Es war einmal ein Fußballklub, der bundesweit Mitleid erregte, weil er so sehr um seinen verstorbenen Torwart trauerte. Seinen Spielern schien in ihrer Trauer der Fußball nicht mehr wichtig zu sein. Sein Trainer und sein Sportdirektor trauerten ebenfalls und stritten um Einfluss. Seine Zuschauer blieben zu Hause. Seine Zukunft, so viel war klar, würde sich bald in der zweiten Liga abspielen. Dieser Klub hieß Hannover 96. Es gibt ihn nicht mehr.
Ein Jahr später sorgt nun zufällig eine Mannschaft selbigen Namens für Aufsehen, deren Perspektive verdächtig in Richtung Europa weist. Neidisch beobachtet man im Rest des Landes, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Mannschaft ihre Torchancen verwertet. Mirko Slomka (der Trainer) und Jörg Schmadtke (der Sportdirektor) haben beide ihre Macht ausgebaut und eine Art Frieden geschlossen. Das Stadion ist selbst gegen Hoffenheim voll. Die Zukunft könnte kaum besser aussehen. Hannover 96 hat sich neu erfunden.
Es ist eine Sache, dass diese Mannschaft nach 27 Spielen mit 50 Punkten dasteht, so viele hatte das alte Hannover selbst am Saisonende niemals beisammen. Es ist aber noch einmal eine ganz andere Sache, dass der Name Hannover 96 plötzlich Begeisterung hervorruft. Und zwar innen wie außen.
Mit seinem überfallartigen Konterfußball, der gegen die TSG Hoffenheim selbst eine Woche nach dem 0:4 in Köln wieder so funktionierte, als ob nichts gewesen wäre, hat sich der Klub ein identitätsstiftendes Alleinstellungsmerkmal geschaffen.
Gerade in Zeiten, in denen die Liga ein absurdes Personal-Domino aufführt, zeigt sich, was solch eine Identität wert sein kann. Verträge mögen in diesem Geschäft nicht mehr viel gelten, Überzeugungen haben (wie auch das Beispiel Dortmund zeigt) eine längere Halbwertszeit. Nicht nur Hannovers Innenverteidiger Karim Haggui suchte zuletzt vergeblich nach Antworten auf die Frage: "Warum sollte ich diesen Klub verlassen?"
Haggui und sein umworbener Abwehrkollege Christian Schulz haben am Samstag in der Kabine ihre Verträge an ihre Überzeugungen angepasst. Mit verschwitzten Trikots unterzeichneten sie bis 2014. Der ehrgeizige Slomka und der naturgewaltige Stürmer Didier Ya Konan sind schon vor Wochen den Rufen ihrer Herzen gefolgt.
Richtig rührselig wird die Hannoveraner Liebesgeschichte dann im Fall von Markus Miller. Der einst hochgelobte Stammkeeper des KSC ist derzeit nur dritte Wahl bei 96 und stand noch keine Minute im Tor. Am Wochenende hat er seinen Vertrag verlängert.