Real Madrid in der Champions League:Don Antonio Rüdiger, der Unverwüstliche

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Der Held der Königlichen: Real-Verteidiger Antonio Rüdiger feiert seinen entscheidenden Elfmeter gegen Manchester City. (Foto: Dave Shopland/dpa)

Auf dem Weg ins Finale muss der FC Bayern an ihm vorbei: Der Nationalspieler wird nach dem Sieg über ManCity von den Fans verehrt. Er verkörpert Reals große Stärken: unkonventionell Fußball spielen, niemals aufgeben.

Von Sven Haist, Manchester

Antonio Rüdiger war nicht mehr einzufangen, nicht mal von seinen Mitspielern. Nach seinem verwandelten letzten Strafstoß im Elfmeterschießen des Champions-League-Viertelfinales gegen Manchester City löste sich der Verteidiger von Real Madrid aus der Jubeltraube und sprintete diagonal über den Platz zu den mitgereisten Fans. So kam er mit großem Vorsprung bei den euphorisierten Madridistas an, sprang über die Werbebande und ließ sich dann minutenlang von den Anhängern gewissermaßen königlich sprechen - zum Don Antonio Rüdiger.

Seit seinem ablösefreien Wechsel vom FC Chelsea zu Real im Sommer 2022 hat sich Rüdiger als respektiertes Mitglied der royalen Fußballfamilie in Madrid etabliert. Aber um den Status der Verehrung zu erreichen, bedurfte es einer Vorstellung, die sich in die vielen glorreichen Europapokalnächte des Klubs einreiht. Diesen Nachweis erbrachte Rüdiger am Mittwochabend in einem weiteren memorablen Match dieser Saison: Real rang Titelverteidiger City nieder, irgendwie mit allerletzter Kraft im Elfmeterschießen (4:3).

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Nach dem sehenswerten 3:3 im Hinspiel stand es auch in Manchester nach regulärer Spielzeit und Verlängerung unentschieden, diesmal 1:1. Reals frühe Führung durch Rodrygo (12.) hatte Kevin De Bruyne für City spät ausgeglichen (76.). Im Shootout war der Verlauf dann umgekehrt: Zuerst war City nach einem Fehlversuch des Real-Routiniers Luka Modric im Vorteil, dann jedoch vergaben nacheinander die erfahrenen City-Profis Bernardo Silva und Mateo Kovacic. Den finalen Elfmeter donnerte Rüdiger in die linke untere Ecke.

Schon im Finale 2021, damals noch für Chelsea, nervte Rüdiger Guardiolas Team

Die Hochwertigkeit der Duelle zwischen City und Real, die zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren in einer K.-o.-Runde der Champions League aufeinandertrafen, ergibt sich aus den unterschiedlichen Spielansätzen. Am prägnantesten wies darauf Madrids offensive Allzweckwaffe Jude Bellingham hin, indem er nach dem Match seinen Trainer charakterisierte. Er habe Carlo Ancelotti vor dem Spiel "beim Gähnen" erwischt, erzählte Bellingham, und gefragt: "Boss, bist du müde?" Ancelotti konterte, er solle raus auf den Platz gehen und ihn "begeistern". Dies sei die "Ruhe und Zuversicht", die der Trainer vor der Mannschaft ausstrahle, erklärte Bellingham. Ancelotti lasse die Spieler "mit Freiheit" agieren, woraus sich gerade die größte Stärke des Teams speise: unkonventionelles Vorgehen. Deshalb ist Real, das alle Arten des Fußballs beherrscht und sich wie ein Chamäleon anpassen und tarnen kann, für das stets um Kontrolle bemühte City fast nicht auszurechnen.

Statt dem möglichen historischen "Double Treble" - der erfolgreichen Titelverteidigung in der Premier League, dem FA Cup und der Champions League - verbleibt City jetzt nur noch die Chance auf eine Wiederholung der beiden nationalen Erfolge des Vorjahres. Der bewährte Dauerbelagerungsfußball am gegnerischen Strafraum mit diesmal 18:1 Ecken brachte nicht den entscheidenden Durchbruch. Die Angriffskunst der Citizens scheiterte am Verteidigungsgeschick der Madrilenen, deren Widerstands- und Leidensfähigkeit niemand besser verkörpert als Rüdiger. Durchgehend blockte der deutsche Nationalspieler Pässe, Flanken und Schüsse vor dem eigenen Tor. Seine Furchtlosigkeit erinnerte an einen unverwüstlichen Ritter.

