Boxlegende Ali wird 70:Muhammad, der Herr der Ringe

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Muhammad Ali war nicht nur einer der besten Boxer aller Zeiten - er war die Ikone eines neuen radikalen Zeitalters. Seine Kampfkraft hat nie als Begründung für seinen Ruhm gereicht: Es war sein Talent, seine Kämpfe als Heldensagen zu inszenieren. An diesem Dienstag wird er 70 Jahre alt.

Andrian Kreye

Es war zu spät, um noch Fragen zu stellen. Muhammad Ali hielt sich am Arm seines Freundes Kris Kristofferson. Kurz ging er noch einmal in die Kampfstellung, mit der er so viele Runden im Boxring dominiert hatte, die Fäuste auf Schulterhöhe vor dem Körper, viel zu tief, um als Deckung zu taugen, aber genau im richtigen Winkel, um einen jener vernichtenden Treffer zu landen. Wäre da nicht das Zittern gewesen, die Bewegungen wie in Gallert, der schnelle Griff zum Arm des Freundes.

Die Parkinsonsche Krankheit hatte Alis zentrales Nervensystem längst in ungeordnete Bündel von Fehlzündungen zerfasert. Es war ein klarer Novembertag kurz am Ufer des Ohio River in Alis Geburtsstadt Louisville, Kentucky, und der Countrysänger würde ihn nun gleich durch jenen modernen Gebäudekomplex führen, der nun die höchste und größte Ehrung darstellt, die eine Stadt einem ihrer Söhne erweisen kann - ein eigenes Museum.

Nicht dass die Fragen sonderlich wichtig gewesen wären. Fragen und Antworten gehörten in jenem zweigeteilten Sechziger-Jahre-Kosmos des "Hip" und "Square", aus dem Ali zum größten Star des 20. Jahrhunderts aufstieg, eindeutig auf die Seite der "Squares". Die Squares, die Quadratschädel, wollten die Welt analysieren, um die alten Ordnungen aufrecht zu erhalten. Ali aber war der geistige Vater für jene Gedichtzeile von Gil Scott-Heron, die sich je nach Epoche umdichten lässt: "The revolution will not be analyzed/televised/digitized".

Es besteht kein Zweifel daran, dass Muhammad Ali einer der größten Athleten aller Zeiten war. Sieht man sich einen seiner alten Kämpfe an, verblüfft sein Stil noch immer. Die Leichtigkeit, mit der er durch den Ring tänzelt, die Clownerien wie den "Ali Shuffle" oder das nach vorne gereckte ungeschützte Kinn, die seine Gegner zur Weißglut brachten, das enorme Tempo, seine Gnadenlosigkeit gegen sich selbst, wenn er seinen Gegner einfach losdreschen lässt, um ihn zu ermüden. Und die Gnadenlosigkeit gegen seine Gegner. Sein Trainer Angelo Dundee ließ keinen Zweifel, daran, warum Ali ein so großartiger Boxer war: "Er hat es genossen, seinen Gegnern weh zu tun. Physisch. Psychisch. Da war er nicht zimperlich."

Seine Kampfkraft alleine hat allerdings nie als Begründung für seinen einzigartigen Ruhm gereicht. Es war sein Talent, seine Kämpfe als Heldensagen zu inszenieren. Bei Ali ging es nie nur um die Weltmeistergürtel, sondern immer auch um die Deutungshoheit über seine Zeit, seine Gesellschaft, seine Nation. Und weil die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der sechziger Jahre der Höhepunkt aller Befreiungsbewegungen waren, die sich seit dem 19. Jahrhundert formiert und gefestigt hatten, wurde Ali zu einer so überlebensgroßen Figur.

Geboren wurde er am 17. Januar 1942 in Louisville Kentucky als Cassius Clay, Enkel eines Sklaven, Sohn eines Plakatmalers. Ali begann das Boxen mit zwölf. Er soll in diesen ersten Jahren nie den Schulbus genommen haben, sondern sei dem Bus immer in schweren Armeestiefeln hinterhergerannt. Mit 18 Jahren hatte er schon 108 Amateurkämpfe hinter sich und war zweifacher Champion des Golden-Glove-Turniers. 1960 holte er in Rom olympisches Gold. 1961 siedelte er nach Miami um und arbeitete dort mit dem Trainer Angelo Dundee, der ihn zum mehrfachen Weltmeister machen sollte.

Zum ersten Mal gelang ihm das im Februar 1964. Da forderte der 22-jährige Cassius Clay den amtierenden Weltmeister Sonny Liston heraus. Beim Einwiegen vor dem Kampf etablierte Clay seinen Status als Schand- und Großmaul. Er schimpfte Liston einen "dicken, hässlichen Bär" und prägte seine legendäre Zeile, er werde wie ein Schmetterling schweben und wie eine Biene stechen: "I'm gonna float like a butterfly and sting like a bee."

