BVB in der Europa League:Tuchel hat sich mächtig getäuscht

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Mühelos fegt Borussia Dortmund im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League über Tottenham hinweg. Warum nur traten die Briten mit einer B-Elf an?

Von Felix Meininghaus, Dortmund

In solch beschwingter Stimmung hatte man Thomas Tuchel in Dortmund noch nicht erlebt. Normalerweise achtet der Trainer immer akribisch auf eine seriöse Ausstrahlung - diesmal scherzte er mit BVB-Pressesprecher Sascha Fligge und giggelte dabei wie ein Teanager.

Derzeit scheint den Dortmundern alles, was sie anpacken, mühelos von der Hand zu gehen, so der auch überzeugend wie souverän herausgespielte 3:0 (1:0)-Sieg gegen Tottenham Hotspur im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League. So etwas nennt man in der Sprache der Fußballer einen Lauf, dabei hatte Tuchel doch mit einer ganz anderen Herausforderung gerechnet. "Es werden zwei enge Partien, alles andere würde mich überraschen", hatte der Schwabe vor dem Anpfiff gesagt.

Da hatte sich Tuchel aber mächtig getäuscht. Die Dortmunder gewannen nach Toren von Aubameyang und zwei Mal Reus vor 65 848 Besuchern im ausverkauften Dortmunder Stadion überaus deutlich und boten dabei gegen einen bemitleidenswert unterlegenen Gegner über weite Strecken eine Gala. Dass die Partie dermaßen einseitig verlief, hatte auch damit zu tun, dass Tottenhams argentinischer Trainer Mauricio Pochettino im Ruhrgebiet eine B-Elf auf den Rasen schickte und seiner Mannschaft damit die Marschroute vorgab: Wir konzentrieren uns in erster Linie auf die Meisterschaft, der Europapokal läuft nebenher.

Tottenham auf sieben Positionen verändert

Sicher ist es die große Sehnsucht von Tottenham, nach 1961 endlich mal wieder die Landesmeisterschaft zu holen. Dennoch darf darüber debattiert werden, ob es statthaft ist, die Europa League einfach herzuschenken, indem man das Team im Vergleich zum 2:2 im Spitzenspiel gegen den Stadtrivalen Arsenal gleich auf sieben Positionen verändert.

Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc wunderte sich, "dass sie so viele Stammkräfte draußen gelassen haben. Aber das ist ihre Entscheidung." Mit der die Westfalen trefflich leben können. Sie nehmen die Europa League ganz anders an als der Gegner. Tuchel und seine Belegschaft wissen, dass sie Geschichte schreiben können: Mit Bayern München, Juventus Turin, Chelsea London und Ajax Amsterdam gibt es bislang nur vier Klubs, denen das Kunststück gelungen ist, alle drei europäischen Pokale zu gewinnen. Borussia Dortmund könnte der fünfte werden.

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In dieser Form und mit diesem Arbeitsethos gehört der BVB zu den Topfavoriten. Diese Mannschaft würde in ihrer derzeitigen Verfassung auch eine Etage höher weit kommen, wie Pochettino betonte: "Borussia Dortmund spielt auf Champions-League-Niveau", lobte Tottenhams Trainer. Weil sie Talent, Klasse und Einstellung vereint. "Das sah zwar ziemlich locker aus", sagte Torhüter Roman Weidenfeller, "aber es erfordert die volle Konzentration, es bis zum Ende durchzuziehen."

Zorc hatte im ausverkauften Dortmunder Stadion einen "komplett dominanten" BVB erlebt: "Bei konsequenterem Auftreten hätten wir sogar noch ein Tor mehr erzielen können." Trainer Thomas Tuchel war "äußerst zufrieden" mit dem Auftreten seiner Belegschaft: "Sehr frisch, sehr griffig, sehr entschlossen - und das wenige Tage nach dem körperlich und mental anstrengenden Spiel gegen Bayern München." Lediglich drei Gegentore in zwölf Rückrundenspielen sind Beleg für die Stabilität der Mannschaft, die immer besser umsetzt, was Tuchel vorgibt.

Es ist derzeit kaum etwas auszumachen, was diese Dortmunder von ihrem Weg abbringen könnte. Vielleicht der Umstand, dass der Revierklub derzeit nicht nur im Drei-Tages-Rhythmus auf dem Spielfeld gefordert ist, sondern auch außerhalb in Atem gehalten wird: Die Verträge von Schlüsselspielern wie Kapitän Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan laufen im Sommer 2017 aus, auch um Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang kursieren ständig neue Wechselgerüchte. Das alles beflügelt die Fantasie der Branche und erschwert es, das Tagesgeschäft in Ruhe abzuarbeiten.

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"Einen Ausverkauf wird es hier nicht geben"

Aubameyang wurde zuletzt mit Manchester United und Real Madrid in Verbindung gebracht, die Rede ist von utopischen Ablösesummen von bis zu 100 Millionen Euro. Zudem wurde Gündogans Berater und Onkel Ilhan Gündogan unlängst in Amsterdam im Gespräch mit Manchester Citys Manager Txiki Begiristain abgelichtet. Darauf angesprochen, reagierte Tuchel genervt. So etwas sei das "normale Tagesgeschäft, wir planen auch unseren Kader und sprechen mit Beratern".

In Dortmund versuchen sie weiter, den Vertrag des Nationalspielers zu verlängern. Das dürfte schwer genug werden, denn gelebte Vereinstreue gehört nicht zu den größten Tugenden des Hochveranlagten. Vor Saisonbeginn zog sich Gündogan den Unmut der Dortmunder Anhänger zu, als er seinen Vertrag erst dann um ein Jahr verlängerte, als klar wurde, dass er sich im Poker mit anderen Klubs verzockt hatte. Die Reaktion waren Pfiffe bei der Saison-Eröffnungsfeier. Als sich Gündogan auf der Asientour des BVB wie die anderen Profis mit den mitgereisten Fans ablichten lassen wollte, bekam er als Rückmeldung zu hören: "Du nicht, du bist keiner von uns."

Im Ruhrgebiet reagieren die Menschen ungeschminkt, und das könnte im Saison-Endspurt bei neuen Gerüchten noch für atmosphärische Verwerfungen sorgen. Im Bemühen, seine Vertragsangelegenheiten abzuarbeiten und dabei ein positives Betriebsklima zu bewahren, bewegt sich der BVB auf dünnem Eis. Doch Sportdirektor Zorc sieht die Dinge gelassen. Seit dem Doublegewinn 2012 werde in Dortmund ein Endzeitszenario gezeichnet, "und wir stehen immer noch sehr stabil auf dem Platz. Einen Ausverkauf wird es hier nicht geben."

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