Bundesliga:Eigentlich ist Schalke ja ein Spitzenklub

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Kapitän Benedikt Höwedes nach der Niederlage in Frankfurt. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Nach dem 0:1 in Frankfurt gibt es schon wieder grundsätzliche Bedenken an der Schalker Wettbewerbsfähigkeit. Manager Heidel bastelt weiter am Kader und sucht einen Sané-Ersatz.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Die Saison hatte erst vor ein paar Minuten begonnen, da sah sie aus Schalker Perspektive schon sehr alt aus, wie ein Bild mit vergilbten Rändern. Mancher mitgereiste Königsblaue mag den Zusammenschnitt historischer Gruselmomente für einen Tagtraum gehalten haben - stand denn nicht der 27. August 2016 im Kalender? Hier rutschte Joel Matip im prekären Moment aus, dort träumte Roman Neustädter weitab des Spielgeschehens vor sich hin, draußen am Flügel hatte Atsuto Uchida wieder den Anschluss an den Gegenangriff verloren. Und im Tor retteten abwechselnd Manuel Neuer und Ralf Fährmann mit tollkühnen Taten, was zu retten war, bis es bei der vierten riesengroßen Chance für Eintracht Frankfurt dann doch geschehen war: Alex Meier, der komische Eintracht-Heilige, erzielte das 1:0, und aus den Boxen schallte, überlaut wie immer, Franz von Suppés Ouvertüre aus "Leichte Kavallerie", Frankfurts Torhymne.

Mancher Schalker Fan auf der Tribüne erlag also wohl einer Erinnerungstäuschung, aber all die vertrauten Seltsamkeiten, die er auf dem Rasen erblickt zu haben meinte, waren wahr. Bloß, dass diesmal der Brasilianer Naldo in Matips Paraderolle des zerstreuten Professors schlüpfte (die dieser inzwischen in Liverpool gibt), und dass Junior Caicara als indisponierter Rechtsverteidiger täuschend echt den einst weltfremd agierenden und heutzutage sehnsüchtig vermissten Knie-Patienten Uchida mimte - während anstelle des nach Istanbul gezogenen Neustädter dessen Gebietsvertreter Johannes Geis und Dennis Aogo die Mindestanforderungen an den Job des defensiven Mittelfeldspielers mehr als nur haarscharf verfehlten.

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Beim Anblick der ersten 25 Minuten, die Schalke zum Start der Saison 2016/17 bot, kamen versierten Betrachtern grundsätzliche Bedenken: Ist diese Mannschaft womöglich untrainierbar, selbst wenn sich die Gesichter in der Mannschaft ändern? Ist es einerlei, ob der Trainer Jens Keller, Roberto di Matteo, André Breitenreiter oder Markus Weinzierl heißt?

Dem unvermeidlichen Verdacht, dass die Schalker bei der 0:1-Niederlage in Frankfurt eine falsche Strategie verfolgt oder eine ungeeignete Einstellung mitgebracht haben könnten, trat Nationalspieler Benedikt Höwedes entgegen: "Wir sind eigentlich motiviert aus der Kabine rausgekommen", sagte der Kapitän zur missratenen Anfangsphase, "eigentlich wollten wir spielen, wie Frankfurt gespielt hat: Hinten höher, vorne druckvoller." Die Tücke dieser Rechtfertigung liegt im Wort eigentlich, das ein irgendwie typisches Schalke-Wort zu sein scheint. Eigentlich ist Schalke ja ein Spitzenklub.

Christian Heidel ist selbstverständlich nicht bereit, den gewohnten Fehlstart in die Saison - seit sieben Jahren gab es lediglich einen Schalker Sieg am ersten Spieltag - als Beweis einer bösen Gesetzmäßigkeit anzusehen. Dem neuen Manager dürfte klar sein, dass die Kräfte der Stagnation im Team größer sind als der Wille und die Kompetenz zum Umbruch, doch diese ernüchternde Erkenntnis wollten weder er noch Weinzierl aussprechen.

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Vorerst mochte Heidel nur eine Gewissheit einräumen: dass "jede Menge Arbeit" ansteht, auch auf dem eigenen Schreibtisch. Noch ist das neue Schalke nicht komplett, dem halben Dutzend Zugänge soll mindestens ein weiterer Einkauf folgen: ein Flügelspieler, der Tempo in den Angriff bringt wie der zu ManCity verkaufte Leroy Sané. Schalkes Personalpolitik hat sich ungewollt zum Last-Minute-Business entwickelt. Gern hätte Heidel dem Trainer die Neulinge früher zur Verfügung gestellt, doch das moderne Transferwesen scheint komplizierter zu sein als die indische Ministerialbürokratie. Mit den französischen Mittelfeldspielern Stambouli und Bentaleb war Schalke schon lange klar, im Gespräch mit deren vormaligen Arbeitgebern Paris St. Germain und Tottenham folgte eine Verzögerung der anderen.

Weinzierl hat in Frankfurt nur einen seiner neuen Stars in die Startelf aufgenommen - prompt den Falschen: Naldo, 33, brauchte viel Zeit, bis er sich an der Seite von Höwedes akklimatisiert hatte, bis dahin agierte er, auch beim 0:1, wie ein Spezialagent der Eintracht. Einzelkritik am brasilianischen Routinier erübrigte sich trotzdem: An der "katastrophalen Anfangsphase" (Weinzierl) hatten sich noch viele andere Schalker beteiligt. Nicht zuletzt gehörte auch der Trainer dazu, dessen Aufstellung nicht glückte: Max Meyer etwa hatte auf dem Weg von Olympia nach Gelsenkirchen zu viel Kraft gelassen, manchmal sah es aus, als ob er um Auswechslung flehte - die Weinzierl ihm verwehrte, weil er andere nicht zu Unrecht für noch entbehrlicher hielt (Aogo, Di Santo, Kolasinac), und weil er (vergeblich) auf einen Geistesblitz von Meyer hoffte. Und mit dem Experiment, Mittelstürmer Franco Di Santo auf dem rechten Flügel zu postieren, ist schon Weinzierls Vorgänger gescheitert. Die Einwechslung des neuen Sturm-Juwels Breel Embolo zur Pause brachte deutliche Besserung.

So waren es vor allem die Neulinge, die in der Niederlage ein wenig Trost gaben: Linksverteidiger Baba belebte das Schalker Spiel im Handumdrehen, und der Stratege Bentaleb brachte in den 20 Minuten seines Mitwirkens mehr steile Pässe an den Mann als die vereinten Mittelfeldkollegen in den 70 Minuten zuvor. Sein bester Pass auf Huntelaar bescherte dann auch den Eintracht-Fans einen Anblick, den sie für Täuschung halten konnten. Denn der neue Innenverteidiger Michael Hector klammerte Huntelaar - und flog für diese Notbremse wie schon am vorigen Sonntag im Pokal vom Platz.

Es nahm ihm aber niemand übel. Trainer Niko Kovac feierte lieber den leidenschaftlichen Auftritt, "der charakteristisch werden muss". Die bunt formierte Eintracht - elf Spieler aus zehn Nationen - hatte sich mit ihrer Kampfeslust und dem verdienten Sieg selbst überrascht. Und "irgendwelche Rekorde müssen auch wir aufstellen", entschuldigte Manager Hübner Hectors zweites Rot im zweiten Spiel.

© SZ vom 29.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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