Bochums Trainer Thomas Reis:Staatsangehörigkeit? Ruhrpott!

Lesezeit: 4 min

"In Bochum musst du Mentalität zeigen - und ich gehe voran!" Thomas Reis, der Erfolgstrainer des VfL, bei der Arbeit. (Foto: Maik Hölter/Team 2/imago)

Thomas Reis hat den VfL Bochum aus den Tiefen der zweiten Liga in die Bundesliga-Mittelklasse geführt. Klingt nach Märchenprinz, aber das passt so gar nicht zu ihm.

Von Ulrich Hartmann, Bochum

Vor ein paar Jahren hat sich Thomas Reis, 48, ein Motto auf die Innenseite des rechten Oberarms tätowieren lassen: "Set your goals high and do not stop until you get there." Setze dir hohe Ziele und gib nicht auf, bevor du sie erreicht hast! Eine global gültige Botschaft in global verständlichem Englisch.

Hätte Reis damals geahnt, dass für ihn mit dem Trainerposten beim VfL Bochum einmal ein großer Traum in Erfüllung gehen würde, dann hätte er für sein Tattoo auch das Ruhrpott-Idiom wählen können. Dann stünde auf seinem Arm jetzt vielleicht lakonisch: "Lass knacken! Mach hinne! Mit Schmackes!" Das kommt inhaltlich ungefähr aufs Gleiche raus, hätte aber auch vorzüglich zu jenem leidenschaftlichen Fußball gepasst, den der VfL unter der Regie von Reis gerade spielt. "Hier in Bochum musst du Mentalität zeigen", weiß er, "und ich gehe voran."

Es lässt sich nicht mehr rekonstruieren, wann genau der gebürtige Wertheimer aus der nördlichsten Stadt Baden-Württembergs endgültig seiner Wahlheimat Bochum verfallen ist. In einem Interview hat er mal gewitzelt, er habe mittlerweile die "Staatsangehörigkeit Ruhrpott" angenommen. Nach Jahren als junger Fußballer beim VfB Stuttgart und bei Eintracht Frankfurt spielte Reis von 1995 bis 2003 auch schon aktiv für den VfL, später wurde er dort Trainer verschiedenster Mannschaften.

Nachdem Reis 2016 als A-Jugend-Trainer zum VfL Wolfsburg gewechselt war, holten ihn die Bochumer im September 2019 zurück - als Cheftrainer für ihre damals verzweifelte Zweitliga-Mannschaft. Gefühlt die Hälfte seines Lebens hat Reis also mittlerweile in der Stadt verbracht. "Ich bin längst eingebürgert", sagt er stolz. Für Reis bedeutet das nicht nur, dass er in dieser Stadt wohnt, arbeitet und freundlich gegrüßt wird. Bochumer zu sein, ist für ihn auch eine Lebenseinstellung: "Die Menschen im Ruhrgebiet zeichnen sich durch eine sehr direkte Art aus, die mir extrem gut gefällt. Auch ich will möglichst immer aufrichtig und direkt sein."

"Das Miteinander hat hier Tradition. Auch die Bergleute mussten früher zusammenhalten."

Diese Philosophie ist auch ein Teil der Erklärung dafür, wie es seine Mannschaft geschafft hat, sich unter Reis von einem erfolglosen Zweitliga-Vorletzten (Herbst 2019) in einen leidenschaftlichen Tabellenelften der Bundesliga zu verwandeln. Man könnte das eine Cinderella-Story nennen, wenn so eine bonbonfarbene Prinzessin auch nur halbwegs in den rustikalen Ruhrpott passen würde. Tut sie aber nicht. Außerdem ist Reis auch eher nicht der Charaktertyp Märchenprinz.

Wenn man ihn oder seine Spieler nach dem Geheimnis des Erfolgs fragt, dann fallen Begriffe wie Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Respekt. "Die Ruhrpott-Mentalität wird vom Wir geprägt", sagt Reis. Er hat viel gelesen über die Geschichte der Stadt. "Das Miteinander hat hier Tradition, die Bergleute früher mussten auch zusammenhalten." Für die Kumpel ging es um Leben und Tod, für die Fußballer geht es nur um Sport, und doch fühlt sich der Klub einer Tradition verpflichtet.

Wenn die VfL-Spieler durch den Kabinengang des Ruhrstadions zu jener Treppe gehen, die sie auf den Platz hinaufführt, dann sollen sie sich fühlen wie unter Tage. Mit Fototapete wurde ein Bergbaustollen nachempfunden. Einige Spieler kommen aus Frankreich, Griechenland, Japan, Brasilien. Man versucht, sie das Bochumer Vermächtnis spüren zu lassen - im Kabinengang, im Bergbaumuseum nebenan und jeden Tag auf dem Trainingsplatz, wo Reis mit einem Wertekatalog arbeitet, in dem Respekt, Aufrichtigkeit und Disziplin eine wichtige Rolle spielen. "Der VfL ist ein besonderer Verein", sagt er, "uns ist wichtig, dass wir nach jedem Spiel in den Spiegel schauen und sagen können, dass wir alles gegeben haben - und wenn es mal nicht gereicht hat, dann war der Gegner eben besser."

