Nico Schlotterbeck beim SC Freiburg:Perfekt gesetzte Grätschen gegen alle Turbulenzen

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Tritt den Turbulenzen der Branche mit bemerkenswerter Nonchalance entgegen: Freiburgs Nico Schlotterbeck (rechts). (Foto: Tom Weller/dpa)

Die Abwehr von Bayern-Gegner SC Freiburg ist die beste der Liga, und Nationalspieler Nico Schlotterbeck ist ihr auffälligster Protagonist. Begegnung mit einem Newcomer, dem die Kollegen in den Kraftraum folgen.

Von Ron Ulrich, Freiburg

Fußballer betonen gerne, wie egal ihnen die Notengebung in der Presse sei. Das glauben Vereinsreporter so lange, bis sie von ebenjenen Spielern einen wütenden Anruf erhalten. Nicht selten wollen die Akteure dann unbedingt eine 3,5 in eine 3,0 nachverhandeln.

Den Freiburger Verteidiger Nico Schlotterbeck zeichnet eine gewisse Offenherzigkeit aus, sodass man ihm den Gleichmut gegenüber Noten durchaus glauben würde. Nur kommt Schlotterbeck in diesen Tagen gar nicht mehr daran vorbei, sie zu kennen. Zu Beginn dieser Woche schickten ihm Freunde mehrere Nachrichten und Screenshots vom Kicker-Notenschnitt aufs Handy. Er weist dabei einen außerordentlichen Wert von 2,50 auf, den drittbesten aller Bundesligaspieler - nur Erling Haaland und Robert Lewandowski stehen besser da. "Es macht mich schon stolz, dass auch andere meine Leistungen schätzen", sagt Schlotterbeck, "bis auf zwei Halbzeiten gegen Leipzig und Fürth habe ich auch nicht so schlecht gespielt."

"Nicht so schlecht" ist reichlich untertrieben: Schlotterbeck, 21, reifte in dieser Saison zum Nationalspieler und Führungsspieler des SC Freiburg heran. Kicker-Noten lügen nun mal genauso wenig wie Dänen (lt. Otto Waalkes) und die Tabelle (lt. "Doppelpass"-Sendungen 1995-2021). In Letzterer stehen Schlotterbecks Freiburger in der Spitzengruppe der Liga - und zwar mit der besten Defensive. Sie sind zudem als einziges Team in dieser Saison seit zwölf Pflichtspielen ungeschlagen.

Schlotterbeck verbindet die alte und neue Schule des Verteidigens

Wenn sie an diesem Samstag beim FC Bayern antreten, trifft der Dritte auf den Ersten. Selbst Trainer Christian Streich, der sonst das Tiefstapeln mit olympischem Elan pflegt, konnte den Begriff "Topspiel" nicht mehr leugnen. Nico Schlotterbeck hält das Etikett für die Partie ohnehin für vollkommen angebracht: "Für mich ist es ein Topspiel, weil wir auch zum Topspiel gehören - wir selbst stehen gut da. Und wir haben uns jeden einzelnen Punkt verdient."

Wenn man sich mit dem gebürtigen Waiblinger unterhält oder ihm auch mal nach den Spielen in den Imbissen von Freiburg begegnet, fällt direkt auf: Da tritt ein Newcomer den Turbulenzen der Branche mit bemerkenswerter Nonchalance entgegen. Diese Tugend hat sich Schlotterbeck bei einem Lebemann in Berlin abgeschaut, mit dem er während seiner Leihe bei Union im vergangenen Jahr zusammenspielte: Max Kruse. Die beiden lieferten sich unmittelbar vor den Heimspielen Duelle an der Tischtennisplatte und ließen sich nur unterbrechen, wenn der Trainer die Aufstellung des Gegners durchgehen wollte. "Ich habe die Lockerheit von Max bewundert, wie er in Spiele reingeht", sagt Schlotterbeck: "Er ist gar nicht nervös. Wir hatten einen ganz guten Draht, weil er ähnlich tickt wie ich."

Mit dem Anpfiff einer Partie aber verschwindet bei beiden umgehend das Laissez-faire. Freiburgs Abwehrmann verbindet die alte und neue Schule des Verteidigens. Früher umfasste das Stellenprofil eines Manndeckers das Buchwald'sche "Wadenbeißertum", enge und hitzige Zweikämpfe, gerne auch mit verbaler Nachbearbeitung. Schlotterbeck trieb am zweiten Spieltag mit seinen perfekt gesetzten Grätschen und seiner Beharrlichkeit im Zweikampf selbst Dortmunds Überstürmer Erling Haaland zur Verzweiflung.

