Pep Guardiola:Zurück unter Sterblichen

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Pep Guardiola während des Champions-League-Spiels gegen Lyon. (Foto: Reuters)

Pep Guardiola wurde zeitweise zu einer fast mythischen Figur überhöht - nun scheidet er freudlos und zum siebten Mal nacheinander aus der Champions League aus. Er wirkt zunehmend wie ein Getriebener.

Von Martin Schneider

Viel hat zur Überhöhung der Figur Pep Guardiola beigetragen und ein Faktor sind Geschichten aus seiner Zeit in New York. Dort lebte er, nachdem er mit dem FC Barcelona alles gewonnen hatte und auf seinen Start beim FC Bayern wartete. Er traf sich dort mit wichtigen Leuten, dem Regisseur Woody Allen zum Beispiel, und er ging ein paar Mal mit dem Schachweltmeister Garri Kasparow essen. Der Restaurantbesuch ist in dem Buch "Herr Guardiola" beschrieben, verfasst von Marti Perarnau, der von sich selbst sagt, er sei ein Freund des Katalanen.

Darin steht der Satz: "Guardiolas Hirn gleicht dem des Schachspielers, der alle Bewegungen einschätzt und abwägt, die eigenen wie die gegnerischen, und die Spielentwicklung antizipiert. Ganz gleich, gegen wen gespielt wird, die Vorbereitung ist immer dieselbe: Erst wenn alle denkbaren Varianten unter die Lupe genommen und eingeordnet sind, wird er sich entspannen."

Pressestimmen zum City-Aus
:"Wie oft, Pep, wie oft?"

Die englische Presse hadert nach der Champions-League-Niederlage von Manchester City vor allem mit Pep Guardiola - und kritisiert die "manische" Taktik-Tüftelei des Trainers.

Das Buch erschien 2014 nach seinem ersten Jahr beim FC Bayern und die Einschätzung, dass Guardiolas Hirn den Fußball irgendwie anders erfassen könne als das anderer Menschen, war damals keine ungewöhnliche.

Und nun? Verliert Guardiola mit Manchester City 1:3 im Champions-League-Viertelfinale gegen Lyon. Es war sein siebtes vorzeitiges Champions-League-Aus nacheinander und es war von allen Pleiten die freudloseste. Mit dem Spiel gegen Lyon ist Pep Guardiola zu sowas wie einem gewöhnlichen Trainer geworden, zurück unter Sterblichen. Seine Taktik: zu verkopft. Der Stil: defensiv gegen den Tabellensiebten der französischen Liga.

Wie strategisch Guardiola Spiele erfassen kann, ist immer noch offensichtlich - nur würde man heute nicht mehr anerkennend über Treffen mit Schachweltmeistern staunen, sondern ihm entgegenschmettern: Genau das ist dein Problem. Du denkst, Fußball sei Schach. Oder übersetzt: Fußball sei komplett durchzudenken.

Hermann Gerland bescheinigte Guardiola "Genialität"

Die Interpretation von Guardiolas Tun war schon immer kontrovers. Es ging ja schon los, bevor er mit dem FC Bayern überhaupt ein Spiel gespielt hatte, weil der bis an die Schmerzgrenze sympathische Jupp Heynckes, der niemals ein Sabbatical in New York gemacht hat, einfach ohne den mythologischen Überbau alle Titel gewann. Es folgten drei bis an die Schmerzgrenze dominante Bundesliga-Saisons und drei Champions-League-Halbfinal-Pleiten, bei der man für jede eine eigene Erklärung finden kann, wobei bei der letzten gegen Atlético Madrid wahrscheinlich "Pech" die zutreffendste ist.

War seine Zeit bei Bayern nun erfolgreich? Der Ekstase unverdächtige Menschen wie Hermann Gerland bescheinigten Guardiola "Genialität", fast alle seine Ex-Spieler schwärmen noch heute von ihm, sie würden Fußball nun besser verstehen. Nur langsam sickerten die Geschichten durch, dass man auf dem Feld vielleicht nicht immer ganz genau wusste, welche Taktik er sich nun ausgedacht hatte. Seine Vorstellungen von Sportmedizin deckten sich nicht mit denen von Vereinsarzt Müller-Wohlfahrt - und der in Katalonien politisch aktive Guardiola unterstützte die WM-Bewerbung von Katar.

Zu Manchester City ging er dann unausgesprochen deswegen, weil er dachte, sich mit den unendlichen finanziellen Möglichkeiten der Scheichs einen Traumkader zu zimmern. Einen Kader, der den Zufall ausschließt, der ihm die Kontrolle über das Spiel zurück gibt. In seiner Zeit gab Manchester City netto gerechnet eine halbe Milliarde Euro für neue Spieler aus, mehr als jeder andere Klub der Welt. Damit hatte kein Trainer größeren Gestaltungsspielraum, niemand hatte bessere Voraussetzungen für große Titel.