Nach dem Spiel betonte Rüdiger, dass es Real ausmache, immerzu bis zum Schluss zu kämpfen, zu glauben, nie aufzugeben. Diese Eigenschaften repräsentiert auch er. An kaum einem Verteidiger beißt sich Pep Guardiolas Team derart die Zähne aus wie an ihm. Der Berliner wirkt wie Kryptonit für ManCity, den Superman unter den Fußballklubs. Das Unheil mit Rüdiger begann für City im verlorenen Königsklassen-Finale 2021 gegen Chelsea, als Schlüsselspieler De Bruyne nach einem umstrittenen Zweikampf mit Rüdiger verletzt ausgewechselt werden musste. Die City-Fans haben dem Deutschen die Aktion bis heute nicht verziehen.

Trotz Dominanz kam das Team damals zu kaum einer Chance, immer wieder trieb Rüdiger Guardiolas Angreifer zur Verzweiflung. Seine Robustheit und Durchsetzungskraft bekam in der Vorsaison auch Erling Haaland zu spüren, im Königsklassenhalbfinale zwischen Real und City neutralisierte Rüdiger im Hinspiel den hochgelobten Mittelstürmer. Doch im Rückspiel setzte Ancelotti anstelle von Rüdiger überraschend auf den zuvor gesperrten Stammspieler Éder Militão. Die Entscheidung erwies sich als fatale Fehlkalkulation: Real erlebte in Manchester ein Debakel seltenen Ausmaßes (0:4) und verpasste das Finale 2023.

Kroos nimmt De Bruyne fast in Manndeckung - nur beim 1:1 kann sich der Belgier mal lösen

Aufgrund dieser Vorgeschichte will Rüdiger in dieser Saison wohl unbedingt klarstellen, dass er derzeit für jede Mannschaft unverzichtbar ist. Dabei war am Mittwoch die Rollenverteilung in Reals Abwehr ähnlich auf ihn zugeschnitten wie einst bei Chelsea. Dort profitierte Rüdiger von der Führungsstärke und Umsicht des weit gereisten Thiago Silva. In Manchester hatte er den erfahrenen Real-Kapitän Nacho neben sich - anders als im Hinspiel, als Ancelotti ihm den jungen Aurélien Tchouaméni zur Seite stellte, den Rüdiger seinerseits anleiten musste. Doch Rüdiger ist mehr Abwehrkämpfer als Abwehrstratege, da gleicht er seinem Vorgänger, dem Veteranen Sergio Ramos.

Durch seine emotionale Spielweise ist Rüdiger bei Real ein Gegenpol zu seinem stets besonnenen Vordermann Toni Kroos. Zusammen wirken beide DFB-Nationalspieler wie Herz und Kopf der Madrilenen, weil sie sich stets in den Dienst der Gruppe stellen. Im Duell mit City hatte der spielintelligente Kroos die Sonderaufgabe, die Kreise von De Bruyne einzugrenzen, er verteidigte ihn beinahe in Manndeckung. Nachdem der Belgier ihm einmal von der halbrechten auf die halblinke Position im Mittelfeld entwischt war, schoss er den Ausgleich - auch weil die vorherige Klärungsaktion von Rüdiger vor De Bruynes Füßen landete.

Dennoch zeigten die beiden Nationalspieler, die sich nun aufs Halbfinale gegen den FC Bayern freuen, in Manchester eine Ausnahmeleistung. Auf dem Weg zum Stadionausgang wartete Real-Angreifer Vinícius Júnior auf Rüdiger. Gewöhnlich ist es Vinícius selbst, der für seine wichtigen Tore verehrt wird, doch diesmal verhielt es sich anders: Vinícius sattelte Antonio Rüdiger auf den Rücken und trug ihn würdevoll wie eine Trophäe über das Spielfeld.

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