Boxweltmeister Usyk:Die neue Attraktion im Schwergewicht

Anthony Joshua v Oleksandr Usyk - Heavyweight Title Fight

Nicht zu treffen: Anthony Joshua verfehlt den flinken Oleksandr Usyk.

(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Der vermeintliche Außenseiter Oleksandr Usyk besiegt Anthony Joshua, weil er Technik und Tempo so gut einsetzt, dass Kraft und Größe keine Chance haben. Ein bereits geplanter Hunderte-Millionen-Kampf des Briten ist erstmal hinfällig.

Von Benedikt Warmbrunn

Und dann tauchte Oleksandr Usyk unter, zur rechten Seite. Kopf, Oberkörper, beides war nun raus aus dem Sichtfeld von Anthony Joshua, aus dem Sichtfeld des Favoriten, der ohnehin schon nicht mehr gut sehen konnte in dieser letzten von zwölf Runden; sein rechtes Auge war leicht zugeschwollen, malträtiert von Usyk, dem Außenseiter. Und war Usyk nicht vielleicht auch allgemein zu sehr aus Joshuas Sichtfeld raus gewesen? Hatte der Brite zu sehr an einen möglichen Kampf gegen seinen Landsmann Tyson Fury gedacht, einen Kampf, der dem Sieger die WM-Titel aller großen Verbände im Schwergewicht bringen würde, und jedem der beiden Boxer einen üppigen dreistelligen Millionenbetrag?

Hatte Joshua also zu sehr an diesen größten Kampf seiner Karriere gedacht, angedacht für das Frühjahr? Und zu wenig an Usyk? Oder würde ihn seine rechte Hand noch retten, die Hand, die so hart und schmerzhaft treffen kann? Und während sich viele Menschen diese Fragen stellten, tauchte Oleksandr Usyk wieder auf.

Der Ukrainer war als olympischer Boxer Europameister im Halbschwergewicht, Weltmeister und Olympiasieger im Schwergewicht (Letzteres 2012 in London, als im sog. Superschwergewicht ein gewisser Anthony Joshua gewann), als Profiboxer hatte er alle WM-Titel im Cruisergewicht vereint. Doch an diesem Samstagabend im Tottenham Hotspur Stadium in London boxte er zum erst dritten Mal im Schwergewicht, in der Gewichtsklasse, in der Kraft so entscheidend ist wie in keiner anderen. Die Kraft nämlich, die den Gegner auf den Ringboden niederschlägt. Eigentlich.

An diesem Abend aber demonstrierte der 34 Jahre alte Usyk, dass selbst im Schwergewicht auch immer der kleinere, weniger starke Mann eine Chance haben kann. Wenn er beweglicher ist. Wenn er taucht und täuscht. Wenn er variabler boxt. Wenn er dem Großen und Starken das Gefühl gibt, dass dieser immer getroffen werden könnte. Dann könnte es dem Kleineren sogar egal sein, dass er in seinen Fäusten weniger Power hat.

In dieser zwölften Runde am Samstagabend kehrte Usyk nun wieder ins Sichtfeld von Joshua zurück. Aber nicht auf der Seite, zu der er abgetaucht war. Sondern auf der anderen, auf seiner linken, auf der Seite, auf der Joshua mit seinem zugeschwollenen Auge nur noch wenig sah. Usyk traf mit einem linken Haken.

Nach diesem Treffer waren noch knapp 2:50 Minuten in dieser letzten Runde zu boxen. Und doch war nun absehbar, dass Usyk sich kaum noch vor Joshua zu fürchten hatte. Der 31 Jahre alte Titelverteidiger, der die WM-Gürtel der Verbände WBA, WBO, IBF und IBO in diesem Duell riskierte, schwächelte, er war zermürbt von diesem Gegner, der für ihn kaum zu fassen war, und der doch selbst mit einer beinahe traumwandlerischen Leichtigkeit traf. In dieser letzten Runde demonstrierte Usyk noch einmal seine boxerische Überlegenheit, er traf fast nach Belieben, mit links, mit rechts, mit Geraden, mit Haken, mit Einzelschlägen, mit Kombinationen, und das aus allen Winkeln, die die Geometrie eine Boxkampfes zulässt - 29 Mal allein in dieser zwölften Runde, nie war Joshua innerhalb von drei Minuten häufiger getroffen worden; insgesamt kassierte Joshua 148 Treffer, auch das ein Rekord in seiner Karriere (der Titelverteidiger traf 123 Mal).

Das große Duell zwischen Joshua und Fury muss erstmal warten

Zum Ende der Runde hatte Usyk den Champion sogar in die Ringseile getrieben, mit Haken zum Kinn. Nun fehlte seinen Schlägen zwar die Wucht für den Knockout, aber ihnen fehlte nicht die Wirkung für einen Sieg. Joshua saß fast in den Seilen, er lächelte, streckte die Zunge raus. Es war die Mimik eines Mannes, der möglicherweise erleichtert war, diesen Abend nicht am Ringboden beenden zu müssen. Den Kampf werteten alle drei Punktrichter klar für Usyk. "Der bessere Mann hat gewonnen", sagte Eddie Hearn, der Promoter von Joshua, bei Dazn.

Für Joshua könnte diese zweite Niederlage als Profi die gesamte weitere Karriereplanung zerstört haben. Fury und er hatten in den vergangenen Wochen schon auch über die Aufgaben geredet, die für sie anstanden (für WBC-Weltmeister Fury, diesen tänzelnden, unvorhersehbaren, gerissenen Riesen, kommt es zum dritten Duell mit dem US-Amerikaner Deontay Wilder am 9. Oktober). Aber immer ging es auch um das Aufeinandertreffen der beiden, das schon im August hätte stattfinden sollen, in Saudi-Arabien, jedem Boxer sollen angeblich mindestens 100 Millionen Dollar garantiert worden seien. Dann aber verfügte ein Richter, dass Fury erst gegen Wilder kämpfen müsse. Ihren Kampf wollten die beiden Briten unbedingt im Frühjahr nachholen. Es wäre auch ein sehnsüchtig erwartetes Duell geworden- aber nicht zwangsläufig der boxerisch attraktivste Kampf im derzeitigen Schwergewicht.

Joshua muss in den Rückkampf - einfach wird der nicht

Die neue Attraktion der Gewichtsklasse war allerdings an diesem Samstag in London auch erst so richtig aufgetaucht, Usyk und sein fast schon perfektes boxerisches Repertoire.

Der Ukrainer erteilte Joshua eine Lehrstunde, er war ihm technisch derart überlegen, dass Joshuas Vorteile, die Kraft, die Größe und die Reichweite, kaum eine Rolle mehr spielten. Wie eine Feder bewegte sich Usyk durch den Ring, vor, zurück, nach links, nach rechts, er war nie dort, wo Joshua ihn erwartete. Schlug Joshua, was er viel zu selten mit Überzeugung machte, pendelte Usyk mit dem Oberkörper, er tauchte unter, er wich zurück, und schon schlug Joshua ins Leere.

Vor allem aber war Usyk verdammt schnell.

Bereits in den ersten Runden ließ er Joshua spüren, dass er, Usyk, immer genau dort war, wo er sein wollte. Und wenn Usyk mal wieder einen von Joshuas Schlägen ins Leere hatte laufen lassen, dann reichte ihm das nicht. Sondern dann nutzte er den Schwung seiner Schritte, seiner Pendelbewegungen und setzte sofort einen Schlag hinterher, besser gleich zwei oder drei Schläge, direkt ins Ziel hinein. "Brillant", lobte Hearn. Schon nach wenigen Runden war an Joshuas stoischem Blick zu erkennen, wie höllisch aufmerksam er war. Und dann wurde er zu steif in den Beinen. Und noch zögerlicher mit den Fäusten. In der Mitte des Kampfes hatte der Titelverteidiger zwar zwei, drei gute Runden. Aber wenig später war ihm all seine Kraft entwichen.

Schon in der Kabine, so erzählte es Hearn, habe Joshua über den Rückkampf gesprochen, zu diesem dürfte es in den nächsten Monaten kommen; der Gewinner wird dann wohl Fury herausfordern. Sollte dies Joshua sein, kommt es immer noch zum Hunderte-Millionen-Dollar-Kampf. Aber ob es für Joshua im Rückkampf besser laufen wird gegen den Mann, der nach Evander Holyfield und David Haye als dritter ehemaliger Cruisergewichts-Weltmeister nun auch Champion im Schwergewicht ist? Usyk sagte: "Das war der größte Kampf meiner Karriere. Aber es war nicht der schwerste."

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