Borussia Dortmund:Alarmstufe Rot

Lesezeit: 3 min

Letztes Aufeinandertreffen der Dortmunder mit Bayern in der Bundesliga: Im April 2017 siegte Bayern mit 4:1 (Foto: REUTERS)
  • Der BVB erlebt in der Champions League einen argen Dämpfer gegen Apoel Nikosia, am Samstag trifft Dortmund auf den FC Bayern.
  • Trainer Peter Bosz hat seine eigenen Blick auf die Dinge. Er sagt: "Vielleicht kommt das Spiel gegen die Münchner im richtigen Moment, weil man jetzt vielleicht weniger von uns erwartet."
  • Allerdings waren die letzten Auftritte der Dortmunder ein Rückschritt.
  • Tabelle und Ergebnisse der Bundesliga finden Sie hier.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Das Malheur ereignete sich in der zweiten Hälfte. Marcel Schmelzer hatte sich lange gewehrt, aber in der 105. Sekunde und damit 15 Sekunden vor Ablauf eines zweiminütigen Fernsehinterviews kurz nach dem Champions-League-Unentschieden gegen Apoel Nikosia, da rutschte ihm doch tatsächlich das Wort "Krise" heraus. Die Fußballer von Borussia Dortmund waren erkennbar darauf getrimmt worden, dieses negative Schlüsselvokabular zu vermeiden. Sie sprachen alle auffällig penetrant vom "Zusammenstehen", vom "Zusammenhalten" und dass man nur "zusammen" aus dieser "schwierigen Situation" wieder herauskomme.

Aber wie um Himmels Willen hätte der eloquente Kapitän Schmelzer all die wiederkehrenden Fragen nach den akuten BVB-Problemen beantworten sollen, ohne irgendwann versehentlich dann halt doch jenes Wort zu benutzen, das ihnen allen ohnehin im Kopf herumschwirrt? Schmelzer, vom Spiel erschöpft und beim Drumherumreden einen winzigen Moment unaufmerksam, machte einen entscheidenden Fehler, den er hinterher nicht mehr ausbessern konnte. Er sagte vor laufender Kamera: "Wir müssen jetzt einfach weiter zusammenarbeiten, um aus dieser Krise..." - der Routinier zuckte erkennbar zusammen und schob schnell hinterher: "...oder schlechten Situation einfach herauszukommen."

Den Dortmundern gelingt zurzeit wirklich gar nichts. Sie schießen in zwei Spielen bloß zwei Tore gegen den zypriotischen Fußballzwerg Nikosia, lassen zwei Gegentore und damit zwei schmerzhafte Unentschieden zu - und dann rutscht ihnen beim Tabu-Spiel mit den Medien auch noch das verhasste Wort heraus - ausgerechnet jener Begriff, auf den sich ihre medialen Konterattacken gestützt hatten. "Krank" und "schizophren" hatten der Klubchef Hans-Joachim Watzke sowie der Sportdirektor Michael Zorc zuletzt den Vorwurf der Krise genannt und ihn kopfschüttelnd zum Unding stilisiert.

Götze hüstelt und lacht

Dabei könnten sie beim BVB jetzt eigentlich froh sein, dass das Wort doch in der Welt ist. Denn nach sechs Spielen in drei Wettbewerben, in denen nur im Pokal beim Drittligisten Magdeburg ein Sieg gelungen ist, darf man durchaus von einer Krise sprechen. Zwei 1:1-Unentschieden gegen limitierte Zyprioten, die sich zu elft im eigenen Strafraum und um diesen herum verschanzten und auf Konterchancen lauerten, sind eine dramatisch schwache Ausbeute. "Da brauchen wir gar nichts schönzureden", sagte Mario Götze. Der Mittelfeldspieler ringt im Gegensatz zu seinen Kollegen dieser Tage nicht um jedes Wort, sondern hat sich angewöhnt, auf kritisch klingende Fragen zunächst mal mit einem hüstelnden Lachen zu antworten, wahlweise ergänzt durch ein ausformuliertes "Ha-Ha", so als befinde man sich nicht in einer Krise, sondern in der Narrensitzung "Wider den tierischen Ernst".

Die Akzeptanz einer Krise als Ausgangspunkt für die Genesung - mit diesem Ansinnen könnten die Dortmunder am Samstagabend ins Bundesligaspiel gegen den FC Bayern München gehen. Leider gewinnt man im Profifußball mit einem Eingeständnis der Schwäche kein Spiel, schon gar nicht gegen den Tabellenführer aus München. Der erstaunlich ruhige BVB-Trainer Peter Bosz kann seine Spieler auch nicht dadurch stärken, dass er ihnen ihre zögerliche Körpersprache, die fehlenden Spielideen und den zunehmenden Fatalismus in der Rückwärtsbewegung nach Ballverlusten im Mittelfeld explizit vorhält. Was gegen Tottenham und Real Madrid noch verkraftbar erschien, hat sich gegen Hannover und Nikosia zur Alarmstufe Rot verschärft. Das Achtelfinale der Champions League ist hinfällig, sogar die Rettung in die Trostrunde namens Europa League ist gefährdet.

Aubameyang trifft nicht mehr

In der Liga freilich genügt den Westfalen am Samstag gegen die Bayern ein Sieg, um sich wieder an die Tabellenspitze zu setzen - und dann hätte man den sporthistorisch seltenen Fall eines Bundesliga-Führenden, der direkt aus der Krise kommt. Genau das hatte Zorc mit "schizophren" gemeint. Und doch lässt sich die Frage nicht verdrängen, warum die Dortmunder das schöne Spiel der ersten Spieltage so schnell und eklatant wieder verloren haben. Beim 5:0 gegen Köln, beim 3:0 in Hamburg und beim 6:1 gegen Gladbach gelang ihnen all das scheinbar mühelos, was sie nun gar nicht mehr hinbekommen. Den null Gegentoren in den ersten fünf Ligaspielen stehen elf Gegentreffer in den jüngsten fünf Ligaspielen gegenüber.

Der sonst so zuverlässige Torschütze Pierre-Emerick Aubameyang hat seit der 2:3-Heimniederlage gegen Leipzig vor knapp drei Wochen nicht mehr getroffen. Die seither erzielten elf BVB-Pflichtspieltreffer kamen von anderen. Zu einem Sieg hat das nur beim 5:0 in Magdeburg genügt. Und so spricht Bosz nach dem 1:1 gegen Nikosia und vor dem Spiel gegen München zwar nicht von einer Krise, aber von einem emotionalen Tiefpunkt. Er sagt: "Vielleicht kommt das Spiel gegen die Münchner im richtigen Moment, weil man jetzt vielleicht weniger von uns erwartet."

Ob diese Einschätzung seine eigenen gesunkenen Ansprüche spiegelt und ob er sich das Hirn zermartert, warum die Mannschaft sein auf viel Selbstvertrauen und Aggressivität bauendes System pomadig nicht mehr umzusetzen vermag - das bleibt ein Rätsel. Der Spieler Götze, in Triumphen wie Tragödien gleichermaßen erfahren, wehrte die Frage nach einem Außenseiter-Vorteil gegen die Bayern jedenfalls ab. Erst zeigte er wieder sein entschärfendes Grinsen, dann sagte er knapp: "Schön wär's!"

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

BVB in der Champions League
:Einem rutscht das verbotene K-Wort heraus

Der BVB spielt in der Champions League die schlechteste Vorrunde der Geschichte. Die Profis ringen nach der Blamage gegen Nikosia um Fassung.

Von Felix Meininghaus

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: