BVB-Gegner SSC Neapel:Donnerschläge von der Nummer 17

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Furchteinflößend: Neapels Mittelfeldspieler Marek Hamsik. (Foto: AFP)

Schön ist er nicht. Die Zähne alles andere als filmreif. Die Frisur gruselig. Doch Marek Hamsik ist vom SSC Neapel nicht wegzudenken, der Klub hat den Offensivmann mit der kindlichen Begeisterung adoptiert. Zum Auftakt der Champions-League-Gruppenphase muss auch der BVB die gewaltigen Schüsse des Slowaken fürchten.

Von Birgit Schönau, Neapel

Er trägt die Trikotnummer 17. Ein Wahnsinniger, dieser Marek Hamsik. Die 17 ist eine Zahl, um die Neapolitaner einen großen Bogen machen, sie verheißt alles Unheil der Welt, Pest und Cholera, den Ausbruch des Vesuv, die nächste Meisterfeier von Juventus Turin. In dieser Stadt, wo sich seit Jahrtausenden offizielle Religion und inbrünstig zelebrierter Aberglaube auf das Farbigste vermischen, ist es ein Unding, wenn ein Fußballer so unverschämt das Schicksal herausfordert.

Aber die Nummer 17 bei Calcio Napoli ist nicht nur seit ein paar Wochen Kapitän, weil der gebürtige Neapolitaner Paolo Cannavaro in einem Formtief steckt. Hamsik, der Slowake mit dem angeblich "höchsten Hahnenkamm der Welt" (objektive Messergebnisse liegen nicht vor) ist der König von Napoli.

Schön ist er nicht. Die Zähne alles andere als filmreif. Die Frisur gruselig. Die Tätowierungen am falschen Platz - sie wirken wie Fesseln um die Fesseln. Das Brillenmodell von gestern, die Kleidung wahllos zusammengesucht: Hamsik hätte keine Chance auf eine Nebenrolle in einer der Trash-Komödien von Kinoproduzent und Klubpräsident Aurelio De Laurentiis. Anders als sein neuer Teamkollege Gonzalo Higuain, der kürzlich seinen Auftritt in einem De Laurentiis-Filmchen als schöne Statue haben sollte.

Kurz zuvor aber schlug er sich vor Capri bei einem ungelenken Sprung von der Jacht den Kiefer blutig. Im Krankenhaus flickte man Higuains Gesicht rasch zusammen - und De Laurentiis tobte. Die Medici von Capri hätten den smarten Argentinier für immer entstellt, eine Schande für Italien! De Laurentiis forderte vor lauter Wut mal eben 100 Millionen Euro Schadenersatz, Capri blieb cool: Die Inselverwaltung verlangte ihrerseits 50 Millionen, wegen Rufschädigung. Damit könne man unter anderem ein schönes, neues Krankenhaus bauen. Higuain ließ sich zwei Tage später die Fäden ziehen, sieht aus wie immer und schießt, von Hamsik bedient, seine Tore in Serie.

Hamsik schippert nicht vor Capri. Er zeigt sich nicht dort, wo jenes mondäne Leben stattfindet, das am Golf von Neapel immer noch schriller und todesverachtender ist als anderswo. Von Hamsik kursiert ein Video im Internet, das schon eine halbe Million Zuschauer hatte. Es zeigt ihn in einer dunklen Gasse der Altstadt, beim Kicken mit ein paar Kindern. Hamsik umkurvt seine Gegenspieler, als wäre er im Stadio San Paolo, und nach ein paar Sekunden schreit er lauthals: "Tor! Zwei zu null!"

Diese kindliche, pure Begeisterung für das Spiel ist ein Grund dafür, warum Neapel ihn adoptiert hat. Der zweite ist Hamsiks Treue zu einer Stadt, die nicht leicht zu leben ist, eine Metropole zwischen Paradies und Hölle, in der niemand sich vor der Alltagsrealität verschließen kann. Neapels Alltag ist die Armut, der Schmutz, die Kriminalität ebenso wie die grandiose Kulisse, die beeindruckende Kultur und eine herzzerreißende Menschlichkeit.

Drei Mal wurde Hamsik auf offener Straße ausgeraubt. Banditen zwangen seine schwangere Frau unter vorgehaltener Waffe, ihnen ihr Auto zu überlassen. Nicht auszuschließen, dass die Pistoleros anschließend mit Hamsiks Wagen zum Stadion fuhren.

Der Fußball ist das Einzige, was Höllenkreaturen und Paradiesengel eint. Der Calcio und seine Nummer 17. Seit sieben Jahren spielt Hamsik beim SSC Neapel, gerade hat er für weitere fünf Jahre verlängert, mit dem schlichten Argument: "Ich wohne hier nicht zur Miete. Ich bin hier zu Hause."

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Tatsächlich konnte der SSC wohl auf Edinson Cavani und Ezequiel Lavezzi verzichten, beide gingen für viel Geld zu Paris St. Germain. Hamsik aber ist ebenso unverkäuflich wie unbeirrbar, auch in diesem Sommer schlug er lukrative Angebote aus England und Spanien aus. Er verdient drei Millionen Euro netto im Jahr, das ist viel Geld beim eher sparsamen SSC - aber deutlich weniger als die 5,5 Millionen für Zugang Gonzalo Higuain, den Top-Verdiener im Team. Mit Higuain und dem Spanier José Callijon (beide von Real Madrid) hat Neapel nach Cavanis Abschied seine Offensive verstärkt, der neue Trainer Rafael Benítez lässt Hamsik hinter der Spitze agieren. Das zahlt sich aus.

Zwar fehlt dem Slowaken das traumwandlerische Genie der Italiener Del Piero und Totti, die ihre Landsleute von gleicher Position verzaubern (Del Piero spielt mittlerweile in Australien). Hamsik ist eher ein Kraft- und Fleißfußballer, sein Zuspiel ist präzise, seine Torschüsse sind Donnerschläge. Das Pflaumenweiche, Katzenhafte liegt ihm nicht, er pflegt nicht zu schleichen, sondern zu staksen. Das sieht selten elegant aus, führt aber fast immer zum Ziel.

Gemeinsam mit dem Chilenen Arturo Vidal von Juventus und Mario Balotelli von Milan gilt der 26-Jährige als einer der besten Offensivspieler der neuen Generation. Der blonde Tscheche Pavel Nedved, einst eine Ikone bei Juventus Turin, sieht in Hamsik seinen Nachfolger: "Er spielt ganz ähnlich wie ich." Kämpferisch, laufstark, zur Not auch mal in der Abwehr. Nur die Frisur ist wirklich ganz anders.

Man könnte sich Hamsik auch in Dortmund vorstellen. Die Borussia sei, schmeichelt Präsident De Laurentiis, dem SSC Neapel doch sehr ähnlich. "Eine Super-Mannschaft, die tollen Fußball spielt, außerdem auch sehr sympathisch." Zudem sind beide Klubs Tabellenführer. Der SSC wolle sich mit den Borussen-Fans verbrüdern, "die sind genauso leidenschaftlich wie unsere Tifosi". Ist das ein Kompliment?

Es ist ein Kompliment. Neapel freut sich auf ein Derby der Emotionen, das Stadion ist ausverkauft, zum Rückspiel im November erwartet das Ruhrgebiet eine friedliche Invasion von Neapolitanern. Dabeisein sei alles, sagt Marek Hamsik: "Ich mache mir jetzt keine Illusionen, die Champions League zu gewinnen. Möglichst weit zu kommen, das reicht uns schon. Wenn ich träumen darf, dann von der Meisterschaft." Einmal Juve die Party vermasseln. Mit der Nummer 17.

© SZ vom 18.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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