Aufsteiger Darmstadt 98:"Wir werden dazwischenhauen und eklig sein"

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Mit Bierduschen kennt sich Marco Sailer aus, in der Bundesliga noch nicht. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Dem SV Darmstadt 98 gelang der Durchmarsch von der dritten in die erste Liga. Der Aufstieg in die Bundesliga war eine Überraschung.
  • Im Fußball-Oberhaus wollen die Lilien nächste Saison den unbequemen Außenseiter mimen. Gegner wie Bayern München müssen sich auf eine Bruchbude als Stadion und erfahrene Bundesliga-Spieler einstellen.
  • Die Chancen auf den Klassenverbleib schätzt Trainer Dirk Schuster realistisch ein. Sein Team soll die eigenen Stärken nutzen: "dazwischenhauen und eklig sein".

Von Tobias Schächter, Baiersbronn

Dirk Schuster sitzt im Korbstuhl auf der Terrasse, sein Blick geht über die Wipfel des Schwarzwaldes in die Ferne. In einem Hotel am Schliffkopf wurden der Coach von Darmstadt 98 und seine Mannschaft zum Trainingslager angemessen begrüßt: "Herzlich willkommen ganz oben", hieß es zu Ehren des Bundesliga-Aufsteigers. Schuster behält aber auch 1025 Meter über dem Alltag beide Beine auf dem Boden, er sagt: "Wenn alles normal läuft und alle ihr Potenzial gegen uns abrufen, gehen wir nächstes Jahr wieder runter."

Bayern und Dortmund zu Gast im "Bölle"

Darmstadt ist in der kommenden Bundesliga-Saison das neue Paderborn, der Außenseiter unter den Außenseitern. Paderborn stieg nach nur einer Saison wieder ab, wie zuvor schon Braunschweig und Fürth. Ganz oben, in Deutschlands Eliteklasse, war die Luft für Außenseiter zuletzt zu dünn. Dirk Schuster weiß das. Aber er sagt auch: "Wir wollen nicht nur ein Jahr erste Liga spielen, wir schenken nichts ab."

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Wohl kein Verein und kein Trainer könnten mit der Außenseiterrolle besser spielen als Dirk Schuster und Darmstadt 98. Sie haben Erfahrung darin. Seit zwei Jahren heißt es vor jeder Saison, der Klub mit der Lilie im Wappen sei Absteiger Nummer eins - ligaunabhängig. Doch am Ende stieg Darmstadt stets auf, innerhalb von 24 Monaten von der dritten Liga ins Oberhaus. Und nun also glaubt ganz Fußballdeutschland wieder: Darmstadt steigt ab.

Zuletzt aber kam die Konkurrenz aus dem Staunen nicht heraus. Und ein bisschen wundern sie sich in Darmstadt selbst noch darüber, dass jetzt die Bayern oder Dortmund ins Stadion am Böllenfalltor kommen - in eine alte Bruchbude, die in Darmstadt alle liebevoll "Bölle" nennen. Der Aufstieg von 98 bedient die Sehnsüchte vieler Fußballromantiker, die dem Underdog die Daumen drücken werden. Denn der Aufstieg gelang ohne Mäzen oder ein großes Unternehmen im Rücken. Stürmer Dominik Stroh-Engel weiß aber auch: "Sympathien bringen keine Punkte."

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Gut besuchter Trainingsauftakt: Der Bundesliga-Rückkehrer SV Darmstadt 98 startet in die Saisonvorbereitung.

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(Foto: Arne Dedert/dpa)

Der Aufsteiger wird von seinen Fans gefeiert: Marco Sailer (M.) steht für Fotos bereit.

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Im Stadion der zweiten Mannschaft, wo die Lilien ihr Training wieder aufnehmen, herrscht Festtagsstimmung. Es gibt Zaungäste,...

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

...jede Menge Fans, die sich dicht an dicht bis an die Seitenlinie drängen...

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

...und Anhänger mit einem ganz besondere Plan: Dieser Herr hat wohl die beste Aussicht von allen.

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Als Trainer Dirk Schuster das Trainingsgelände betritt, wird er mit Spalier und Applaus empfangen.

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An die Arbeit müssen die Aufstiegshelden Sulu (r.) und Sailer dann aber auch noch. Es ist aber vorerst nicht mehr als ein lockerer Aufgalopp.

