Champions League:Schalke trifft auf echte Schalker

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Benedikt Höwedes (rechts) grätscht jetzt in der russischen Liga. (Foto: imago/ITAR-TASS)
  • Nach dem 1:1 gegen den FC Porto geht es für den FC Schalke 04 in der Champions League nach Russland, genauer zu Lokomotive Moskau.
  • Dort trifft der Klub auf einige bekannte Akteure, unter anderem auf Benedikt Höwedes.
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Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Uefa hat keinen Grund, misstrauisch zu werden, falls sich am Mittwochabend in der Moskauer RZD-Arena Szenen einer brüderlichen Nähe zwischen beiden Widersachern zutragen sollten. Die Begegnung zwischen Lokomotive Moskau und Schalke 04 in der Champions League bringt zwar Glaubensbrüder zusammen, ein Vergleich mit dem suspekten Betriebsderby RB (Leipzig) gegen RB (Salzburg) kommt aber nicht zustande. Echte Schalker treffen auf echte Schalker, das ist das Motto des Abends in der russischen Hauptstadt, und womöglich hat Lokomotive dabei mehr echte Schalker zu bieten als das Original aus Gelsenkirchen.

Dem Manager des Moskauer Klubs wurde sogar schon von Seiten der Schalker der Vorschlag einer Namensänderung angetragen: Lokomotive Schalke.

Der Manager fand die Idee auch nicht schlecht, denn er steht der königsblauen Familie näher als sein königsblauer Kollege Christian Heidel. Letzterer kam im Sommer 2016 als Entwicklungshelfer aus Mainz ins Ruhrgebiet. Erik Stoffelshaus aber, 48, aus Mülheim an der Ruhr stammend und amtierender Sportchef von Lok Moskau, hat bereits elf Jahre auf Schalke gearbeitet, zuletzt als Assistent des Managers Andreas Müller. Als dieser 2009 gehen musste, verließ auch Stoffelshaus den Verein und machte sich anderweitig nützlich. Zunächst als Sportlehrer in einer Schule in Oberhausen, dann als Technischer Direktor des kanadischen Fußball-verbandes in Toronto. Bis ihn ein russischer Herr anrief, den er zu Schalker Zeiten kennengelernt hatte (Stichwort: Gazprom), und dieser Herr ist heutzutage Präsident von Lokomotive Moskau.

Höwedes hält durch - ein Zeichen von Fortschritt

An Stoffelshaus führt kein Weg vorbei, wenn man nach Erklärungen sucht, warum Benedikt Höwedes nach seinem Jahr bei der noblen Signora Juventus Turin ausgerechnet beim Klub der Eisenbahner gelandet ist, der zwar im Sommer überraschend russischer Meister wurde, aber trotzdem nur die Nummer drei der Hauptstadtklubs ist. Am Sonntag hat Höwedes mit Lokomotive vor 10 083 Zuschauern gegen Achmat Grosny gespielt und hatte doppelt Grund zur Freude: Sein Team gewann 2:0, und er hielt bis zum Abpfiff durch. Ein Zeichen von Fortschritt.

In Turin hatte ihn jedes Mal, wenn er wieder startklar war, eine andere Verletzung zurückgeworfen, daher gab Juve den Leihspieler Höwedes im Sommer kaum benutzt an Schalke zurück. Beide Seiten, Spieler und Verein, waren sich einig, sofort wieder getrennte Wege gehen zu wollen, doch der Transfermarkt sendete wenige Signale an den Weltmeister. An seinem physischen Durchhaltevermögen bestanden europaweit Zweifel. Höwedes wäre gern nach England gegangen, vages Interesse zeigten aber nur Klubs aus Istanbul - und Stoffelshaus, der Höwedes aus der Zeit kannte, als er auf Schalke U12-Trainer war. Der kleine Benni war damals sein Schüler. Im Sommer trafen sie sich in Höwedes' Heimatstadt Haltern: "Er hat viele Fragen gestellt, und die richtigen Antworten haben ihm wohl gefallen", erzählte Stoffelshaus dem kicker.

Finanziell lohnt es sich wohl für beide Seiten: Für Höwedes, der nicht schlechter fährt als vorher (mindestens), und für Schalke, das gegen Ablöse einen überzähligen, teuren Angestellten aus dem Budget bekam. Überzählig ist ein hartes Wort, entspricht aber der Wahrheit. Den Vertrag bis 2020 hatte Höwedes noch zu Zeiten abgemacht, als er im Rang des Vorzeige-Schalkers stand: seit Kindheitstagen dort zu Hause, nie gewechselt, eine Kapitänshistorie, die jene von Klaus Fichtel und Klaus Fischer noch übertrifft. Als aber der Trainer Domenico Tedesco kam und die Kapitäns- und Sonderrolle des Abwehrchefs in Frage stellte, wurde die ungewöhnliche zur gewöhnlichen Geschichte. Höwedes, so sahen das viele Schalker, nahm Reißaus und wirkte dabei etwas divenhaft.

Richtig verabschiedet haben die Schalker ihren alten Helden nicht, das soll wohl im Dezember beim Rückspiel passieren. Dann wird es nicht nur für Höwedes Ovationen des Publikums geben, sondern auch für seinen Mitspieler Jefferson Farfán, 33, der Schalke sieben Jahre seiner Karriere gewidmet hat, ehe er 2015 nach Abu Dhabi wechselte.

Die Hinterbliebenen haben ihn als peruanischen Lukas Podolski in Erinnerung behalten: Wie der Kölner Prinz wird Farfán für seine Lebensfreude und sein Wesen mindestens so geliebt wie für sein Spiel. Stoffelshaus engagierte Farfán, als er hörte, dass Abu Dhabi den (immer noch) schnellen Stürmer nicht mehr bezahlte, und dieses extrem kostengünstige Geschäft hat sich als Hit erwiesen, denn der einst berüchtigte Hallodri ist im Alter zum Musterprofi geworden.

Auch Farfán freut sich bestimmt aufs Wiedersehen. Doch alte Bekannte wird er nur im zivilen Personal finden, von früheren Mitspielern ist nach Heidels Komplettumbau nur noch Ralf Fährmann übrig - bis auf Weiteres der letzte echte Schalker in Königsblau.

© SZ vom 02.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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