Fan-Randale in Marseille:Trauriger Tag für Europas Fußball

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Auch während des Spiels kam es zu Vorfällen: Die Eintracht-Spieler beobachten die Situation angespannt. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Pyros, Randale und sogar der Hitlergruß: In Marseille sind Anhänger von Eintracht Frankfurt einmal mehr in Ausschreitungen verwickelt - der Klub kann sich auf Geisterspiele einstellen.

Von Frank Hellmann, Marseille/Frankfurt

Es war eine imposante Choreografie, die die Anhänger von Eintracht Frankfurt vor einer Woche zum Champions-League-Debüt ersonnen hatten. Über alle Tribünen spannte sich vor dem Heimspiel gegen Sporting Lissabon eine schwarz-weiße Inszenierung, zu der in der Nordwestkurve, dem Hoheitsgebiet der Ultras, zwei Spruchbänder gehörten, die das Unheil vielleicht schon erahnen ließen. "Net viel Gebabbel" stand auf der einen Banderole, "Frankfurt makes trouble" auf der anderen. Diese hessisch-englische Ankündigung hat sich gleich bei der ersten Auswärtsreise zu Olympique Marseille (1:0) in trauriger Form bewahrheitet.

Der erste Königsklassen-Sieg in der Vereinsgeschichte wurde am Dienstagabend durch die Vorkommnisse im Stade Velodrome überschattet. Die feindseligen Anhängerschaften, in dem architektonischen Meisterwerk viel zu nah beieinander untergebracht, lieferten sich eine rücksichtslose Pyroschlacht. In steter Folge explodierten Böller, brannten Leuchtraketen, flogen Raketen in die Menschenmengen - oft genug unter dem Gejohle beider Lager, die nur ihre Gewaltbereitschaft vereinte.

1.FC Köln in der Conference League
:"Das war einfach nur nackte Gewalt"

Nach den heftigen Ausschreitungen im Stadion in Nizza ist die Schuldfrage kompliziert. Der 1. FC Köln reagiert schockiert und kritisiert die Polizeipräsenz als zu gering. Die Bandbreite an möglichen Strafen ist groß.

"Wir haben solch einen Tag in dieser Form noch nicht erlebt und in dieser Weise auch nicht für möglich gehalten", sagte Vorstandsmitglied Philipp Reschke über die Vorfälle: "So richtige Freude mag nicht aufkommen, weil es schon sehr befremdlich ist, welches Ausmaß an Aggressivität und Hass uns da entgegenschlug und natürlich auch auf Reaktionen traf." Ein Eintracht-Fan wurde während der Ausschreitungen schwer verletzt; weil dessen Gesundheitszustand lange unklar war, verzichtete der Gästebereich in der ersten Halbzeit auf jedwede Anfeuerung.

Die Spirale der Gewalt dreht sich nach Abpfiff weiter

Frankfurter Vielfahrer, die in friedlicher Absicht in die südfranzösische Hafenstadt gereist waren, beklagten eine nie dagewesene Form von Feindseligkeit auf französischer Seite. Das bezeugten am Tag danach etliche Videos in sozialen Medien. Auch die extra zum Transport der deutschen Gäste eingesetzten Busse wurden mit Gegenständen beworfen oder mit Raketen beschossen. Reschke beobachtete mehr Täter auf Seiten der Gastgeber, "im Verhältnis von 15:1", glaubt er, aber er verschwieg auch nicht, dass sich die Spirale der Gewalt selbst nach Schlusspfiff weiterdrehte, weil ein beträchtlicher Teil der Eintracht-Fans die Provokationen und Attacken als Aufforderung zur Grenzüberschreitung begriff. Zwei Leute zeigten mehrfach den Hitlergruß in Richtung der Olympique-Kurve. Die Eintracht entschuldigte sich noch während des Spiels für diesen hässlichen Vorfall.

Immer wieder flogen Pyrogeschosse in die benachbarten Fanblöcke. (Foto: Christian Hartmann/Reuters)

Das alles dürfte nicht folgenlos bleiben. Die Europäische Fußball-Union Uefa hatte für den Europa-League-Sieger nach dem Platzsturm im Halbfinale gegen West Ham United in der Vorsaison bereits einen Zuschauerausschluss auf Bewährung verhängt. Der damals in Frankfurt anwesende Uefa-Präsident Aleksander Ceferin erinnerte Eintracht-Präsident Peter Fischer noch beim Supercup in Helsinki vor einem Monat daran, dass - trotz aller Sympathie für den frenetischen Support - bei der nächsten Verfehlung ein Geisterspiel kommen wird.

Der Eintracht drohen also für das Heimspiel gegen Tottenham Hotspur (4. Oktober) leere Ränge, auch wenn Reschke eher von einer Bestrafung für ein Auswärtsspiel ausgeht. Das könnte aber Wunschdenken sein. Nach dem "Ausnahmezustand" am Mittelmeer kündigte der Justiziar an: "Wir müssen das Stück für Stück sauber aufarbeiten."

Die Eintracht-Funktionäre können nicht mehr die Augen davor verschließen, dass gewaltbereite Chaoten den von Vereinsseite immer wieder betonten Dialog missbrauchen, um zumeist ungestraft über die Stränge zu schlagen. Auf der langen Liste stehen Exzesse in Rom im Dezember 2018, in Mailand im März oder in Guimaraes im Oktober 2019. Einerseits trägt das Gros der Frankfurter Entourage zu stimmungsvollen Europapokalabenden bei, andererseits beteiligt sich ein Teil regelmäßig an Gewaltauswüchsen.

In Marseille konnten sich nicht mal die Protagonisten über das Siegtor von Jesper Lindström (43.) oder die starke Leistung des bereits 38 Jahre alten Makoto Hasebe freuen. Selbst die Katakomben wurden hinterher noch von Donnerschlägen erschüttert. "Solche Szenen haben mit einem Champions-League-Spiel nichts zu tun", erklärte Kapitän Sebastian Rode. "Es ist unheimlich schade, dass es so ausgeartet ist", ergänzte Keeper Kevin Trapp. Deutlich äußerte sich Trainer Oliver Glasner: "Das geht einfach nicht. Da missbrauchen ein paar Chaoten die Fußballbühne, um Gewalt und Aggressionen auszuleben. Wenn du beginnst, mit deinem Nachbarn Böller hin und her zu schießen, dann landest du vielleicht irgendwann im Gefängnis." Die örtliche Präfektur brachte am Dienstag 17 Personen in Gewahrsam; eine vergleichsweise kleine Zahl angesichts der Auswüchse an einem traurigen Tag für den europäischen Klubfußball.

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