Schalke 04:Setzen, sechs!

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Rettungsversuch gescheitert: Bastian Oczipka hechtet vergeblich nach dem Lupfer des Freiburgers Roland Sallai (hinten), der zum Jubeln abdreht. (Foto: Friedemann Vogel/Getty)

Der Tabellenletzte Schalke bräuchte dringend ein paar neue Spieler - muss sich wohl aber damit abfinden, dass im Winter niemand kommen wird.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Alles, was Blau trug und Beine hatte, flüchtete nach dem Schlusspfiff vom Spielfeld, als ob dort das Höllenfeuer loderte, bloß Suat Serdar blieb als letzter Schalker am Schauplatz zurück. Der 23 Jahre alte Nationalspieler war, so sah es von der Tribüne aus, viel zu niedergeschlagen, um davonzulaufen. Die Spieler des SC Freiburg empfanden es offenbar genauso: Florian Müller, Lucas Höler, Keven Schlotterbeck, einer nach dem anderen stattete dem einsam zurückgebliebenen Serdar einen Besuch ab und reichte Tröstungen.

Trainer Christian Streich kondolierte dem FC Schalke 04 währenddessen am Fernsehmikrofon. Nicht, dass er sich über den 2:0-Sieg seines Teams nicht gefreut hätte ("reife Leistung"), doch es war ihm ein Anliegen, den Angehörigen des Trauerfalls sein tief empfundenes Mitgefühl auszusprechen. Dieses Drama hätten nicht der Kollege Manuel Baum oder dessen Chef Jochen Schneider zu verantworten, sagte er, sondern Menschen, die "längst" nicht mehr in Gelsenkirchen tätig seien.

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Von Philipp Selldorf

Eine Weile hatte es am Mittwochabend den Anschein, als wollte sich der Sportclub nicht ungebührlich bereichern am Elend des Widersachers. Die Zurückhaltung der Freiburger während der torlosen ersten Halbzeit hatte aber nichts mit moralischen Bedenken zu tun, sie beruhte auf Taktik. Schalkes Trainer Baum hatte einen früh angreifenden Gegner erwartet und mit den schnellen Konterspielern Rabbi Matondo und Benito Raman eine dazu passende Formation gewählt. Doch Streich hatte die Order gegeben, aus gesicherter Deckung geduldig abzuwarten, bis sich durch Schalker Fehler eine Gelegenheit zum Zuschlagen ergeben würde.

Trainer Baum ist mal wieder blank entsetzt

Logisch: In dieser Welt gibt es zwar nicht mehr viele Gewissheiten - aber dass Schalke 04 Fehler in der Defensive begeht, darauf ist Verlass. In der 50. Minute war es so weit. Vincenzo Grifo, Jonathan Schmid und Torschütze Roland Sallai beschafften dem Sportclub die Führung, die Schalker Deckung mit Benjamin Stambouli, Bastian Oczipka und Salif Sané schaute zu. Zur Halbzeit hatte Baum seine Mannschaft noch für die wenigstens passable Verteidigungsleistung gelobt, jetzt hatte sie ihn wieder mal blank entsetzt. Dieses 0:1, sagte er später, "das geht einfach nicht".

Das klang, als hätte der Magister eine 6 - Ungenügend! - unter die Klassenarbeit geschrieben, und da Baum die nämliche Note fürs Angriffsspiel ausstellte ("offensiv so gut wie gar nichts zustande gebracht"), kam auch der Lehrer nicht gut davon. Was hatte er gelehrt, dass sich seine Leute in diesem wichtigen Spiel so lethargisch und planlos verhielten? Nach zehn Spielen ohne Sieg seit seiner Anstellung Ende September steht nun folgerichtig auch der 41-jährige Baum in der Diskussion.

Niemand wirft ihm schwere Fehler oder gar schlechtes Benehmen vor, und zuletzt hatte es bei einigen Auftritten seines Teams sichtbare Zeichen der Besserung gegeben - aber Erfolg kann der ehrenwerte und gewiss sehr fleißige Bayer trotzdem nicht vorweisen, weshalb sich Manager Schneider und Schalkes Aufsichtsrat dem klassischen Dilemma des Abstiegskampfs ausgeliefert sehen: Wo muss man um der letzten Chance willen handeln, und wo ist Handeln bloß Aktionismus? Lohnt es sich überhaupt, das nicht vorhandene Geld in einen neuen Trainer zu investieren, wenn man doch eigentlich unbedingt einen Fachmann für die rechte Abwehrseite braucht?

Neue Spieler? Die Corona-Krise hat den Markt stillgelegt

Am Mittwochabend konnte man meinen, dass selbst eine Trainer-Weltauswahl mit Pep Guardiola, Jürgen Klopp und Huub Stevens diese Mannschaft nicht vor dem Abstieg retten würde, bis auf den einsamen Serdar bot keiner eine erstligataugliche Leistung. Baum hat das Glück, wenn man es so nennen möchte, dass Relegationsplatz 16 trotz der horrenden Serie nicht außer Reichweite liegt, zumal am Samstag das Duell mit dem Tabellennachbarn Arminia Bielefeld ansteht.

Die Aussichten auf eine Aufbesserung des lückenhaften Kaders im neuen Jahr werden von Kennern für sehr gering gehalten. "Wir reden die ganze Zeit darüber", verriet Baum am Mittwoch, doch er hat auch nicht verborgen gehalten, dass er mit rettenden Transfers von den Ersatzbänken internationaler Spitze nicht rechnet: "Dann ziehen wir es mit dieser Mannschaft durch", sagte er - eine Formulierung zwischen Entschlossenheit und Resignation. Im Verein hofft man noch, dass ein Verkauf von Verteidiger Ozan Kabak finanziellen Spielraum für Zugänge schaffen könnte (der AC Mailand hatte im Sommer für ihn geboten), doch die Fakten sprechen dagegen.

Die Corona-Krise hat den Markt stillgelegt. Bewegung im Schalker Kader ist erst im nächsten Sommer zu erwarten - und dann womöglich in Form eines ruinösen Ausverkaufs. Die mutmaßlich wertvollen Spieler Mark Uth, Sané und Serdar haben angeblich keine Verträge für die zweite Liga und könnten somit im Abstiegsfall gebührenfrei gehen.

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