Der Norweger schubste Schlotterbeck nach einem Duell wutschnaubend noch einmal zu Boden, soll aber seinem Gegenspieler nach der 1:2-Niederlage anerkennend gratuliert haben. Es sind die Kernkompetenzen eines Defensivspielers, die in den zahlreichen Anforderungen für die Spieleröffnung im modernen Fußball mitunter vernachlässigt werden. Schlotterbeck beherrscht aber auch den einleitenden Ball von hinten heraus, er ist wichtig für den flachen Freiburger Spielaufbau.

Dass Nico Schlotterbeck in Freiburg nun mit seinem Bruder zusammenspielt? "Ich bin nicht glücklich darüber", sagt er

Neben Bundestrainer Hansi Flick blieben diese Qualitäten auch anderen Klubs der Liga nicht verborgen, überliefert wurde das Interesse aus Leverkusen und Stuttgart. Einen Moment lang hat Schlotterbeck im Sommer, als frischgekürter U21-Europameister, auch an einen Wechsel gedacht. Aber weniger aus finanziellen Beweggründen, eher wegen des Konkurrenzkampfes mit seinem Bruder Keven in Freiburg.

Es sei Zufall gewesen, dass die beiden Verteidiger zusammen beim SC spielen. "Ich bin nicht glücklich darüber, das sage ich offen. Wir müssen das jetzt annehmen, wir haben es nicht anders hinbekommen", sagt Nico Schlotterbeck. Wie bei Brüdern üblich, gehen sich die Schlotterbecks im Training derber an als die Kollegen. Während der eher ruhigere Keven schon mal "Fahr einen Gang runter!" rüber ruft, erwidert Nico: "Geh mal ein bisschen mehr aus dir raus!" Sein Bruder Keven sei etwas introvertierter, er selbst ein "Lautsprecher" in der Kabine.

Keven Schlotterbeck (im Bild) gilt als etwas introvertierter, Bruder Nico ist der "Lautsprecher" der Kabine. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Beide mussten in ihrer Ausbildung zum Profi Rückschläge hinnehmen. Keven ging den Umweg über unterklassige Vereine wie die TSG Backnang oder den VfL Kirchheim/Teck, bevor er zum SC Freiburg wechselte. Nico verbrachte die Jugendzeit größtenteils in Nachwuchsleistungszentren, wurde aber in der U16 bei den Stuttgarter Kickers ausgemustert. Den Moment, als sein Vater vom Gespräch mit den Verantwortlichen nach Hause kam, hat er bis heute nicht vergessen: "Das war ein Schlag für mich. Wir hatten Erfolge, ich war lange da, hatte viele Freunde - in diesem Moment habe ich die Lust am Fußball verloren." Erst beim VfR Aalen fand er den Spaß wieder und eignete sich nach der Enttäuschung einen großen Arbeitseifer an, um es über Karlsruhe schließlich nach Freiburg zu schaffen.

Diesen Ehrgeiz haben die Schlotterbecks bis heute beibehalten - und er erklärt auch ein bisschen den aktuellen Freiburger Höhenflug. Die Brüder schieben Extraschichten im Kraftraum, denen sich auch die etablierten Spieler anschließen. "Der Kraftraum ist nach dem Training immer voll, weil jeder was für sich machen will", erzählt Schlotterbeck: "Man kann also sagen: Die Freiburger gehen noch mal extra pumpen - und das nicht zu wenig." Die Fitness und die Laufbereitschaft, vor allem gegen den Ball, sind bekanntlich zwei wichtige Merkmale des Tabellendritten.

Kraftmeierische Ansagen gelten in Freiburg allerdings noch als Tabu. Beim Thema Europapokal halten sich viele Spieler mit Verweis auf eine mögliche Schelte vom Trainer an ein Schweigegelübde. Nico Schlotterbeck aber sagt: "Ich will mit Freiburg ins internationale Geschäft. Dieses Ziel gebe ich offen zu."

Wie der Trainer das findet? Der kenne seine Art, glaubt Schlotterbeck. Und wer vor Haaland und Streich nicht zurückschreckt, dürfte auch für das Duell mit Robert Lewandowski gewappnet sein.

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