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(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Harte Arbeit wartet auf die Darmstädter Außenseiter um Marcel Heller (r.) und Torhüter Patrick Platins bis zum Saisonstart noch genug.

Sie sind keine Träumer, sie wissen, was sie leisten müssen, um Erfolg zu haben. Und Schuster ist der Antreiber, der seit zweieinhalb Jahren in Darmstadt die Grenzen ganz weit nach oben verrückt hat. Der ehemalige Nationalspieler tat dies mit Spielern, die anderswo gescheitert oder arbeitslos waren. Darmstadt 98 ist die Geschichte von Abgeschriebenen, die viel mehr können, als man ihnen zugetraut hat.

Schuster will am Stil seiner Elf nichts ändern: Aggressiv soll sie spielen, hoch stehen, immer ans Limit gehen und dem Gegner wehtun. Oder wie Stroh-Engel sagt: "Wir werden weiter dazwischenhauen und eklig sein. Wenn wir in der ersten Liga anfangen würden, plötzlich Kombinationsfußball von hinten heraus zu spielen, dann werden wir ein zweites Tasmania Berlin."

Tasmania war 1965/66 mit nur zehn Punkten und einer Tordifferenz von minus 93 aus der Eliteliga katapultiert worden.

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Die Darmstädter wollen ihren bislang zwei Bundesliga-Spielzeiten mehr als eine dritte folgen lassen. Doch dafür müssen sie sich verstärken. Aber Schuster, der gleichzeitig Sportdirektor ist, hat schnell gemerkt, dass sein Klub am Transfermarkt plötzlich auch von etablierten Bundesligisten als Rivale wahrgenommen wird. Wegen des Geldes geht kaum ein Profi nach Darmstadt, der Lizenzspieler-Etat von 15 Millionen Euro ist nicht konkurrenzfähig. Große Sprünge werde man bei den Löhnen nicht machen, sagt Schuster: "Wir haben eine klare Gehaltshygiene", stellt er klar, Agenten hatten ihm zuletzt prominente Profis angeboten. Aber sollte das Abenteuer Bundesliga schiefgehen, will man wenigstens finanziell gesund scheitern.

Neue Chance für erfahrene Profis

Das Suchprofil ist dabei klar: "Wir wollen Bundesliga-Profis holen, die uns sofort weiterhelfen", sagt Schuster: "Wir haben keine Zeit, junge Spieler zu entwickeln. Die Spieler haben bei uns die Chance, sich neu zu präsentieren." So wie die vier Zugänge bisher: Konstantin Rausch will nach verlorenen Jahren beim VfB Stuttgart seine Karriere auf der linken Außenbahn neu beleben, Mario Vrancic (zentrales Mittelfeld) will nicht ein zweites Mal absteigen wie zuletzt mit Paderborn. Und Fabian Holland (Berlin) und Jan Rosenthal (Eintracht Frankfurt) wollen ihre Erstligatauglichkeit beweisen. Vier weitere Neue will Schuster verpflichten: Für die Innenverteidigung sind Nikolce Noveski (zuletzt Mainz) und Luca Caldirola (Werder Bremen) im Gespräch, fürs Mittelfeld Peter Niemeyer (Hertha). Und mit Dominik Stroh-Engel als einzigem Angreifer in die Saison zu gehen, hielte Schuster "für fahrlässig".

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Dass die drei Aufstiegshelden Behrens (nach Nürnberg), Balogun (Mainz) und Bregerie (Ingolstadt) den Klub verlassen haben, findet Kollege Marco Sailer "schade". Sailer, 29, ist mit seinem markanten Catweazle-Bart zuletzt das Gesicht der 98er geworden. Mit seinem Einsatzwillen steht der Offensivspieler beispielhaft für den "Flow", der die Mannschaft auch in Liga eins weitertragen soll. Sailer sagt: "In unserem Stadion zu spielen, wird für viele eine Umstellung, die spielen nicht so oft in so einem Kasten. Das wollen wir schon für uns nutzen." Am ersten Spieltag kommt Hannover ins "Bölle". Dirk Schuster sagt: "Es ist wichtig, dass wir im ersten Spiel gleich das Gefühl entwickeln, mithalten zu können." Das wäre kein schlechter Anfang auf einem harten Weg.

© SZ vom 10.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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