Und Guardiolas Geschichte wiederholt sich. In der Liga formte er eine Mannschaft mit absoluter Dominanz - 2017/18 holte er 100 Punkte, vergangenes Jahr waren es 98. In der vermeintlich stärksten Liga der Welt gewann er von 76 Spielen 64. Doch der Fußball entwickelte sich weiter. Für den Ligaalltag taugt der erdrückende Ballbesitz - die großen Turniere gewannen in den vergangenen Jahren Mannschaften, deren Kernelement Geschwindigkeit war. Real Madrid, der FC Liverpool, die französische Nationalmannschaft - sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit Tempo, Risiko und Präzision vors Tor kommen. Guardiolas Fußball basierte aber immer auf dem Gedanken der Kontrolle.

Dazu kommt, dass nationale Titel im Ansehen der großen Fußballöffentlichkeit wertloser werden. Dauermeister prägen den europäischen Fußball, wenn ein Trainer mit dem teuersten Kader der Liga die Meisterschaft holt, dann ist das Pflichterfüllung. Und von einem Guardiola erwartet man mehr als Pflicht.

Es bleibt nur noch die Champions League und da kommt es auf vier, fünf Spiele an. Guardiola haderte damit im Interview nach der Niederlage gegen Lyon. Er wisse ja, dass er an der Champions League gemessen werde. Aber es gebe sehr viele gute Mannschaften und am Ende könne immer nur eine die Champions League gewinnen. Man möchte ihm sagen, dass das im Sport eigentlich keine ungewöhnliche Konstellation ist.

Olympische Athleten warten vier Jahre auf den einen einzigen Wettbewerb und ihre Karriere wird danach bewertet, ob sie es geschafft haben, "auf den Punkt" da zu sein, oder halt nicht. Guardiolas Mannschaften waren nun sieben Mal nacheinander "auf den Punkt" nicht da - und mittlerweile zu oft war zumindest ein Faktor eine ungewöhnliche Taktik des Trainers. "Anderes Jahr, gleiches Zeug", war das vernichtende Urteil von Guardiolas bestem Spieler Kevin De Bruyne nach dem diesjährigen Aus.

In dieser Saison kommen noch ein paar Sachen hinzu. Der europäische Fußballverband Uefa schloss City aus der Champions League aus - wegen Verstößen gegen das Financial Fair Play. Der internationale Sportgerichtshof Cas kassierte den Ausschluss, mit 2:1-Richterstimmen und zufälligerweise schlug City zwei der Richter selbst vor (wogegen die Uefa aus mysteriösen Gründen keinen Einspruch erhob). Guardiola reagierte danach trotzig und beleidigt. Liverpools Trainer Jürgen Klopp, der das Urteil "keinen guten Tag für den Fußball" nannte, schleuderte Guardiola entgegen: "Es war ein großartiger Tag für den Fußball und kein schlechter Tag, weil es zeigt, dass wir nach den gleichen Regeln wie alle Eliteklubs spielen." Obwohl jeder vernünftige Menschen ahnt, dass City natürlich nicht nach den gleichen Regeln spielt.

Guardiola ist in diesen Moment von der überhöhten Figur, zu der er mal gemacht wurde, so weit entfernt wie vielleicht noch nie. Er wirkt nicht mehr wie ein Vordenker, er wirkt wie ein Getriebener, der die Realität vielleicht nicht direkt verkennt, aber mit Gewalt zu seinen Gunsten drehen will. Ein Jahr Vertrag hat er noch bei City, der Klub ist in seinen Strukturen so sehr auf ihn zugeschnitten, dass es eine Überraschung wäre, wenn er vorzeitig gehen würde.

Bei dem Gespräch in New York mit dem Schachweltmeister Kasparow, so erzählt es Perarnau in seinem Buch, ging es übrigens auch um den amtierenden Schachweltmeister Magnus Carlsen. Kasparow erzählte Guardiola, dass er Carlsen unmöglich schlagen könne - obwohl er die Fähigkeiten dazu hätte. Als Guardiola nachfragte, wie er denn darauf komme, antwortete der Weltmeister, er könne sich nicht mehr quälen. Carlsen könne sein Hirn sechs Stunden auf Hochtouren laufen lassen, er habe dazu die Kraft nicht mehr. Die Endgültigkeit, mit der Kasparow den eigenen Erfolg ausschloss, soll großen Eindruck auf Guardiola gemacht haben. Man bekommt den Eindruck, dass er diese Situation für sich mit allen Mitteln verhindern will.

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