Boxen:Die Boxerin, die es nicht geben dürfte

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Sadaf Khadem (links) gegen die Französin Anne Chauvin (rechts) im April 2019. (Foto: Mehdi Fedouach/AFP)

Sadaf Khadem hat gegen alle Widerstände gekämpft. Als erste iranische Boxerin ist sie zu einem Symbol in ihrer Heimat geworden - in die sie nicht mehr zurückkehren kann.

Von Thomas Gröbner

Immer wieder hat Sadaf Khadem dieses Video abgespielt, von diesem Kampf, der eigentlich nicht sein durfte: Erst die Hymne ihres Landes, das sie nicht boxen sehen wollte. Dann ihre wilden Schläge und die Tränen, als die Ringrichterin ihre Hand am Ende nach oben riss. Khadem hatte ihren ersten offiziellen Boxkampf gewonnen, als erste Iranerin, obwohl es Frauen in ihrem Land nicht gestattet war, zu boxen. Ihre geschlagene Gegnerin applaudierte. Vielleicht spürte auch die Französin Anne Chauvin, dass etwas passiert war, das über einen Faustkampf hinausgeht.

Der Kampf schickte Bilder in die Welt, die die Mächtigen in Iran von Frauen lieber nicht sehen wollten. Die iranische Botschaft in Frankreich hatte Khadem deshalb vor dem Kampf am 14. April 2019 noch auf dem Weg gegeben: Sprich nicht darüber. Trage einen Hidschab im Ring. Berühre nicht die Hand eines Mannes. Kenne deine Grenzen.

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Zwei Jahre ist es nun her, seit die heute 26-Jährige diese Warnungen ignoriert und die Grenzen überschritten hat. Khadem sitzt im Boxwerk München, sie trägt hohe Stiefel und das schwarze Haar zusammengebunden, roten Lippenstift und einen schwarzen Überwurf, in dem rote Rosen geknüpft sind. Sie trifft hier eine Filmcrew, die einen Film über sie drehen soll. Titel: "Sadaf, die Perle von Royan". Perle, so heißt ihr Vorname übersetzt. Und Royan, so heißt die französische Stadt, in der sie erstmals boxte.

Ein eigener Film, das ist ziemlich viel Aufmerksamkeit für eine Boxerin, die vor zwei Jahren ihren ersten Kampf hatte. Von den niedrigen Decken baumeln die Ledersäcke, das Licht fällt müde von der Straße nach unten in den Kellerraum. Der Untergrundcharme des Klubs erinnere sie an Teheran und an die Jahre, als sie im Verborgenen trainieren musste, sagt sie.

"Viele haben auf mich geschaut. Ich hatte mir das nicht gewünscht", sagt Khadem

Seit der Islamischen Revolution 1979 sind die Rechte der Frauen in Iran stark eingeschränkt. Khadem durfte trainieren, aber nicht unter Männern. Also band sie einen Boxsack an einem Baum im Taleghani-Park, die grüne Lunge der Stadt war ihr Gym. Irgendwann wollte man sie aber auch hier nicht mehr haben, und die junge Frau wusste nicht mehr, wohin. Bis "Little Tyson" auftauchte, Mahyar Monshipour. Der sechsmalige Weltmeister ist in Iran geboren und in Frankreich aufgewachsen, er wurde ihr Trainer und Mentor und fädelte ihren ersten Kampf ein. Als sie in Royan in den Ring stieg, warteten schon die Kameras auf sie.

"Viele haben auf mich geschaut. Ich hatte mir das nicht gewünscht", sagt Khadem. Hätte sie verloren, hätten all die Stimmen recht bekommen, die ihr zugeraunt oder ihr ins Gesicht geschleudert hatten: Eine Frau kann nicht boxen. Kenne deine Grenzen. "Also musste ich gewinnen, es gab keine andere Möglichkeit", sagt Khadem. Sie boxte ohne Kopftuch, in Top und Shorts, so wie es für den Kampf Vorschrift war in Frankreich, erzählt Khadem, und wie es verboten ist in Iran. Sie kämpfte mehr mit dem Herzen als mit Technik und dem Kopf, "es war schrecklich anzusehen", sagt sie heute. "Danach habe ich versucht, wirklich Boxen zu lernen."

Vor dem Rückflug nach Teheran kommt eine Warnung per SMS

Karrieren im Boxring beginnen gewöhnlich fernab vom grellen Licht der Öffentlichkeit, bei Khadem ist das anders. Französische Medien berichteten, die Sportzeitung L'Équipe jubelte, Khadem habe "die Barrieren eingerissen" für die iranischen Frauen. Das blieb auch in der Heimat nicht unbemerkt.

Auf dem Weg zum Flugzeug, das sie drei Tage nach dem Kampf zurück nach Teheran bringen sollte, erhielt ihr Trainer eine SMS. Ein Haftbefehl warte in der Heimat auf die Boxerin, Repressalien drohten, so erzählte es ihr Trainer Monshipour. Seitdem hat sie Iran nicht mehr betreten. Sie blieb in Royan. Der Ring dort ist ihre Heimat: "Hier kann ich tanzen, hier bin ich ruhig, ich kann sein, wie ich bin."

Schnell im Rampenlicht: Sadaf Khadem im Boxwerk in München. (Foto: Florian Peljak)

Sie arbeitete zunächst auf einem Bauernhof, zusammen mit Straffälligen und Auffälligen, die von den Behörden zu Sozialstunden verdonnert wurden. Sie schleppte Eimer auf das Feld, um ein Arbeitsvisum zu bekommen. Der Boxklub in Royan gab ihr Unterschlupf. Sie lernte Französisch, in ihrem Zimmer spielte sie Bratsche. Und in der Heimat wurde Khadem zu einer Symbolfigur. Sie boxt in Musikvideos, ein Buch erschien in Frankreich. Titel: "Revolté". Aber Khadem, das sagt sie heute, wollte nie gegen etwas kämpfen. Nur für etwas. "Wer ist Sadaf? Bin ich nur ein Symbol?" Pause. "Ich bin Sadaf, die macht, was sie will im Leben."

Es sind Frauen, die im Boxen gerade für Veränderung stehen. Die Berlinerin Zeina Nassar hat 2019 erreicht, dass der internationale Dachverband AIBA seine Regeln ändert, nun dürfen Frauen mit Kopfbedeckung kämpfen und lange Kleidung tragen, während in Iran unter dem Hashtag #mystealthyfreedom Frauen ohne Kopftuch auf die Straße gingen.

Olympia? Das erscheint ihr wie ein wilder Traum

Wenn man aber Khadem fragt, was sich verändern solle ihn ihrem Land, dann wird sie still. Kein Wort über Politik, bitte. Kein Wort, das ihre Familie in Teheran schaden könnte. Zurückkehren will sie nicht in die Heimat: "Ich weiß, ich werde dort Probleme bekommen." Der iranische Boxverband will ihren Kampf nicht anerkennen und sieht ihn als "privaten Akt". Aber man bestreitet, dass Khadem eine Strafe erwarten würde.

Trotzdem glaubt Khadem nicht daran, jemals in Teheran kämpfen zu können: "Vielleicht die nächste Generation Frauen. Ich hoffe es für sie. Ich wäre stolz darauf, wenn ich dabei geholfen hätte." In Frankreich bekommt Khadem dafür das, was sie dringend braucht als Boxerin: Erfahrung. 16 Kämpfe hat sie schon hinter sich, 14 Siege, dabei nur zwei Niederlagen. Für ihr Ziel Olympia ist das aber viel zu wenig: 45, 50 Kämpfe sollten es schon sein, um mithalten zu können. Viel Zeit bleibt nicht mehr, die Olympischen Spiele finden 2024 in Paris statt.

Es erscheint kaum vorstellbar, dass der iranische Boxverband sie dorthin schicken wird. Für einen französischen Pass lebt sie noch nicht lange genug in Frankreich. Alles eine Verrücktheit also, ein wilder Traum? "Kein Traum. Ich arbeite hart dafür". Das Filmteam begleitet sie nun Richtung Olympia, auch wenn der Weg dorthin offen ist. "Ich weiß noch nicht wie", sagt Sadaf Khadem. "Aber ich werde da sein."

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