Bundesliga:Sehnsucht nach Lametta

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Das letzte Lametta vor der Pandemie: Bayern-Trainer Hansi Flick lässt die Feierlichkeiten zum 120-jährigen Vereinsjubiläum über sich ergehen. (Foto: Frank Hörmann/Sven Simon/Imago)

Während einer Pandemie gibt es natürlich Schlimmeres als die Leere in den Fußballstadien. Aber ein bisschen Sentimentalität ist doch erlaubt - ein Jahr nach den vorerst letzten Spielen vor vollen Zuschauerrängen.

Kommentar von Sebastian Fischer

Vor einem Jahr, das klingt inzwischen fast absurd, waren Beleidigungen das große Thema im deutschen Fußball. Zur Erinnerung: Am ersten März-Wochenende des Jahres 2020 hatten sich Fans im ganzen Land abgesprochen, vereint in ihrem Protest gegen den Deutschen Fußball-Bund. Heraus kamen damals, sehr grob umrissen, Schmähungen gegen den Hoffenheimer Mäzen Dietmar Hopp, die als bewusste Provokation und quasi als Symbol verstanden werden sollten: für die Wut der organisierten Fans auf so manche Entwicklung im Profifußball im Allgemeinen, und auf die Verbandspraxis der "Kollektivstrafe" im Speziellen. Beim Wort Kollektivstrafe dachte niemand an eine Pandemie.

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Der Protest fiel zunächst vielerorts geschmacklos aus, er führte in der Partie zwischen Hoffenheim und dem FC Bayern Ende Februar fast zum Abbruch gemäß eines DFB-Plans für diskriminierende Vorfälle im Stadion. Danach wurde es aber auch kreativ: "Abstiegsgespenst, du Hurensohn", schrieben etwa Fans des damals in der dritten Liga abstiegsbedrohten 1. FC Magdeburg auf ein Transparent.

Nun wird natürlich niemand gerne beleidigt, aber inzwischen kann man sich das durchaus vorstellen: Dass sich sogar so mancher Funktionär beim DFB in die Zeiten zurücksehnt, in denen er - klar, unter Wahrung von Anstand - verwünscht wurde. So ein "Scheiß DFB", wie es damals zur plumpen Formel wurde, auf die sich Fans aller Lager im Wechselgesang einigen konnten - klingt das nicht fast schon lieblich im Vergleich zu der nur von Taktik-Gebrüll gestörten Ruhe, die inzwischen in den Stadien herrscht?

Den Bundesliga-Sonntag am 8. März 2020 beschlossen der FSV Mainz 05 und Fortuna Düsseldorf mit einem 1:1 vor 21 409 wahrscheinlich nicht restlos begeisterten Zuschauern, die vielleicht ahnten, aber noch nicht wussten, wie sehr sie ein 1:1 zwischen Mainz und Düsseldorf am Sonntagabend bald vermissen würden. Davor waren 75 000 Menschen beim 2:0 des FC Bayern gegen den FC Augsburg schon etwas besser unterhalten.

Und es ging in den Fankurven nicht nur um Protest, es ging auch darum, einen runden Geburtstag nachzufeiern: 120 Jahre wurde der FC Bayern alt. Die Fans hatten eine Choreografie vorbereitet, weiße oder rote Transparente auf jedem Platz, dazu viel Lametta, das man rückblickend sicher nicht gebührend genug zu schätzen wusste, als man es sich aus dem Sichtfeld wischte. Es war das vorerst letzte Lametta. Dann kam Corona.

Fußball im leeren Stadion ist immer noch besser als kein Fußball im leeren Stadion

Seitdem sind Fußballspiele für die Zuschauer bis auf wenige Ausnahmen nur noch Fernsehereignisse. In München waren selbst die paar tausend Fans nicht erlaubt, die im Sommer andernorts - für wenige Spieltage, mit Abstand - auf den Tribünen sitzen durften. Nun ist Fußball ohne Fans einerseits ein sehr einleuchtendes Gebot der Stunde. Die Leere im Stadion? Während einer Pandemie gibt es definitiv Schlimmeres. Geisterspiele sind auch nicht das größte Problem des Sports in Bezug auf Corona, nicht mal annähernd. Das sind leere Amateursportplätze; Kinder, die sich nicht austoben dürfen. Und Fußball im leeren Stadion, das ist - aller berechtigten Kulturkritik zum Trotz - für viele Menschen, die gerade auf der Suche nach Abwechslung sind, besser als kein Fußball im leeren Stadion.

Aber das alles macht es auch nicht fröhlicher, wie sich so ein Fußballspiel gerade anhört und anfühlt im Vergleich zu vorher. Deshalb ist etwas Sentimentalität zum traurigen Jubiläum schon gestattet.

Ob es je wieder so wird wie früher, diese Frage wird nun oft gestellt. Sicher gibt es viele Menschen, die den Stadionbesuch vermissen: die anderen Fans um sich herum, die Gedanken an nichts als ein Spiel. Sie werden wiederkommen. Manche haben sich womöglich ihren Fanatismus abgewöhnt in dem Jahr der erzwungenen Distanz. Andererseits: Es wird sicher auch wieder viel Grund zu protestieren geben, wenn die Stadien eines Tages wieder voll sein dürfen.

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