Lucien Favre ist noch nicht als Lautsprecher auffällig geworden, seit er seinen Job auf der Trainerbank von Borussia Dortmund angetreten hat. Der Schweizer übt sich in Zurückhaltung, die große Bühne ist nicht sein Revier. Das war auch am Tag seines 62. Geburtstags so. Viel Aufhebens mochte Favre darum nicht machen. Bescheidenheit ist für ihn eine Zier, eine Attitüde, die Favre im Revier nicht immer zu seinen Gunsten ausgelegt wird.
Am Abend nach dem Spiel gegen den VfL Wolfsburg am Samstag wollte er allerdings anstoßen: mit einem Glas Rotwein, wie er sagte. Auf ein neues Lebensjahr, aber auch auf drei wertvolle Punkte, die Borussia Dortmund in der Tabelle auf Rang zwei hieven. Auch wenn sich das Ergebnis von 3:0 (0:0) nach Toren von Thorgan Hazard (52. Minute), Raphael Guerreiro (58.) und dem Elfmetertreffer des eingewechselten Mario Götze (88.) wesentlich klarer liest, als es die wahren Kräfteverhältnisse waren.
Mitte der ersten Hälfte hätten die Dortmunder sogar in Rückstand geraten können
Die Gastgeber taten sich bis zum Führungstreffer enorm schwer, Struktur und Torgefahr zu generieren. Mitte der ersten Hälfte hätten die Dortmunder sogar in Rückstand geraten können, hatten jedoch Glück, dass der Lupfer von Wolfsburgs Lukas Nmecha von der Latte zurückprallte. Bemerkenswert war zudem, dass nach einer knappen halben Stunde nicht nur Dortmunds Kapitän Marco Reus angeschlagen raus musste, sondern auch Schiedsrichter Tobias Welz mit einer Wadenverletzung. Assistent Martin Thomsen sprang ein.
Die Borussia kombinierte zwar ganz gefällig, doch wenn es darum ging, im gegnerischen Strafraum Wucht und Entschlossenheit zu zeigen, gelang wenig. Das legte sich erst, als mit dem 1:0 mehr Leichtigkeit in die Dortmunder Aktionen kam. "In der ersten Halbzeit war es zäh, und wir mussten geduldig sein", sagte Mittelfeldspieler Julian Weigl: "Nach der Führung war wieder mehr Spaß drin." Favre betonte, der Sieg sei "klar verdient. Wir hatten in der zweiten Halbzeit viele Chancen, das war schön zu sehen. Wir haben uns dann gut bewegt zwischen den Linien."
Der BVB entschied das Spiel ohne nominellen Mittelstürmer. Und wie ungemein wichtig ein Spieler wie Paco Alcácer für die Statik des Dortmunder Spiels ist, war der Mannschaft in den vergangenen Wochen schmerzhaft vor Augen geführt worden. Null Tore in Mailand, null beim Revierderby auf Schalke und auch beim 2:1 im Pokalspiel gegen Mönchengladbach: 80 Minuten Harmlosigkeit. Gerade einmal fünf Schüsse auf das gegnerische Tor bei den Gastauftritten in Mailand und Gelsenkirchen waren viel zu wenig für einen Verein mit den Ansprüchen des BVB, zu wenig auch für die Qualität des Kaders.
Doch begabte Spieler wie Reus, Hazard, Götze, Jadon Sancho, Julian Brandt und Achraf Hakimi agieren lieber hinter den Spitzen oder ziehen von der Außenbahn nach innen. Ihre Stärken kommen nur dann richtig zum Tragen, wenn in der vordersten Linie ein Kollege Räume schafft, in die sie hineinstoßen können.
Diese Präsenz in der Spitze garantiert bei der Borussia nur Alcácer, er ist die einzige sogenannte echte Neun im Kader. Auch die drei Treffer gegen Wolfsburg konnten das Manko der fehlenden Präsenz in der Box nicht vollständig verdecken. Favre und die Dortmunder Planer müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, zwar mehr als 100 Millionen Euro in ihren Kader investiert zu haben, es dabei jedoch vor der Saison versäumt zu haben, einen Backup für Alcácer zu verpflichten. Dabei gilt der 26-Jährige als verletzungsanfällig. Zuletzt verpasste er aufgrund einer Achillessehnenreizung fünf Partien.
Nun kam er gegen Wolfsburg kurz vor dem Abpfiff in die Partie. Für Dortmund bedeutete das die nächste gute Nachricht. Und vielleicht sieht Sportdirektor Michael Zorc die Mannschaft auch deshalb im Soll, obwohl es im Spiel des BVB weiterhin in vielen Phasen des Spiels knirschte: "Wir schauen positiv in die Zukunft. Das Glas bei uns ist halb voll", sagte Zorc. Die nahe Zukunft, das sind ja immerhin Spiele gegen Inter Mailand und den FC Bayern.