Ein bisschen Bergbau-Stimmung im Fußballstadion: Die VfL-Profis sollen sich als Malocher verstehen. (Foto: imago)

Reis erzählt zur Veranschaulichung gern beispielhaft von einem Fußballer, der nicht mit allergrößter Begabung gesegnet war, seine Defizite aber durch Leidenschaft kompensiert hat. Es ist seine eigene Geschichte. "Ich war nicht der Schnellste und musste viel mit Mentalität ausgleichen", sagt er, "so bin ich Profi geworden, obwohl es in meinem Jahrgang viel talentiertere Fußballer gab." In Bochum erreichte Reis als Abwehrspieler Ziele, die er nicht zu träumen gewagt hatte: 1996 stieg er mit dem VfL unter Trainer Klaus Toppmöller in die Bundesliga auf, 1997 wurde man direkt Tabellenfünfter und schaffte es anschließend bis ins Achtelfinale des Uefa-Pokals. Es war die bis heute strahlendste Zeit des Bochumer Fußballs.

"Fußballprofis", sagt Reis, "sind wie sensible Rennpferde."

Als Reis 2019 Cheftrainer wurde, sagte er den Spielern in seiner Antrittsrede, er wolle den VfL wieder dorthin führen, wo er mal war. Die Spieler schauten irritiert, sie standen ja gerade als Zweitklässler auf Platz 17. Doch binnen zweieinhalb Jahren führte Reis sie ins Mittelfeld der ersten Liga. Wenn am Samstag der FC Bayern zu Gast sein wird, kann der VfL gegen den Serienmeister viel selbstbewusster antreten als noch beim lehrreichen 0:7 in der Hinrunde. Mit einem vergleichsweise winzigen Etat von 24 Millionen Euro ist das eine reife Leistung, und am 2. März steht Bochum zudem im DFB-Pokal-Viertelfinale und empfängt dort den SC Freiburg. Ganz Bochum träumt vom ersten Berliner Finale seit 1988 (0:1 gegen Frankfurt).

Wenn die VfL-Spieler um Sebastian Polter (rechts) Druck brauchen im Training, bekommen sie ihn von Trainer Thomas Reis. (Foto: Maik Hölter/Team 2/imago)

Weil für Reis mehr zählt als der Fußball, ist er stets auch daran interessiert, wie es seinen Spielern geht. Dazu fragt er schon mal beim Zeugwart oder Physiotherapeuten nach, ob sie das Gefühl haben, dass einem Spieler gerade was auf der Seele brennt. "Thomas Reis hat großen Anteil daran, wer wir sind und wie wir spielen", sagt Stürmer Sebastian Polter, "er ist sehr kommunikativ und macht gern mal einen Spruch, mit ihm kann man richtig lachen." Doch sobald es ums Training gehe, warnt Polter, müsse man hochkonzentriert sein: "Da zählt für ihn nur die Leistung, und wenn die nicht stimmt, dann kann er schon mal in die Luft gehen." Bochums Erfolg hat für Polter auch damit zu tun, welche Typen Reis für den Kader aussucht: "Es wurden viele Mentalitätsspieler verpflichtet, auch ich bin einer, der sich über Kampf und Leidenschaft definiert." Ein Teamgeist wie in Bochum erfordere bisweilen aber auch unangenehme Arbeit: "Du musst in schwierigen Phasen offen und ehrlich miteinander umgehen - und das tun wir."

"Bro, konzentrier' dich!", steht am Trainingsplatz neben dem Stadion auf einer Werbebande. Nicht der Trainer hat diesen Spruch anbringen lassen, aber er könnte von ihm stammen. "Zuckerbrot und Peitsche" nennt Reis seine Pädagogik. Das Zuckerbrot kommt bei ihm, der selbst gerne mal was nascht, gewiss nicht zu kurz. "Fußballprofis sind sensible Rennpferde, die du immer mal streicheln musst", sagt er. Das hilft, wenn man sich hohe Ziele setzt und nicht aufgibt, bis man sie erreicht hat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungNiklas Süle zum BVB
:Gut für die Börse

Ist die Verpflichtung von Niklas Süle eine Kampfansage der Dortmunder an den FC Bayern? Wer das hofft, sollte lieber Playoff-Spiele in Erwägung ziehen.

Kommentar von Christof Kneer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: