Wilfried Sauerland:Königsmacher aus glitzernden Zeiten

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Einführung in die große, weite Welt: 1990, kurz nach dem Mauerfall, zeigt Wilfried Sauerland dem jungen Henry Maske, Trainer Manfred Wolke und Axel Schulz (von links) die Straßen von London. (Foto: Imago)

In den 90ern formte Wilfried Sauerland aus Schlägern saubere Werbefiguren. Nun wird sein Boxstall, der Henry Maske zum TV-Helden aufsteigen ließ, an ein US-Unterhaltungsunternehmen verkauft.

Von Holger Gertz

Im Boxstall Sauerland haben sie in den Neunzigern an einer deutsch-deutschen Geschichte mitgeschrieben, aber bevor es dazu kam, hielten sie schon in den Achtzigern das Profiboxen in der BRD hoch. Das war eine glitzernde Etappe des westdeutschen Sports, sie passte zu einer Phase der Verspieltheit im Land, dessen Befindlichkeit anders war als in der verzagten Gegenwart.

Damals, in den frühen Achtzigern, hatte die Gruppe Trio mit "Da da da" tatsächlich einen Welthit. Im Fernsehen lief der Monaco Franze, es gab also verschiedenste Arten der Zerstreuung für unterschiedliche Gesellschaftssegmente, und auch der Sport war sehr deutlich noch ein Schaugeschäft: Nicht lange her, da hatte der leibhaftige Muhammad Ali in Rudi Carrells "Am laufendem Band" mit einer Kandidatin im Ring gestanden.

René Weller, links, im Jahr 1981 mit dem Promotor Wilfried Sauerland in Köln. (Foto: imago sportfotodienst; Imago/imago/Horstmüller)

In dieser versunkenen Epoche fand auch der Boxstall des Rheinländers Wilfried Sauerland seine geräumige Nische: ein Geschäftsmann, der in Afrika unter anderem mit Getränke- und Brauereianlagen zu Reichtum gekommen war. Sauerland, Jahrgang 1940, kümmerte sich parallel zum Job zunächst um afrikanische Boxer; 1978 gründete er seinen Boxstall und wurde in den Achtzigern Manager von René Weller, der sich "schöner René" nennen ließ und zweifellos die heißeste Hose von Pforzheim am austrainierten Leibe trug.

Der Boxer Weller balancierte im Grenzbereich zwischen Showgeschäft und Leistungssport, das passte in die Zeit. Er war Welt- und Europameister, nahm aber - "Endlich gibt's wieder was zu schwärmen/ich versprech euch, ich werd ihm die Ohren wärmen" - auch einen Boxer-Rap auf, wobei er eine gelb-goldene Hose trug. Das Anschauungsmaterial steht auf YouTube bereit - für diejenigen, die wirklich schon alles gesehen haben.

Zu Hause bei Familie Rocchigiani: Wilfried Sauerland mit den späteren Weltmeistern Graciano alias "Gratze" alias "Rocky" und dessen Bruder Ralf sowie Vater Zanubio (von rechts). (Foto: Andreas Gora/Imago)

Es gibt welche, die sagen: Sauerland hat, wie sein Hamburger Promoter-Rivale Klaus-Peter Kohl, das Boxen in den Achtzigern am Leben gehalten. Die beiden haben dem immer zur Gosse hin ausgerichteten Preisboxen jedenfalls einen Touch von Seriosität verpasst. Der griffige Hamburger Kohl und der gravitätischere Sauerland, der den aus Granit und Mut und Wut zusammengesetzten Arbeiterboxer Graciano "Gratze" Rocchigiani auch nicht zähmen konnte, aber immerhin zum IBF-Weltmeister dirigierte, 1988.

Dann fiel die Mauer. Und der so sehr westdeutsche Boxstall Sauerland verbandelte sich mit dem so sehr ostdeutschen Boxer Henry Maske aus Treuenbrietzen. Das war, mit der Begrifflichkeit der deprimierenden Tinder-Gegenwart ausgedrückt: ein Match.

Die Erfindung des "Gentleman"-Boxers: Wilfried Sauerland mit Henry Maske 1993. (Foto: Horstmüller/Imago)

Maske hat in seiner Biografie beschrieben, wie Sauerland ihn köderte. Er lud den Boxer samt Frau "ins schweizerische Gstaad ein, wo er ein prachtvolles Chalet besaß". Bald waren die Verträge ausverhandelt, "ich bekam dreitausend Mark im Monat und einen Dienstwagen. Das war das Höchste. Ein neuer BMW 318. Ich fühlte mich wie ein König."

Ein Boxer mit Dienstwagen: Die Dinge waren geordnet. Was dazu führte, dass es dem Promoter Sauerland gelang, dem Fernsehsender RTL und damit dem Publikum einen Boxer zu verkaufen, der sich bald Weltmeister nannte und wie ein Weltstar ausgeleuchtet wurde. Henry Maske, genannt Gentleman. Tatsächlich war Maske im Boxland Amerika nicht sehr bekannt, er war schließlich nie in Amerika gegen einen der großen Halbschwergewichtler angetreten, auch das Duell mit Dariusz Michalczewski kam in Deutschland nie zustande, dem Hauptkämpfer aus dem Universum-Boxstall von Klaus-Peter Kohl. Michalczewskis Kämpfe liefen beim Bezahlsender Premiere, während Maske frei empfangbar war.

