Im Fußball könnte vieles so einfach sein - wenn da nicht einmal pro Woche diese 90 Minuten wären, an denen es auf die elf bis 15 Angestellten in den kurzen Hosen ankommt. Auch beim VfB Stuttgart, der am Samstag (15.30 Uhr) als siegloses Team zum Auswärtsspiel beim FC Bayern antritt, nervt im Fußball-Alltag derzeit einzig und allein der Fußball - das allerdings gleich auf mehren Ebenen.
Vier Punkte aus fünf Spielen sind bisher deutlich zu wenig Ausbeute. Dass zudem der Torjäger Saša Kalajdzic, dem der VfB während diverser langwieriger Verletzungen den Rücken freihielt, nach Wolverhampton wechselte, haben Sportdirektor Sven Mislintat und Trainer Pellegrino Matarazzo als undankbaren Akt empfunden. Und dann gab es da ja auch noch drei Platzverweise aus den bisherigen Spielen in Liga und Pokal. In München, spätestens aber im darauffolgenden Heimspiel gegen Frankfurt, müssen deshalb Punkte her. Sonst könnte sich die Stimmung beim VfB merklich eintrüben, obwohl sie innerhalb und im Umfeld des Vereins derzeit so harmonisch ist wie seit langem nicht mehr.
Über Monate war der Verein fast ausschließlich befasst mit dem Machtkampf zwischen Präsident Claus Vogt und dem damaligen Sportvorstand Thomas Hitzlsperger, die dabei auf ihre jeweiligen Seilschaften zurückgreifen konnten. Nach der deutlichen Wiederwahl von Vogt im vergangenen Winter waren die Fronten geklärt, im März ging Hitzlsperger. Die Zusammenarbeit mit den Vizepräsidenten Christian Riethmüller und Rainer Adrion verläuft nun zumindest geräuschlos.
Zudem hat sich der VfB, dessen Leitungsebene jahrzehntelang konservativ geführt wurde, zuletzt immer weitgehender gesellschaftspolitisch engagiert - eine Entwicklung, die allerdings schon Hitzlsperger befördert hatte und deren sichtbares Zeichen das Regenbogen-Trikot war, mit dem der VfB im Januar 2021 gegen Mainz auflief. Viele Anhänger wundern sich deshalb noch heute, was der eigentliche Grund für das Zerwürfnis zwischen Vogt und Hitzlsperger gewesen war.
Denn weltanschaulich trennte die beiden nicht viel. Vogt hatte sich schon vor seiner ersten Wahl 2019 stark mit gesellschaftspolitischen Themen profiliert. "Wir werden in dem Bereich künftig noch deutlich mehr machen", sagte er nun auf dem Weg zum Spiel in München über die Freisprechanlage seines Autos. Und: Er werde bei der Mitgliederversammlung an diesem Sonntag auch ein großangelegtes neues Vorhaben vorstellen. Dies könnte dort auch eines der wichtigsten Themen werden, denn ansonsten sieht die Agenda für Sonntag vor allem Ehrungen und wenig kontroverse Anträge vor.
Ein VfB-Frauenteam? "20 Jahre wurde erzählt, aus welchen Gründe es gerade angeblich nicht geht."
Auch Hitzlspergers Nachfolger, der neue VfB-Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle, tritt seit Sommer immer wieder mit progressiven Anliegen an die Öffentlichkeit und engagiert sich - wie sein Vorgänger Hitzlsperger - als offen schwul-lebender Mann gegen Diskriminierungen. Auch in Sachen Umweltschutz positioniert sich der VfB nun deutlicher, zuletzt bewarb der Klub vor dem Schalke-Heimspiel die Anreise der Zuschauer per Fahrrad. Dies legte allerdings auch Versäumnisse der Vergangenheit offen. Denn während der VfB zu diesem Zwecke eine Fahrradgarage am Stadion mit 30 (!) Stellplätzen anpries, stehen im neuen Stadion des Karlsruher SC 100 Meter neben dem Haupteingang derer 1300 zur Verfügung, der SC Freiburg hält sogar mehr als 3000 vor.
Klicks durch die Fanforen zeigen allerdings, dass die Anhängerschaft das seit einiger Zeit so massiv forcierte gesellschaftliche Engagement dennoch wohlwollend kommentiert - nach dem Motto: "Besser spät als nie". Zumal Vogt vor kurzem auch noch ein Versprechen einlöste, das er bereits vor seiner ersten Wahl gegeben und dann für den Geschmack seiner Kritiker etwas zu lange nicht eingelöst hatte: Seit dieser Saison hat der VfB nun auch eine Frauen-Mannschaft. "Der Wunsch nach einer eigenen Frauenabteilung ist ja nicht neu", sagt Vogt, "wir haben nur 20 Jahre lang immer wieder erzählt, aus welchen Gründen es gerade angeblich mal wieder nicht geht, sie endlich zu gründen."
Fatal sei das gewesen, nicht nur aus politischen Gründen, so Vogt: "Als Traditionsverein kann es doch keinen vernünftigen Grund geben, warum Frauen und Mädchen nicht die Möglichkeit haben sollen, hier Fußball zu spielen." Das sei erstmal noch wichtiger als die Liga-Zugehörigkeit der ersten Frauen-Mannschaft, die in der viertklassigen Oberliga gestartet ist und am vergangenen Sonntag erstmals um Punkte spielte. Dabei gelang den VfB-Frauen gleich im ersten Ligaspiel gegen Crailsheim etwas, auf das ihre männlichen Klubkollegen seit Wochen warten: ein Sieg.