atacama-Wüste, zum WM-Qualifikationsspiel trafen, hatte der südamerikanische Verband Conmebol ein brasilianisches Schiedsrichter-Team nominiert, angeführt von Anderson Daronco, der in seiner Heimat als "stärkster Schiedsrichter der Welt" gerühmt wird. Und "stark" ist in seinem Fall nicht immer im übertragenen, aber stets im Wortsinn gemeint.

Daronco behauptet von sich, er würde einen Kampf gegen Hulk gewinnen, wobei egal ist, ob er die Zeichentrickfigur oder den brasilianischen Fußballer meint. Daronco ist Bodybuilder, und er hat Oberarme wie Popeye. Er reiste also mit seinen Assistenten Vilarinho und Correa nach Calama und bereitete sich mit ihnen mutmaßlich gründlich vor auf die für Chile im Hinblick auf die WM-Teilnahme in Katar äußerst wichtige Partie. Doch kurz vor dem Anpfiff dann der Schock: Bei Durchsicht ihrer Taschen stellten sie fest, dass sie die Insignien ihrer Macht vergessen hatten: die Linienrichterfahnen.

Südamerikas Verband Conmebol gibt sich peinlich berührt

Vilarinho und Correa zeigten daraufhin Improvisationsfähigkeit wie Kinder, die beim Bolzen mit Pullovern Tore markieren: Sie nahmen eine Warnweste, wie man sie in Autos findet, zerschnitten den Stoff und befestigten die Fetzen an einem Stock. Fahne fertig, Drama abgewendet. Das Spiel begann pünktlich, und die Linienrichter leisteten sich beim 2:1-Sieg der Argentinier keinen Fehler. Nur: Ein Kameramann des übertragenden TV-Senders sah das Artefakt, das sie in den Händen hielten - und jagte die Bilder um die Welt. Mit Folgen.

Denn Südamerikas Verband gab sich wegen der Warnwesten-Causa peinlich berührt. Dass Vilarinha und Correa mit den Behelfsfahnen tadellos Recht gesprochen hatten? Egal. Sie wurden rasch für vier Monate gesperrt, ohne jeden Prozess, ohne Anhörung. Die Begründung: Sie hätten den "normalen Verlauf" der Partie aufs Spiel gesetzt, teilte Wilson Seneme mit, der Chef des Conmebol-Schiedsrichterkomitees, ebenfalls ein Brasilianer. Daronco hingegen kam ungeschoren davon. Er hatte seine Pfeife dabei.

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