Bundesliga:Zu lange ins Schneckenhaus verkrochen

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Einer muss ans Mikrofon: Hertha-Trainer Tayfun Korkut am Tag nach der Blamage in Fürth (Foto: Sebastian Räppold/Matthias Koch / imago)

1:2 beim Tabellenletzten Fürth: Hertha-Trainer Tayfun Korkut bemängelt die fehlenden Selbstheilungskräfte seiner Spieler. Doch obwohl die Berliner weiter in Richtung Tabellenende taumeln, soll keine Abstiegspanik aufkommen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Tayfun Korkut kam am Sonntagvormittag aus dem Kabinentrakt der Hertha ans Trainingsgelände, und es war ihm anzusehen, dass ihn nicht nur die tief stehende Sonne marterte. Noch mehr quälten ihn die Gedanken an den Vortag: an das 1:2 seiner Berliner beim Tabellenletzten Greuther Fürth - und ganz besonders der Gedanke an das, was er als Trainer zur Halbzeit bewirkt hatte: "Was uns nicht gefällt: dass wir in der Halbzeit Sachen ansprechen, und es wird dann besser", sagte Korkut am Tag danach, sichtlich verstimmt.

Potzblitz! Ein Trainer, der sich darüber ärgert, dass sein Coaching positive Effekte zeigt und den Vortrag seiner Mannschaft verbessert? So war es natürlich nicht, nicht ganz zumindest. "Wir wollen, dass sich die Mannschaft auch ein Stück weit selbst regelt", erklärte Korkut seinen beim ersten Hinhören seltsam anmutenden Satz. Was er bei der Hertha also aktuell vermisst, ist eine Mannschaft, die in Momenten der Not, wie in Fürth, Selbstständigkeit zeigt, um die Hürden zu überwinden.

Am Samstag hatte es nur 27 Sekunden gedauert, bis im Sportpark Ronhof ein solcher Augenblick entstanden war. Die Hertha stieß die Partie an, verlor den Ball umgehend, und als er wieder Richtung Berliner Tor gewandert war, kam es auf Höhe der Mittellinie zu einem Pressschlag zwischen Herthas Vladimir Darida und dem Fürther Paul Seguin. Das Resultat war ein Traumpass in den freien Raum, den Fürths schwedischer Kapitän Branimir Hrgota zur Blitz-Führung des Außenseiters verwertete (1:0/1.).

Es sollte nicht, aber es könne mal passieren, dass man mit dem ersten Schuss sofort ein Gegentor kassiere, sagte dazu Korkut. Und man müsse auch hinnehmen, dass man als Mannschaft danach erst mal weder allegretto noch allegro spielt, sondern "lugubre" - trauernd. Was aber nicht sein dürfe, so Korkut: dass der eine oder andere dem Impuls nachgibt, sich "ins Schneckenhaus" zu "verkriechen" und dass eine Mannschaft danach "die erste Halbzeit verschenkt". Doch genau das tat die Hertha, bis Korkut sie in der Pause weckte.

Nicht, dass die Berliner im Anschluss an die Halbzeit-Ansprache des Trainers das Schießpulver neu erfunden hätten. Doch die Spielbeobachter quittierten am Ende mehr Ballbesitz für die Hertha, 28 Torschüsse, eine höhere Zahl an gewonnenen Zweikämpfen und weitere statistische Größen, die am Ende aus Gästesicht alle vor Irrelevanz troffen. Denn Herthas Maxi Mittelstädt verursachte unglücklich einen Handelfmeter, den Hrgota zum 2:0 verwandelte (70.), so dass der Treffer des 17-jährigen Linus Gechter zum 1:2 nicht genügte.

"Wir müssen die Situation jetzt annehmen, wie sie ist. Wir sind unten."

Die Fürther jazzten ihren erst dritten Bundesligasieg zum ersten echten Triumph in dieser Spielzeit hoch, weil bei den beiden vorangegangenen (gegen Union Berlin und gegen Mainz 05) kein Publikum erlaubt gewesen war. Erstmals überhaupt konnten also Fans am Ronhof einen Erstliga-Sieg bejubeln. Die Hertha hingegen wartet 2022 noch immer auf einen Dreier. Sie "taumelt so der 2. Liga entgegen", wie die BZ am Sonntag Alarm kreischte.

Dennoch vermied Cheftrainer Korkut am Sonntag jedes Wort, das die Komponente "Abstieg" enthält, und war auch sonst um Fassung und Kontrolle bemüht, erst recht in der Kabine. "Es geht nicht um Aktionismus, dass man jetzt rumschreit und den Hampelmann spielt", sagte er.

Aber ja, "klar", sogar "sehr klar" sei er bei seiner Rede an die Mannschaft schon gewesen. Es gehe nun "um die absolute Fokussierung, und, was noch viel wichtiger ist, auch darum, realistisch zu sein, die Situation annehmen, wie sie jetzt ist." Was das bedeutet, hatte Darida, einer der Dienstältesten im Kader, schon am Samstag so formuliert: "Wir sind unten. Wir müssen spielen, als wären wir unten."

Konkret steht die Hertha einen Punkt vor dem Relegationsplatz und fünf Punkte vor Rang 17. Nächsten Sonntag gastiert das erstarkte RB Leipzig in Berlin. Ob's da einfacher wird? "Das hängt ein Stück weit von uns selber ab", sagte Korkut. Er weiß, das gerade jeder Gegner für die Hertha ein Everest zu sein scheint.

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