Frankfurts Timothy Chandler:"Normalerweise mache ich in der Saison zwei Tore"

Lesezeit: 3 min

Timothy Chandler: Hat bei Frankfurt gerade einen Lauf (Foto: Thomas Frey/dpa)
  • Der gebürtige Frankfurter Timothy Chandler verkörpert die neue Effektivität der Eintracht: Gegen Augsburg gelingen ihm zwei Tore.
  • Trainer Hütter sieht in dem 205-fachen Bundesligaspieler einen Beleg dafür, was Selbstvertrauen ausmachen kann.
  • Erst mit seiner Rückkehr 2014 schaffte Chandler bei den Frankfurtern den Durchbruch.

Von Frank Hellmann, Frankfurt, Frankfurt

Axel Hellmann hat die Bilder noch vor Augen, als Timothy Chandler nicht als Profi bei Eintracht Frankfurt in der Arena, sondern als Nachwuchsspieler am Riederwald kickte. In einer längst verblassten Epoche, als der Verein noch ein U23-Team unterhielt, lief es bei dem in den Erwachsenenbereich drängenden Deutsch-Amerikaner nicht immer wirklich rund. Reihenweise habe der junge Chandler "die Bälle hinters Tor geflankt, aber er hat sich nie unterkriegen lassen", erinnert sich das langjährige Vorstandsmitglied Hellmann, der die Vita der wenig verbliebenen Eigengewächse des hessischen Bundesligisten bestens kennt. "Wenn einer bei uns ein Stehaufmännchen ist, dann der Timmy."

Der 29 Jährige stand nach dem 5:0 (1:0)-Kantersieg gegen den am Ende in seine Einzelteile zerlegten FC Augsburg im Mittelpunkt der Huldigungen. Als die bayrischen Schwaben im Frankfurter Stadtwald noch auf Augenhöhe agierten, hämmerte der vom Rechtsverteidiger umgeschulte Rechtsaußen die Kugel unhaltbar zum 1:0 unters Tordach (37.), dann köpfte er den Ball entschlossen zum 2:0 ins kurze Eck (48.).

MeinungBundesliga
:Wenn Schiedsrichter zu autoritären Aufsehern werden

Früher waren die Referees "Luft", inzwischen stehen sie ständig im Mittelpunkt. Das ist nicht gut für den Fußball.

Kommentar von Philipp Selldorf

Logisch, dass das "positive Gemüt" (Hellmann) hernach von einem besonderen Glücksgefühl ergriffen war. "Das muss ich erst einmal verarbeiten. Das ist irre, das ist unglaublich. Normalerweise mache ich in der Saison zwei Tore und dann war es das. Jetzt habe ich schon vier Tore", sagte Chandler, der den ersten Doppelpack seiner Karriere schnürte.

"Er hat Herz, geht rein, läuft die Wege zuende"

Der gebürtige Frankfurter verkörpert die neue Effektivität der wieder auftrumpfenden Eintracht: Er erzielte bereits mit einem feinen Kopfball zum Rückrundenstart in Hoffenheim das 2:1-Siegtor, als sein Trainer Adi Hütter bereits Sprungfedern unter seinen Stollenschuhen vermutete und Mitspieler ihn mit Cristiano Ronaldo verglichen; zuletzt in Düsseldorf glückte ihm in letzter Minute der 1:1-Ausgleichstreffer. Er sei ja nicht "der Eins-gegen-Eins-Künstler", merkte der Matchwinner mit einem feixenden Unterton an, aber "wenn ich jetzt mit Tempo in den Strafraum komme, läuft es gerade ganz gut".

Coach Hütter sieht in dem 205-fachen Bundesligaspieler einen Beleg dafür, was Selbstvertrauen ausmache. "Wenn du einen Lauf hast, stimmt auf einmal das Timing, dann triffst du den Ball wie beim 1:0 oder bewegst dich wie beim 2:0 richtig." Schlüssige Erklärungen für die Chandler-Wochen fielen ansonsten nicht so leicht. "Ich weiß nicht, ob Timmy in dem halben Jahr, als er verletzt war, die Torjäger Europas studiert hat: Aber er hat Herz, geht rein, läuft die Wege zuende", erläuterte Sportdirektor Bruno Hübner. "Ich hätte den Zaubertrank auch gerne, in den er gefallen ist", scherzte Antreiber Sebastian Rode.

Der im Sommer 2018 wegen eines schweren Knorpelschadens um die Fortsetzung der Karriere bangenden Spieler gilt im multikulturellen Ensemble als Stimmungskanone und Spaßvogel. "Timmy war sehr lange verletzt, aber er ist immer positiv geblieben. Für ihn ist das die Belohnung in einer schwierigen Zeit. Die harte Arbeit zahlt sich aus", sagte der erneut stark haltende Torwart Kevin Trapp. Seine Vorderleute verteidigen wieder als geschlossene Einheit, die inklusive des Pokalspiels gegen RB Leipzig (3:1) als Mannschaft der Stunde auf vier Siege und ein Unentschieden kommen.

Dass die noch in drei Wettbewerben vertretene Eintracht in der Rückrunde schon zehn Bundesligapunkte eingesammelt hat, hat eben nicht nur mit dem spät entdeckten Torhunger ihrer Nummer 22 zu tun. Chandlers Ausbeute scheint direkte Folge der von Hütter eigentlich zu Gunsten einer größeren Stabilität vorgenommenen Umstellung auf ein 4-2-3-1-System, bei dem die Flügel nunmehr doppelt besetzt und die Flügelspieler abgesichert sind. Nicht zufällig trug sich spät auch noch der unermüdliche Dampfmacher auf der Gegenseite, Linksaußen Filip Kostic, zweifach in die Torschützenliste ein (89. und 90.). André Silva köpfte das zwischenzeitliche 3:0 (55.).

Chandler hat bei seinem Heimatverein eigentlich schon auf fast allen Positionen ausgeholfen, nachdem er einen beschwerlichen Weg genommen hat, weil zunächst Sebastian Jung seinen Lieblingsposten rechts in der Viererkette als Zukunftsversprechen blockierte. Die Eintracht verließ er folglich 2010, um über den Umweg 1. FC Nürnberg und die zweite Mannschaft zum Bundesligaprofi aufzusteigen. Erst mit der Rückkehr 2014 schaffte er bei den Adlerträgern den Durchbruch, kam auch 29 Mal für die US-Nationalmannschaft zum Einsatz - sein Vater war als US-Soldat in Deutschland stationiert - , aber noch nie war er so wertvoll wie in den ersten Wochen 2020.

Treffsicherer als Chandler ist im neuen Jahr bislang nur der norwegische Shootingstar Erling Haaland. Wie der Zufall so will, kommt es gleich im nächsten Freitagsspiel bei Borussia Dortmund zum direkten Vergleich der Rückrunden-Kanoniere. Mit dieser Perspektive konfrontiert, musste Chandler herzhaft lachen. Damit wollte er sich nach einem "perfekten Freitagabend" partout noch nicht beschäftigen, sondern erst einmal die zwei freien Tage genießen, die Trainer Hütter seiner Mannschaft spontan spendierte.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusThiago beim FC Bayern
:Das letzte Überbleibsel der Ära Guardiola

Thiago Alcántara bildet zusammen mit Joshua Kimmich das neue Herzstück der Mannschaft des FC Bayern. Ausgerechnet jetzt stellt sich die Frage, wie lange der Spanier noch bleibt.

Von Benedikt Warmbrunn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: