Brasilien bei der WM:Entrückt vom Status der Übermacht

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Thiago Silva, Neymar und Luiz Gustavo: Noch keine Schreckgespenster bei der WM (Foto: dpa)

Brasilien wird entzaubert: Auch nach dem zweiten WM-Spiel sieht der Gastgeber nicht gerade wie der kommende Weltmeister aus. Kritikern im Land begegnet Trainer Scolari mit Gelassenheit. Stürmer Hulk gibt Rätsel auf.

Von Saskia Aleythe

Pelé hatte sich das anders vorgestellt, ganz anders. Als am Mittwoch um 16 Uhr Ortszeit die zweite WM-Partie der Brasilianer angepfiffen wurde, stand der einstige Weltfußballer im Stau von São Paulo. Kein Vor, kein Zurück - und in Fortaleza rollte schon der Ball.

"Ich habe sehr gelitten und die erste Halbzeit im Auto am Radio gehört", berichtete er später. Pelé musste einem leidtun, schließlich hatte er da schon zwei Prachtparaden des mexikanischen Torwarts Ochoa verpasst. Um den Auftritt der heimischen Elf war es hingegen nicht wirklich schade.

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Neymar rennt wie ein Hase, Oscar taucht ab, Hulks Oberschenkel streikt: Beim 0:0 gegen Mexiko bleibt der Angriff des selbsterklärten WM-Favoriten Brasilien erneut seltsam blass. Am Ende soll es gar eine Standardsituation richten.

Von Thomas Kistner

Zwei Spiele ist diese WM für Brasilien nun alt, die großen Ballkünste ist das Team dem Rest der Fußballwelt bisher schuldig geblieben. Mit dem 0:0 gegen Mexiko zog die Seleção sogar den Unmut der sonst so begeisterten Fangemeinde auf sich. 60.000 Menschen im Stadion können eben nicht nur klatschen und rasseln, sondern auch ziemlich laut pfeifen.

Schwindelerregende Dribblings, Körpertäuschungen, die an medizinische Wunder grenzen, unverschämte Übersteiger und Hackentricks: Ein fleischgewordener Fußballtraum sollte der Auftritt der Brasilianer werden. Nun ist es nicht so, dass sie gar kein Aufsehen erregt hätten - der von Fred grob herausgeplumpste Elfmeter im Auftaktspiel gegen Kroatien war durchaus bemerkenswert. Wer derzeit an den kommenden Weltmeister denkt, hat aber eher fliegende Holländer im Kopf als brasilianische Zauberfüße.

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Ist nun Krise in Brasilien? Ein bisschen. Einige Zeitungen des Landes verleihen ihrer Enttäuschung über die ersten beiden WM-Auftritte durchaus Ausdruck. Andere, wie das Massenblatt O Globo etwa, suchen die Schuld eher beim Schiedsrichter. Der habe den Brasilianern beim Foul an Marcelo einen klaren Elfmeter verweigert, schreibt die Zeitung, was nach dem Schummel-Elfer durch Fred im ersten Spiel wahrlich komisch daherkommt.

Auch das Team will den Eindruck einer Krise unbedingt vermeiden. Felipe Scolari sprach am Dienstagnachmittag von Zufriedenheit, später sagte er sogar, er sei "ziemlich glücklich" über die Leistung seiner Mannschaft. Sie hätte sich im Vergleich zum Spiel gegen Kroatien um zehn Prozent gesteigert. "Es ist ja nicht schlecht gewesen, das Remis war halt ein Verdienst des Torhüters. Ich glaube, wir haben besser gespielt als gegen Kroatien, wir waren lockerer", meinte Jo.

Tatsächlich war die Defensive gegen Mexiko so gut organisiert, dass der Gegner fast ausschließlich nur zu Distanzschüssen kam. Und wäre nicht dieser Ochoa gewesen, der im Tor der Mexikaner vermutlich das Spiel seines Lebens absolvierte - es hätte am Ende durchaus 3:0 für Brasilien ausgehen können. Und doch blieb der Eindruck, dass Brasilien vom Status der Übermacht bei diesem Turnier recht weit entrückt ist.

Ausgerechnet im Sturm hapert es noch. Neymar agiert hier als Alleinunterhalter, Brasilien ist offensiv wie kein anderes Team von einem einzigen Spieler abhängig. Zwei Tore schoss er zum Auftakt gegen Kroatien, seine Stärke scheint eine Bürde für alle anderen Konkurrenten auf dieser Position zu sein, die mitunter wie Statisten daherkommen.

Hulk wirkte gegen Mexiko gar nicht erst mit - augenscheinlich wegen einer Oberschenkelverletzung. Bei Scolari hörte sich das allerdings anders an. "Er hätte heute spielen können, aber er hat sich für die Bank entschieden", meinte der Trainer. Verletzt sei er nicht, jeder Spieler habe gelegentlich Schmerzen.

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Ochoa, immer wieder Guillermo Ochoa. Der mexikanische Torwart treibt die Brasilianer mit seinen Paraden zur Verzweiflung und sorgt für Begeisterung in der weltweiten Presse. Brasilianische Zeitungen arbeiten sich an einem zu Recht verweigerten Elfmeterpfiff ab.

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Mit Gelassenheit die trüben Gedanken wegzublasen, das scheint derzeit das Motto der Brasilianer zu sein. "Wir sind nicht frustriert. Die Mannschaft hat einen guten Fußball gezeigt", sagte nach der Partie David Luiz, "manchmal gewinnt man eben leicht und manchmal nicht. Dieser eine Punkt kann am Ende noch sehr wichtig werden für uns."

Im letzten Vorrundenspiel treffen die Brasilianer auf Kamerun und sollte kein weiteres Torhüterungetüm emporsteigen, wird der Gastgeber um den Gruppensieg kämpfen. Im Achtelfinale könnten sie auf die Niederländer treffen oder auf Spanien, falls sich der Weltmeister steigert und noch Gruppenzweiter wird. Jedenfalls ein Spiel, bei dem Pelé nicht wieder im Stau stehen sollte.

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