Der Radsport hat eine Woche der Wahrheit hinter sich: Zwei seiner Größten, Jan Ullrich und Alberto Contador, wurden als Dopingsünder verurteilt. So eindeutig wie in ihren Fällen ist auch die Verdachtslage gegen Lance Armstrong, der siebenmal die Tour de France gewann - und die amerikanische Anti-Doping-Agentur kündigt an, sie wolle nun endlich auch ihn überführen. Armstrong bestreitet Doping strikt. So vehement, wie es auch Contador und Ullrich taten - und immer noch tun.
Contador sagt, er sei ein Opfer verseuchten Kalbsfilets. Ullrich räumt zwar tapfer ein, was das Bundeskriminalamt schon vor Jahren herausfand: "Kontakt" mit dem berüchtigten Dopingarzt Fuentes aus Spanien. Von Doping aber spricht er nicht. Nur von einem Fehltritt im Jahr 2006 - und vom Erwartungsdruck des Publikums.
Dieser Starrsinn ist erhellend, weil er das Grundproblem illustriert: Doping hat neben den leistungsfördernden Effekten auch einige schädliche Nebenwirkungen - die am weitesten verbreitete ist die Lüge. Im Sport ist keine Ausrede zu bizarr: Die Erdbeerbowle verursacht angeblich hohe Testosteronwerte, das Kokain kann nur in Omas Keksen aus Kolumbien gewesen sein.
Funktionäre beschwichtigen gern: Der Sport sei eben nicht besser als die Gesellschaft. Das ist die nächste Lüge. In großen Teilen des Sportbetriebs, in den Kraft- und Ausdauersparten, ist der Betrug eine strukturelle Notwendigkeit geworden. Das Geschäft mit den Körpermaschinen stieße rasch an natürliche Grenzen, gäbe es nicht die mit wissenschaftlicher Perfidie ausgetüftelten Pharmazusätze.
Hier dopt keiner mehr allein; ruchlose Ärzte, faustische Wissenschaftler sowie ein globaler Dopingmarkt stehen zur Verfügung. Dieser Betrug fällt kaum noch auf bei den Kontrollen der Anti-Doping-Agenturen, sondern meistens nur dann, wenn staatliche Instanzen zugreifen. Es braucht die harten Ermittlungsmethoden von Polizei, Zoll oder Steuerfahndern - Telefonüberwachung und Razzia. Auch Ullrichs Sündenfall kam nur so ans Licht.
Doping ist der Treibstoff einer Milliardenbranche
Sündenfall? In der Sportfamilie herrscht die Ansicht vor, eine Sünde bestehe weniger im Dopen - sondern darin, die Wahrheit zu sagen. Weil man damit die Familienehre beschmutzt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur hat das Strafmaß für Doping-Kronzeugen reduziert, von zwei Jahren Sperre auf ein halbes Jahr. Gefruchtet hat das bisher nicht - was nutzt einem die Gnade, wenn man in der Branche sowieso nie mehr unterkommt?
Spitzensport ist eine Milliardenbranche, Doping der Treibstoff darin. Es braucht die Lüge, um dieses System abzusichern. Würde ständig einer auspacken, wäre der Lack schnell ab. Zu wie viel Lüge Sportler wirklich bereit sind, zeigt sich nicht so sehr in der Chuzpe, mit der sie vors Publikum treten. Sondern darin, dass sie die Lüge meist ja auch vor ihren Nächsten pflegen müssen, vor Eltern, Partnern, Kindern. Dies auszuhalten, ist auch eine Art Leistungssport.