Brasiliens Aus bei der Copa América:Land der Volleyballer

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Krise noch lange nicht bewältigt: Die Brasilianer haben durch das Aus bei der Copa erstmals auch die Teilnahme an einem Confed-Cup verpasst. (Foto: AP)
  • Mit 3:4 verliert Brasilien das Elfmeterschießen des Viertelfinal-Spiels der Copa América gegen Paraguay.
  • Dadurch verpassen die Brasilianer erstmals auch die Teilnahme an einem Confed-Cup.
  • Trainer Carlos Dunga sucht Zuflucht in der Geschichte: Die Copa América sei immer ein schwieriges Turnier für Brasilien gewesen.

Von Javier Cáceres, Santiago de Chile

Nachdem der letzte Elfmeter verwandelt war, biss sich Brasiliens Nationaltrainer Carlos Bledorn Verri alias Dunga voller Bitternis auf die Lippen. Ein paar Worte der Enttäuschung murmelte er vor sich hin, dann reichte er seinem siegreichen Kollegen und Freund Ramón Díaz die Hand. 3:4 hatte Brasilien das Elfmeterschießen des Viertelfinal-Spiels bei der Copa América verloren; die reguläre Spielzeit war mit einem 1:1 zu Ende gegangen.

Die Paraguayer vereitelten damit nicht nur ein mögliches Halbfinale Brasiliens gegen Argentinien (die von Lionel Messi angeführten Argentinier hatten sich am Freitag gegen Kolumbien ebenfalls im Elfmeterschießen durchgesetzt). Die Paraguayer erinnerten die Brasilianer vielmehr daran, dass diese die Krise ihres Fußballs noch lange nicht bewältigt haben. Sie ist sogar virulenter denn je.

Schlechteste Fußballer-Generation, die das Land hervorgebracht hat?

Die Brasilianer haben durch das Aus bei der Copa erstmals auch die Teilnahme an einem Confed-Cup verpasst, das WM-Testturnier in Russland wird 2017 ohne brasilianischen Beteiligung über die Bühne gehen. Wie angespannt die Lage ist, konnte man später im Presseraum des Estadio Municipal von Concepción beobachten. Als Dunga dort zur Konferenz mit den Medienvertretern erschien, nahm der gesamte Trainerstab - unter ihnen die 94er-Weltmeister Taffarel und Mauro Silva - in der ersten Reihe Platz, um der Öffentlichkeit Geschlossenheit zu demonstrieren.

Wenig später muss Dungas Handy geklingelt haben. Zumindest wurde der brasilianischen Presse gesteckt, dass Verbandschef Marco Polo del Nero anrief, um Dunga seine Solidarität zu versichern. Womöglich hat Del Nero aber auch nur leise ins Telefon geweint.

Denn ohne den Gewinn der 99. Südamerikameisterschaft, der das schmachvolle WM-Aus und das 1:7 gegen Deutschland vom vergangenen Jahr ein wenig übertüncht hätte, wird sich Brasiliens Öffentlichkeit nun verstärkt der Untersuchung der diversen Korruptionsaffären des Verbandes widmen wollen. Und da werden Del Nero, dem Nachfolger des derzeit im Zuge des Fifa-Skandals inhaftierten José Maria Marin, Fragen gestellt werden, die so quälend sein dürften wie die Frage, die Brasiliens Anhänger umtreibt.

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Ist das einer für die Bayern? Der umworbene Douglas Costa ballert den entscheidenden Strafstoß weit über das Tor, Brasilien scheidet bei der Copa América aus. Trainer Carlos Dunga greift seine Spieler an.

Sie lautet: Ist dies die schlechteste Fußballer-Generation, die das stolze Fußball-Land hervorgebracht hat?

Die elf Spieler in den knallgelben Trikots erinnerten jedenfalls nur entfernt an die glorreiche Tradition des fünfmaligen Weltmeisters. Das Führungstor durch den alternden, aber noch immer feinmotorisch begeisternden Robinho (15.) entsprang tatsächlich dem einzigen Ballkontakt im gegnerischen Strafraum, den die Seleção in der gesamten ersten Halbzeit hatte.

Auch nach der Pause ließ Brasilien jede Kreativität vermissen - und wurde dann von Innenverteidiger Thiago Silva auf absurde Weise in den Abgrund gerissen. Der Kapitän betätigte sich im eigenen Strafraum als Volleyballer; den fälligen Strafstoß verwandelte Paraguays Stürmer Derlis González vom FC Basel, der später auch beim Elfmeterschießen den Schlusspunkt setzen sollte. "Meine Mitspieler vor Freude weinen zu sehen, ist unbezahlbar", sagte González nach der Partie.

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Der frühere brasilianische Fußballweltmeister Ricardo Rocha schildert im SZ-Interview, warum seine Heimat das 1:7 gegen Deutschland längst nicht überwunden hat. Für einen Spieler schwärmt er jedoch: den voraussichtlichen Bayern-Zugang Douglas Costa.

Von Javier Cáceres

Da wusste er noch nicht, dass sein Elternhaus in Trauer lag. Sein Onkel war vor dem Fernseher zusammengebrochen, sein Herz hatte versagt; alle Versuche, ihn wiederzubeleben, waren vergebens. Dahinter trat die Tragik zurück, die jene beiden Brasilianer empfanden, die am Elfmeterpunkt versagten. Dazu gehörte auch der nach einer Stunde eingewechselte (und weitgehend unauffällige) Douglas Costa, der vor einem Wechsel zum FC Bayern steht.

Dunga sucht Zuflucht in der Geschichte

Dunga nahm ihn und den anderen Fehlschützen, Éverton Ribero, in Schutz: "Wäre es so einfach, Elfmeter zu verwandeln, dann könnte ja die Präsidentin schießen."

Ansonsten suchte Dunga Zuflucht in der Geschichte. Die Copa América sei immer ein schwieriges Turnier für Brasilien gewesen, selbst Fußballer wie Pelé, Garrincha oder Zico hätten sie ja nie gewinnen können. Und überhaupt: Erste Priorität sei sie ja gar nicht gewesen. Dunga sprach daher von einer "optimalen Lektion" für die bald anstehende WM-Qualifikation, "die unsere eigentliche Herausforderung ist". Die ersten beiden Spiele der Qualifikation wird Brasilien übrigens ohne Neymar austragen müssen. Der Kapitän war nach der roten Karte aus der Partie gegen Kolumbien für vier Pflichtspiele gesperrt worden - und hat erst zwei Partien abgesessen.

Durch seinen vorzeitigen Urlaub umging Neymar womöglich einen mysteriösen Virus, der Brasiliens Nationalspieler befallen haben soll. Gleich 15 Spieler hätten unter Durchfall, Fieber und Kopfschmerzen gelitten, sagte Dunga. Dumm nur, dass acht von zehn Spielern, die in der Mixed Zone zu den Medienvertretern sprachen, sich an keinerlei Beschwerden erinnern konnten. Der Teamarzt Rodrigo Lasmar wiederum sagte, er wisse nicht, ob die Malaise auf den heftigen Smog in Santiago oder eine Lebensmittelvergiftung zurückzuführen sei. Letzteres wäre insofern überraschend, als die Brasilianer sogar ihr Mineralwasser aus der Heimat mitgebracht hatten. Und so drohen Dunga wohl weitere Debatten - übrigens nicht nur an sportlicher Front.

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Denn in der Heimat stießen politisch wenig korrekte Äußerungen des Trainers sauer auf. Dunga hatte vor der Presse an die brutale Kritik erinnert, die auf ihn in den 90er Jahren einprasselte. "Wenn man sieht, wie auf mich eingeprügelt wurde und wie ich die Prügel genieße, könnte man meinen, ich wäre Abkömmling von Afrikanern", sagte er. Der Vorsitzende der brasilianischen Kommission zur Aufarbeitung der Verbrechen aus Zeiten der Sklaverei zeigte sich empört. Er legte nahe, Dunga solle wegen Rassismus belangt werden.

© SZ vom 29.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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