Champions League:Was für ein Spiel

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Grenzenloser Jubel am Ende einer denkwürdigen Partie: das siegreiche Team von Atlético Madrid. (Foto: Thomas Coex/AFP)

Atlético Madrid gegen Inter Mailand, diese atemlose Partie im Champions-League-Achtelfinale, wird in Erinnerung bleiben: über ein bebendes Stadion, einen furchtlosen Einwechselspieler - und eine spektakuläre Wiedergutmachung.

Von Javier Cáceres, Madrid

Manchmal gibt es Spiele, die ein Aroma verströmen, dass man sagen will: Möge es nie vergehen. Spiele, die Teil eines über Grenzen hinweg respektierten Kanons werden wie unvergessliche Werke der Literatur, und die dem Fußball (oder bestimmten Klubs) neue Generationen an Fans erschließen. Diese Schlacht, die sich Atlético Madrid und Inter Mailand lieferten, zählt seit Mittwochabend dazu.

Atlético siegte im Rückspiel des Achtelfinales nach Verlängerung mit 2:1, dieses war exakt das Resultat, das nötig war, um dem Duell einen dramatischen Epilog zu verleihen: ein Elfmeterschießen, das Atlético mit 3:2 gewann. Weil die Madrilenen in Jan Oblak einen Torwart hatten, der den Interisti größer und einschüchternder vorkam als die Windmühlen dem Don Quijote. Weil es vielleicht irgendwo geschrieben stand, dass es so ausgehen musste und nicht anders. Weil Inters famoser Kapitän Lautaro Martínez den letzten Elfmeter so weit übers Tor setzte, dass der Ball irgendwo mit Wucht in seiner argentinischen Heimat eingeschlagen sein muss. Doch darum scherte sich im Metropolitano niemand. Es ging eher um die Frage, ob die Statik des Stadions halten würde.

Denn wenn jemand eines Tages behaupten sollte, das Estadio Metropolitano habe nach dem Einzug Atléticos ins Viertelfinale der Champions League im Wortsinne gebebt, als ob sich die Spannung tektonischer Platten entladen musste, dann wird jeder, der am Mittwoch da war, nur sagen können: Oh ja, das war der Fall. Wie das so ist, wenn 69 196 Menschen auf den Tribünen vor Freude synchron auf und ab hüpfen. Und Gemäuer zur Erschütterung bringen. An einem Abend, an dem nach Real Madrid und Barcelona der dritte spanische Vertreter ins Viertelfinale einzog - und in Inter der letzte italienische Repräsentant verabschiedet wurde.

Marcus Thuram, der frühere Gladbacher Stürmer in Diensten Inters, zeigt eine Szene wie beim Urologen

Was für ein Spiel das war. Atemlos. Von Anfang bis Ende. Und Atlético wurde von den Massen auf den Rängen in einer Weise getragen, wie es das 2017 bezogene Estadio Metropolitano bislang noch nicht erlebt hatte. "Dieses Stadion ist unglaublich", sagte, vor Emotion fast noch keuchend, Atléticos Trainer Diego Simeone, 53, als er nach Mitternacht im steil anlaufenden Pressesaal erschien. Die Journalisten, zu denen er sprach, hätten "keine Ahnung" von der Energie, die von den Rängen hinab auf den Rasen strömt, sagte er - und insistierte mit Emphase: "Gar keine Ahnung." Und man musste das glauben. Denn "was heute geschah, geschah wegen der Hingabe unserer Leute", sagte Simeone.

Wobei Simeone, ein bekennender Freund des testosterongesteuerten Fußballs, nicht vergaß zu erwähnen, dass natürlich auch das eine Rolle spielte, was auf der Einkaufsliste des ehemaligen Bayern-Torwarts Oliver Kahn an erster Stelle stand ("Eier"). Die größten "Bälle" zeigte laut Simeone der junge Einwechselspieler Rodrigo Riquelme. Er hatte in der letzten Minute der Nachspielzeit der regulären Spielzeit nach brillanter Vorarbeit von Antoine Griezmann frei vor dem Tor Inters gestanden und es dann auf so deutliche Weise verfehlt, dass er es bis an sein Lebensende nicht vergessen wird. Als dann aber das Elfmeterschießen anstand, bat er darum, antreten zu dürfen. Und verwandelte so sicher wie Memphis Depay und Ángel Correa.