Sauerland hatte seinen Mann also massentauglicher platziert, und die in dieser Hinsicht unübertroffenen Zeremonienmeister von RTL boten die gesamte Kapelle auf, mit dräuender Musik und Vorbericht und Nachbetrachtung und der vollständigen RTL-Belegschaft am Ring. Das alles war ein Meisterstück der Imagebildung, bis zum Finale gegen Virgil Hill, zur Hintergrundmusik von Andrea Bocelli und Sarah Brightman, "Time to say goodbye" - das Lied wird noch immer bei Beerdigungen gespielt.

Sportlich fragwürdig: Axel Schulz, damals 26, kämpfte 1995 gegen George Foreman, damals 46, um den WM-Titel - und verlor nach Punkten. (Foto: Marianne Müller/Imago)

Der Boxstall Sauerland hat dank allerbester Verbindungen die Welten des Boxens miteinander verschmolzen, sogar die Epochen: der knuffige Axel Schulz, geboren in Bad Saarow-Pieskow, durfte 1995 gegen den Giganten George Foreman um den Titel boxen, das war sportlich natürlich eine fragwürdige Veranstaltung.

Aber während heute sogar die Olympischen Spiele komplett in Verruf sind, konnte man der Kundschaft in den knallbunten Neunzigern ziemlich viel und eigentlich alles unterjubeln, Fernsehsport ging grundsätzlich glänzend. Während Wellers Hosen nur golden geschimmert hatten, waren jetzt sämtliche Perspektiven wie aus Gold. Kurz schien sogar Axel Schulz in den Spuren von Max Schmeling zu wandeln.

Obwohl Schulz in Wahrheit mit Schmeling so viel zu tun hatte wie die Elefantenspitzmaus mit dem Elefanten. Später, beim Duell Schulz vs. Francois Botha in der Stuttgarter Schleyer-Halle, gab es Tumulte, als Schulz mal wieder nicht zum Sieger erklärt wurde, es flogen sogar ganze Sektflaschen in den Ring. Sowas hatte Stuttgart nun wirklich noch nicht erlebt, RTL aber auch nicht: 18,5 Millionen Zuschauer! Rekord.

Danach ging es allmählich abwärts. Die Klitschkos waren Boxer vom Rivalen Kohl, Sauerlands Kämpfer landeten in der ARD, dort waren schließlich vor allem die heiseren Rundenpausenpredigten des Trainers Ulli Wegner die Attraktion. Wer jetzt kämpft, den kennt praktisch keiner mehr. Sauerlands Söhne Kalle und Nisse übernahmen den Laden, aber die großen Zeiten sind vorbei, die Typen fehlen, wo früher Ottke, May und Beyer für Sauerland die wattierten Handschuhe anlegten, tritt Vincent Feigenbutz an, beziehungsweise trat er an. Corona hat den Infight und den ganzen Betrieb lahmgelegt, auch Sauerlands Boxern ist ein Jahr flöten gegangen, in dem sie sich hätten profilieren können.

Die alte Macho-Nummer: Boxen hat wieder ein Imageproblem

Aber das Schaugeschäft Boxen, durch Fehlurteile und Dopingfälle angeknockt, hat grundsätzlich mehr als ein Imageproblem. Die Macho-Nummern kann man einem Teil der Gesellschaft nicht mehr verkaufen, die Frauen in ihrer Rolle als nummerntragendes Beiwerk sind sehr von gestern.

Und in einer Zeit, in der darüber debattiert wird, ob Menschen schon durch Worte diffamiert und verletzt werden - wie sollen da Fausthiebe vermittelbar sein? Der amerikanische Autor David Remnick hat in seinem Ali-Buch "King of the world" auch darüber geschrieben: "Nicht zuletzt ist Boxen als ein Sport, der darauf angelegt ist, das Gehirn zu lähmen, kaum noch zu verteidigen: Boxen steht heute für einen Mangel an Chancen, nicht für die Chance an sich."

So gesehen kam die Nachricht nicht überraschend, dass der legendäre Boxstall Sauerland verkauft wird an die Wasserman Media Group in Los Angeles. Das Unternehmen repräsentiert 2000 Sportler aus 42 Sportarten. Alle Verträge mit Sauerlands Boxern laufen weiter, Sauerlands Söhne sollen die Boxsparte in dem Unternehmen leiten.

Wie immer, wenn ein solcher Deal vereinbart wird, hört sich alles erstmal schwer nach Aufbruch an, "Sauerland verkauft Box-Stall nach Hollywood" berichtete gerade die Bild. Wie immer, wenn ein solcher Deal vereinbart wird, bedeutet das vor allem: Hier und jetzt ist eine Ära vorbei. Und gerade Boxer wissen schließlich, was die Devise "They never come back" bedeutet.

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