Brasiliens Elfmeter-Held Júlio César:Drama, Baby!

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Plötzlich auf Schultern getragen: Júlio César nach seinen gehaltenen Elfmetern gegen Chile. (Foto: dpa)

Seine große Zeit schien schon vorüber, doch jetzt feiern ihn die Brasilianer als Erlöser: Nur dank der Paraden von Torhüter Júlio César erreicht die "Seleção" das Viertelfinale der WM. Nach dem Sieg gegen Chile liefert der alte Kanada-Legionär den emotionalsten Auftritt des bisherigen Turniers.

Von Thomas Hummel, Porto Alegre

Dieses Interview mit Júlio César lief im brasilianischen Fernsehen noch bis lange in die Nacht hinein fast in Endlosschleife. Die 195 Millionen Brasilianer durften noch ein paar Mal mitweinen mit ihrem Torwart. Darum ging es schließlich an diesem Samstag: um die großen Emotionen. Júlio César lieferte sie.

Der 34-Jährige stand nach dem 4:3 nach Elfmeterschießen gegen Chile noch unten auf dem Platz. Gerade erst hatten ihn die Mitspieler heruntergelassen von den Schultern, da stellte er sich vor eine dieser lästigen Sponsorenwände. Er wirkte recht aufgeregt ob dieses dramatischen Sieges. Wie alle Brasilianer hatte auch er in den Abgrund geblickt, der tief und dunkel gewesen wäre, falls die Seleção die eigene Fußball-Weltmeisterschaft im Achtelfinale hätten verlassen müssen.

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"Unser Land zu vertreten und zu Hause zu spielen, das ist ein starker Druck. Aber Gott sei Dank ging alles gut", erklärte er. Bis dahin war es ein normales Gespräch nach einem aufwühlenden Fußballspiel. Dann fragte ihn der Journalist, ob dieser Tag eine Genugtuung sei für das, was vor vier Jahren geschehen sei. Vor vier Jahren in Südafrika war Brasilien im Viertelfinale überraschend an den Niederlanden gescheitert. Weil Júlio César an einem Gegentor beteiligt war, galt er als Schuldiger. Nach Niederlagen sucht Brasilien gerne aufgeregt nach Verantwortlichen.

Jetzt stand er da unten, im Estádio Mineirão von Belo Horizonte und musste tief durchatmen. Die Tränen stiegen ihm in die Augen. "Vor vier Jahren habe ich ein Interview gegeben, da war ich sehr traurig, sehr emotional", erklärte er, "jetzt weine ich wieder, aber vor Glück. Nur Gott und meine Familie wissen, was ich durchgemacht habe."

Brasilien und seine Torhüter, das war noch nie eine glückliche Beziehung. Beim Strandfußball und in den Hinterhöfen gibt es diese Position gar nicht. Was einem Torwart passieren kann, der ein wichtiges Gegentor verschuldet, zeigt die Geschichte von Moacyr Barbosa. 1950 hatte er nicht ganz glücklich ausgesehen, als Alcides Ghiggia das entscheidende 2:1 für Uruguay erzielt hatte, die Nation zürnte.

Kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 klagte Barbosa: "In Brasilien sieht das Gesetz 30 Jahre Haft für einen Mord vor. Es ist weit mehr als diese Zeit seit dem Finale von 1950 vergangen, und ich fühle mich noch immer eingekerkert, die Menschen sehen in mir immer noch den Schuldigen für unsere Niederlage."

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Glück, Schicksal, Gott - irgendetwas will Brasilien in einem epischen Achtelfinale gegen Chile nicht ausscheiden lassen. Der Gastgeber quält sich im Elfmeterschießen weiter - und merkt, dass die Riesen-Erwartungen einer ganzen Nation gehörig lähmen können. Am Ende sind beide Teams völlig erschöpft.

Von Thomas Hummel, Porto Alegre

Auch Júlio Césars Karriere erlebte bald nach 2010 einen Einbruch. In dem Jahr war er noch mit Inter Mailand gegen den FC Bayern Champions-League-Sieger geworden, doch nun haftete ein Makel an ihm. Als Inter 2012 die Gehaltskosten senken wollte, musste Júlio César gehen. Er kam bei keinem großen Klub mehr unter, sondern bei den Queens Park Rangers in England. Mit dem Verein stieg er auch noch ab, woraufhin er den Klub verlassen sollte. Er durfte nicht mehr mit dem Team trainieren, blieb aber dennoch. Erst im Februar diesen Jahres wechselte er zum FC Toronto, um vor der WM Spielpraxis zu sammeln.

Es ist ein beispielloser Abstieg eines einst berühmten Torwarts. Doch mangels Alternativen hielt Felipe Scolari an ihm fest. Das Elfmeterdrama von Belo Horizonte hat dem Trainer nun vorerst recht gegeben.

Am Gegentor durch den Chilenen Alexis Sánchez hatte Júlio César nicht rütteln können. Nach 64 Minuten lenkte er einen Schuss von Charles Aránguiz spektakulär um den Pfosten. Als Mauricio Pinilla in der 120. Minute die Latte traf, schaute auch der Torwart dem Ball chancenlos hinterher. Dann kam das Elfmeterschießen. Es kam die Zeit der Torhüter.

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Torhüter Júlio César ist die prägende Figur beim brasilianischen Sieg gegen Chile im Elfmeterschießen. Hymnisch lobt ihn die Presse. Doch auch höheren Mächten wird ausdrücklich gedankt.

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Es hätte genauso gut Claudio Bravo treffen können. Auch er hätte der gefeierte Mann werden können, hielt der Torwart der Chilenen schließlich den Schuss von Hulk und war zudem am Versuch von Marcelo mit der Hand am Ball. Und Willian schoss eh am Tor vorbei. Doch das reichte nicht. Denn Júlia César hielt die Elfmeter von Panilla und Alexis Sánchez. Gonzalo Jara traf nur den Pfosten. Aus. Alle Mitspieler sprinteten auf Júlio César zu, hoben ihn hoch, zeigten ihn der Welt.

Danach gab es die üblichen Heldengeschichten. Kapitän Thiago Silva sagte: "Júlio ist vor dem Elfmeterschießen auf uns zugekommen und hat gesagt, schießt mit Selbstvertrauen - denn heute halte ich drei." Trainer Scolari herzte seinen Torhüter, aber der herzte ja ohnehin jeden, der nicht bei Drei in der Kabine war.

Júlio César sagte weiter in seinem Träneninterview: "Meine Geschichte mit der Seleção ging damals nicht zu Ende. Meine Mitspieler haben mir viel Stärke gegeben, damit ich auf das Spielfeld gehe und mein Bestes gebe." Und er kündigte an, worum es geht: "Es fehlen noch drei Siege. Ich hoffe, dann gebe ich ein weiteres, glückseliges Interview und in ganz Brasilien wird gefeiert."

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