Champions League:Druck im Hexenkessel

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"Das Ambiente gegen Inter Mailand war tatsächlich außergewöhnlich": Gegen Inter Mailand wurde Atlético Madrid um César Azpilicueta (vorne) von den Fans regelrecht zum Sieg getrieben. (Foto: Goal Sports Images/Imago)

Vor dem Champions-League-Duell mit Borussia Dortmund bittet Atlético-Trainer Diego Simeone den Anhang der Madrilenen um Unterstützung. Er weiß: Die Auswärtsschwäche zwingt sein Team dazu, ein gutes Hinspiel-Resultat zu erzielen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Die Freude darüber, Borussia Dortmund als Champions-League-Gegner zugelost bekommen zu haben, scheint sich bei Atlético Madrid verflüchtigt zu haben. Man konnte das am Dienstagmittag fast mit Händen greifen. Vor allem, als Trainer Diego Simeone im Pressesaal des Estadio Metropolitano zu den Journalisten sprach. "Von den acht Viertelfinalisten ist keine Mannschaft so intensiv wie Borussia Dortmund", sagte Simeone und meinte das wohl wirklich so: "Wir werden unsere Leute brauchen - dass sie uns antreiben wie immer", erklärte der Coach. Oder genauer: wie sie es im Achtelfinal-Rückspiel gegen den italienischen Meister Inter Mailand taten, der am Ende auch von einer hitzigen Menge erdrückt und aus dem Wettbewerb geworfen wurde.

"Das Ambiente gegen Inter Mailand war tatsächlich außergewöhnlich", sagt Atléticos Verteidiger César Azpilicueta, 34, am Telefon. "Aber ich kenne das Westfalenstadion und seine Gelbe Wand, ich habe dort einmal mit Olympique und einmal mit dem FC Chelsea gespielt. Und ich weiß, dass die Tribünen auch dort Leidenschaft verströmen. Es wird in beiden Stadien eine tolle Atmosphäre geben. Und sie kann ein Faktor werden. Wir alle wissen doch, dass solche Duelle durch kleine Details entschieden werden." Zum Beispiel: wer in seinem jeweiligen Hexenkessel den größeren Druck erzeugen kann.

Atlético und Dortmund weisen nicht nur hinsichtlich der Stadionatmosphäre gewisse Parallelen auf. So wie Dortmund hat auch Atlético nichts mehr mit dem Kampf um die Meisterschaft zu tun, er ist in Spanien längst zugunsten Real Madrids entschieden. Atléticos großer Nachbar liegt in der Tabelle der spanischen Liga bereits 17 Punkte vorn. So wie Dortmund muss auch Atlético die finanziell wichtige Qualifikation für die nächste Champions-League-Saison erst noch sichern. Und so wie der BVB muss sich auch Atlético einige Kritik wegen der fußballerischen Performance anhören. Ein Debakel gegen Inter im Achtelfinale, und es wäre nicht ausgeschlossen gewesen, dass sich Trainer Simeone "Raus"-Rufe hätte anhören müssen. Denn dass die Mannschaft in dieser Saison so doppelgesichtig daherkommt, ist dem einen oder anderen Atlético-Fan schon aufgestoßen.

Atlético hat einen guten Saisonstart hingelegt, mit einem fußballerischen Ansatz, der interessanter und optimistischer wirkte als in der Vergangenheit. Denn er war risikoreicher. Als dann die ersten Rückschläge kamen, wurde aber gar die absurde Frage debattiert, ob Atlético zu sehr Fußball spiele. Denn je länger die Saison dauerte, desto kurioser wurden die Ergebnisse. Simeone ist seit mehr als einer Dekade als Trainer im Amt, nun schaut er auf die Saison mit den meisten geschossenen und kassierten Tore seiner Karriere zurück. Daheim ist Atlético nahezu unbesiegbar (13 Siege, ein Remis, eine Niederlage in der Liga), auswärts aber gab es fünf Siege und sieben Niederlagen in 15 Spielen. "Wir haben zu Hause gezeigt, dass wir sehr stark sein können", sagt Azpilicueta, der voraussichtlich als linker Innenverteidiger auflaufen wird. "Wir hätten uns auswärts bessere Resultate gewünscht, ist doch klar. Aber wir haben glücklicherweise noch einige Spiele vor uns, um die Bilanz zu verbessern."

Dreimal stand Atlético im Finale, zum Titel reichte es noch nie

Auswärtsstärke zu erlangen, dürfte auch in der Champions League von fundamentaler Bedeutung sein. Denn nur so dürfte sich der eigentliche Traum Atléticos materialisieren: endlich die Champions League zu gewinnen. Bislang ist Atlético dreimal im Finale des wichtigsten Wettbewerbs des europäischen Vereinsfußballs gescheitert. 1974 am FC Bayern von Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Uli Hoeneß (und natürlich Katsche Schwarzenbeck), in diesem Jahrtausend zweimal an Real Madrid (2014 und 2016). "Man spürt, dass der Traum im Klub und unter den Fans sehr groß ist. Wir wollen diesen Wettbewerb weiter genießen. Wir sind unter den acht besten Mannschaften der Champions League. Das ist schon eine Menge wert."

Azpilicueta ist in einer Mannschaft mit fünf Weltmeistern (die Franzosen Antoine Griezman und Thomas Lemar sowie die Argentinier Ángel Correa, Rodrigo De Paul und Nahuel Molina) der einzige Spieler Atléticos, der den Henkeltopf mal in den Händen halten durfte. Er siegte 2021 im Endspiel mit dem FC Chelsea gegen Manchester City; und wurde der erste Spanier, der als Kapitän einer nichtspanischen Mannschaft die Champions League gewann. An der Seite von Timo Werner und dem Siegtorschützen Kai Havertz, und unter dem Kommando des heutigen Bayern-Trainers Thomas Tuchel, an den Azpilicueta beste Erinnerungen hat. Tuchel war im Winter der Saison 20/21 an der Stamford Bridge gelandet "und hat damals in sehr kurzer Zeit eine sehr starke und sehr effiziente Mannschaft geschaffen".

Nun spielt Azpilicueta unter Simeone, einem Trainer, der das Publikum bei Heimspielen regelrecht aufwiegelt. "Er hat eine sehr große Erfahrung, auch in diesem Wettbewerb", sagt Azpilicueta, "er schafft immer wieder neue Lösungen." Er sei bislang nicht von Simeone konsultiert worden, wie man eine Champions League gewinnt, "wenn es nur so einfach wäre...", lacht Azpilicueta. Schon das Spiel gegen Dortmund werde eine große Herausforderung werden, daran ändert auch die Niederlage des BVB vom Samstag gegen Stuttgart nichts. "Sie haben großartige Resultate erzielt, und sie werden uns das höchste Niveau abverlangen. Wir werden ein Maximum an Intensität brauchen", sagt Azpilicueta.

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