Umgang mit Schiedsrichtern:Schafft die Respektzone!

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Tobias Stieler (re.): Viel Gedränge im Spiel zwischen RB Leipzig und Gladbach (Foto: AFP)

Was anderswo als Fehlverhalten von Profis gegenüber Schiedsrichtern geahndet wird, hat im Fußball Kultstatus und nennt sich "Emotionen". Warum nicht drei Armlängen Abstand zum Referee halten?

Kommentar von Thomas Kistner

Der Fußball hat ein Totschlagargument für jede Entgleisung: Emotionen - die gehören unbedingt dazu, oder? Die Einfalt dieses Arguments entlarvt jedoch schon der Umstand, dass es besonders oft bemüht wird, um aggressives Verhalten zu relativieren - speziell das gegenüber dem Schiedsrichter.

Also: Ist Fußball emotional? Aber klar!

Na dann, haut weiter rei ... - äh, stopp! Was ist mit Handball, Basketball: keine emotionalen Sportarten? Was mit Rugby, Football: Geraten Athletengemüter dort weniger in Wallung? Fußballer sind nicht emotionaler als andere Profis, sie führen sich nur "emotionaler" auf: aggressiver, respektloser. Was anderswo geahndet wird, hat im Fußball halt Kultstatus.

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:Wenn Schiedsrichter zu autoritären Aufsehern werden

Früher waren die Referees "Luft", inzwischen stehen sie ständig im Mittelpunkt. Das ist nicht gut für den Fußball.

Kommentar von Philipp Selldorf

Vielerorts ist das aber nicht mehr beherrschbar, wenn die "Emotion" aus dem Ruder läuft. Im Jugend- und Amateurfußball häufen sich Spielabbrüche und Gewaltausbrüche. Schiedsrichter streiken - oder fehlen schlicht ganz. Wer tut sich das noch an? Ehrenamtlich? Auch deshalb verschärfen die Spitzenreferees seit Bundesliga-Rückrundenstart ihre Regelanwendung gegenüber aufsässigen Kickern. Problem: Sobald die erste Ungleichbehandlung auftritt, fliegen ihnen die Vorsätze wieder um die Ohren. Dass die Referees und ihre Zuträger im Kölner Videokeller zuletzt viele seltsame Dinge entschieden, ist Teil des Problems.

Fußball ist ein schwer zu zähmender, aber auch wenig reglementierter Sport. Wo 22 Leute frei über 7500 Quadratmeter Geläuf jagen, ohne Netz, Wurfkreis oder andere feste Ereignisorte - da passiert ständig Neues, Einmaliges. Paragrafen können das nur annähernd erfassen. Umso heikler ist das Emotionsgedöns. Just in dem Sport mit der kniffligsten Urteilsfindung dürfen sich die Akteure "emotionaler" aufführen als überall sonst. Klar, dass diese Emotionalität taktisch benutzt wird: zur Beeinflussung oder Einschüchterung des Spielleiters. Im Fußball ist diese Art Streitaxt längst ein Instrument, und je öfter sie angesetzt wird, desto stärker fühlt sich ein fieberndes Fanvolk womöglich animiert, selbst die Sau rauszulassen.

In die Zone treten darf nur eine Person pro Team

Die Spielregeln lassen sich nur optimieren, Perfektion ist ausgeschlossen. Den Auswüchsen aber, die die heilige Emotion gebiert, ließe sich entgegenwirken. Nur bräuchte der Schiedsrichter dafür eine Autorität, die über seine Trillerpfeife hinausreicht. Wer von Amateuren übers Feld gejagt und von Profis ständig bedrängt wird, hat keine echte Autorität. Die Hemmschwelle für emotionalisierte Akteure gehört spürbar heraufgesetzt.

Warum also keine Respektzone schaffen? Unterbricht der Referee das Spiel, darf kein Akteur näher als drei Armlängen an ihn heran. Sonst: gelbe Karte. Wie fürs Ballwegschlagen. In die Zone treten darf nur eine benannte Person pro Team, etwa der Kapitän. Das schafft klare Abläufe. Es erspart dem Referee Nervenkraft und könnte Hitzköpfe bremsen: Wie fad ist das, den Schiri aus drei, vier Metern Abstand anzubellen? Auch würden aus der Distanz all die kleinen Bemerkungen und Gesten - siehe das mit Gelb-Rot bestrafte Abwinken des Gladbachers Pléa jüngst in Leipzig - eher verpuffen als Feuer entfachen. Und was wirklich zu ahnden ist, wäre klarer zu erkennen.

Das Tollste an so einer Änderung: Sie hat keine Auswirkung aufs Spielgeschehen. Dagegen spräche nur noch das gute alte Totschlagargument: dass so eine Respektzone die "Emotionen des Fußballs" beschädigt. Im Klartext: Aufgepumpte Profis sollen weiter den Spielleiter bedrängen und beschimpfen dürfen, weil das zum Spiel gehört. Und wenn die Basis oder das Fanvolk ausflippt? Hat das natürlich nichts mit solchen Verhaltensmustern zu tun - das ist dann "Spiegelbild unserer Gesellschaft". Über dieses Totschlagargument reden wir ein andermal.

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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