Aus dem jungen Herausforderer wurde in der Nacht des 25. Februar allerdings nicht nur der jüngste Weltmeister in der Geschichte des Boxens, sondern auch die Symbolfigur des radikalen neuen Zeitalters. Nach dem Kampf gab er seine Bekehrung zum Islam bekannt. Und dass er seinen "Sklavennamen" Cassius Clay gegen Muhammad Ali eingetauscht hatte. Da war schon längst bekannt, dass er einen prominenten spirituellen Mentor hatte - Malcolm X, den radikalen Prediger der Nation of Islam.

1967 verweigerte Ali den Wehrdienst mit der Begründung: "No Vietcong ever called me nigger." - Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt. Das kostete ihn die Zulassung als Sportler und ein Gericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Gefängnis. Vier Jahre lang dauerte das Berufungsverfahren, das Ali als Showdown zwischen seiner Moral als Verweigerer und der Justiz eines Krieges inszenierte, den die ganze Welt inzwischen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geißelte.

Im Oktober 1970 konnte Muhammad Ali wieder kämpfen. Im März forderte er Joe Frazier heraus, um den Weltmeistertitel im Schwergewicht zurückzuerobern. Die Veranstalter annoncierten den Abend im New Yorker Madison Square Garden als "Kampf des Jahrhunderts". Nicht einmal Frank Sinatra bekam eine Karte für die Sitze am Ring, weswegen sich der Sänger als Fotograf für Life Magazine verdingte, um ganz vorne zu sitzen. Nach 15 dramatischen Runden verlor Ali seinen ersten Profikampf.

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Es dauerte drei weitere Jahre, bis er sich den Weltmeistertitel im Schwergewicht wieder zurückholte. Im Herbst 1974 trat Muhammad Ali im Nationalstadion in der zairischen (zuvor und heute wieder kongolesischen) Hauptstadt Kinshasa an. Sein Gegner - der sieben Jahre jüngere George Foreman, ein ungeschlagener Knockout-Spezialist - war ebenbürtig. Und wieder inszenierte er diesen Kampf als einzigartiges Ereignis.

Legendärer Kampf: Muhammad Ali (rechts) gegen Joe Frazier 1975 in Manila. (Foto: dpa)

Zaire war eine junge Nation, hatte seine Unabhängigkeit erst drei Jahre zuvor erlangt. Staatschef Mobutu ließ sich als antikolonialistischer Kulturkämpfer feiern, verbot das Tragen westlicher Kleidung wie Krawatten und stellte die Taufe von Kindern mit westlichen Namen unter Gefängnisstrafe. Vor dieser historischen Kulisse trat Ali als Black-Power-Ikone gegen den konservativ-bürgerlichen Foreman nicht nur im Kampf um die Weltmeisterschaft an, sondern auch um einen Kampf um die Symbole. Ali gewann in der achten Runde durch Knockout. Und war fortan endgültig "larger than life".

Seine große Zeit als Boxer sollte nur ein Jahr später zu Ende gehen. Am 1. Oktober 1975 trat er zum dritten Kampf gegen seinen Erzrivalen Joe Frazier an. Den Rückkampf hatte Ali gewonnen. Doch im Araheta Coliseum in einem Vorort von Manila gingen die beiden in 14 Runden aufs Ganze.

Alis Freund Leroy Neiman, der bei den meisten seiner Kämpfe dabei war, sagte später: "Beide Männer haben sich von diesem Kampf nie mehr erholt." Ali verbrachte die restlichen sechs Jahre seiner Karriere mit mittelmäßigen Siegen und traurigen Niederlagen.

Es wird vermutet, dass der "Thrilla in Manila" auch die Parkinson-Erkrankung Alis verursachte. Seine Stärke, einstecken zu können und seine Gegner zu ermüden, indem er sie auf sich eindreschen ließ, forderte einen hohen Preis. Nach eigenen Berechnungen hat Ali während seiner Laufbahn 29 000 Schläge auf den Kopf eingesteckt.

Lange ist er nun schon verstummt. Bei seinem Rundgang durch die Exponate seiner Lebensgeschichte im Muhammad Ali Center konnte man wenige Wochen vor seinem 65. Geburtstag an seinen entgleisten Regungen noch erahnen, was ihm dieses Museum bedeutete.

Heute lebt er abgeschieden mit seiner vierten Frau Lonnie in einer Gated Communitiy in Phoenix, Arizona. Morgens findet er hin und wieder noch Kraft, zu flüstern. Ansonsten verbringt er die Tage in einem Sessel und sieht sich oft Videos seiner Kämpfe an. Als Ali zuletzt im vergangenen November beim Begräbnis seines einstigen Rivalen Joe Frazier auftauchte, war er abgemagert und verbarg sein Gesicht hinter einer dunklen Brille.

Es war eine hübsche Floskel, als Alis Freund, der Komiker Billy Crystal, sagte: "In seiner Stille ist Ali fast noch lauter, als in jener Zeit, als er noch schimpfte und tobte." Der Mythenforscher Joseph Campbell, den sie in Hollywood alle lesen, hat die wahren Helden eben als jene Typen definiert, die aus der Stille in die Welt ziehen und nach dem Kampf in die Stille zurückkehren, um dort wahre Unsterblichkeit zu erlangen. Das ist wohl das Schicksal jedes Stars, selbst wenn sie so groß waren wie Muhammad Ali.

© SZ vom 17.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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