Marcus Thuram, der frühere Gladbacher Stürmer in Diensten Inters, zeigte zuvor eine Szene wie beim Urologen. Er griff seinem montenegrinischen Bewacher Stefan Savic unbemerkt vom Schiedsrichter in die Genitalien. Es war eine verwerfliche Handgreiflichkeit, die auch der Videoschiedsrichter unterschlug (99.). Doch das Silentium als gewissermaßen bürokratieferne Entscheidung passte irgendwie zu dieser großen Partie. Weil die Beteiligten noch auf dem Rasen über diese Episode lachen konnten und weil das Spiel seine Attraktivität auch der Härte verdankte, mit der es geführt wurde. Weil es trotzdem zu keinem Zeitpunkt den Gedanken der Fairness aus den Augen verlor. Und weil Atlético sich als Sieger auch nicht mehr an Thurams Übergriff erinnern musste. In der Ekstase des Triumphs dachte niemand mehr an diese Anekdote, denn alle waren übermannt vom Gedanken daran, wie verblüffend diese Partie gewesen war.

Erstaunlich war auch ihre Vorgeschichte: Atlético hatte zwar bis zum Spiel gegen Inter 29 der vergangenen 32 Heimspiele gewonnen (zwei Remis, eine Niederlage). Aber am Wochenende hatten die Rotweißen in Cádiz auf beschämende Weise gegen eine Mannschaft verloren, die sechs Monate lang keinen Sieg mehr eingefahren hatte.

Am Mittwoch dann drehte Atlético eine Partie gegen Mailänder, die in diesem Jahr von 13 Spielen 13 gewonnen haben, die die Tabelle in der Serie A souverän anführen und im vergangenen Champions-League-Finale standen, das sie gegen Manchester City verloren. Und die daheim mit dem "Grande Inter" der 1960er Jahre verglichen werden. "Die haben tausend Angriffsoptionen", sagte Simeone. Doch am Ende hieß es: addio Inter. Durch ein Elfmeterschießen, das durch das späte 2:1 des eingewechselten Depay erzwungen wurde.

"Dieses Stadion ist unglaublich", schwärmt Simeone

Es war ein Tor, das eine Geschichte für sich war: Wegen der zauberhaften Vorarbeit des gerade erst genesenen Franzosen Griezmann (der sogar in einem nur halbfitten Zustand wohl der beste und feinste Spieler der spanischen Liga ist). Und vor allem, weil Depays Treffer (wenige Minuten nach einem fulminanten Pfostentreffer) in der 87. Minute fiel. Unerhört? Oh ja. In der laufenden Saison hatte Inter bis zum Mittwoch zwischen der 75. und 90. Minute kein einziges Tor kassiert. Wie also, Oblak, konnte das alles sein? "Wenn ich es wüsste, hätte ich einen anderen Beruf", sagte der Keeper.

Wobei natürlich auch er wusste, dass der Viertelfinaleinzug eng mit ihm zusammenhing. Weil er im Laufe des Spiels bei einigen bangen Momenten gegen Denzel Dumfries, gegen Lautaro Martínez oder Nicolò Barella zur Stelle gewesen war - und weil er die Elfmeter von Alexis Sánchez und Davy Klaasen brillant hielt, während Simeone in der Coaching-Zone Teilnahmslosigkeit mimte. Der Trainer tigerte, die Hände in den Hosentaschen, auf und ab, und schaut nicht zu den Schützen. Aber er bekam natürlich mit, dass Oblak zum Helden wurde.

Mann mit Zauberfüßen: Atléticos Antoine Griezmann trifft zum 1:1 - der Franzose ist sogar in einem nur halbfitten Zustand wohl der beste und feinste Spieler der spanischen Liga. (Foto: Goal Sports Images/Imago)

Machtlos war der Keeper nur beim Führungstor Inters durch Federico Dimarco gewesen, es war die Krönung einer traumhaften (und traumhaft schnellen) Kombination über die linke Angriffsseite (33.). Es spielte den Madrilenen danach in die Hände, dass Griezmann nur zwei Minuten später ausglich - nach einem fatalen Querschläger von Bastoni stand Griezmann fünf Meter vor dem übrigens ebenfalls ausgezeichneten Inter-Torwart Yann Sommer. "Wir haben Atlético zurück ins Spiel gebracht", sagte Inter-Trainer Simone Inzaghi.

Doch auch er wusste, dass es am Mittwoch nichts Mächtigeres als das Publikum gab. Simeone ermunterte es, wenn es zu verstummen drohte, mit den Armen: mehr Lärm! "Dieses Stadion ist unglaublich", hatte Simeone gesagt, und wahrlich das ist es. Und wird es wohl wieder sein, wenn Atlético in der Runde der letzten Acht antritt.

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